Auf dem Militärstützpunkt Guantánamo Bay auf Kuba hatten US-amerikanische Soldaten bereits nach dem Erdbeben auf Haiti im Jahr 2010 Zelte aufgebaut, um von der Karibikinsel flüchtende Menschen dort unterzubringen. Nun erwägt Washington erneut, die Aufnahmekapazitäten in der Guantánamo-Bucht zu erhöhen.
In der Annahme, dass ein “Massenexodus” von Menschen aus Haiti möglich sein könnte, prüfe die US-Regierung laut einem Bericht von NBC News, die Kapazitäten seines Auffanglagers zu verdoppeln. Der Sender beruft sich auf zwei Beamte und ein internes Dokument.
Demnach wäre das eine der Optionen, die man in der Biden-Administration erwägt. Eine andere wäre eine vorübergehende Aufnahme von Migranten aus Haiti in einem Drittland. Laut dem Bericht hätte der Nationale Sicherheitsrat diesbezüglich auch das US-Heimatschutzministerium gefragt, wann ein Drittland als “Auffangbecken” für die ankommenden Haitianer benannt werden könnte. Die Migranten würden nur dann nach Guantánamo geschickt, wenn dieses Drittland selbst überlastet sei, so NBC.
Die US-Militärbasis in der Guantánamo-Bucht verfügt derzeit über ein Aufnahmezentrum, in dem etwa 200 Migranten untergebracht werden können. Die Regierung von US-Präsident Joe Biden hatte zuletzt im September 2021 erwogen, Guantánamo für diese Zwecke zu nutzen. Damals hatten etwa 15.000 Haitianer die Grenze zwischen den USA und Mexiko in Texas überquert und eine Zeltstadt unter einer Autobahnbrücke errichtet. Die Idee wurde jedoch von den Demokraten scharf verurteilt, da sie davon ausgingen, dass es sich bei dem in Erwägung gezogenen Standort um das Lager für Terrorverdächtige handelte.
Das Operationszentrum für Migranten in Guantánamo besteht seit mehr als 30 Jahren und unterscheidet sich vom nahe gelegenen Camp Delta, in dem Terrorverdächtige festgehalten werden.
Im Zuge des vom damaligen US-Präsidenten George W. Bush ausgerufenen “Kriegs gegen den Terror” eröffnete die damalige US-Regierung Anfang 2002 auf dem Marinestützpunkt Guantánamo Bay das gleichnamige Gefangenenlager. Rund 780 Menschen waren dort inhaftiert. Laut der Menschenrechtsorganisation Amnesty International werden dort heute noch “39 Gefangene unter menschenrechtswidrigen Bedingungen” festgehalten.
Im nahegelegenen Migrantenzentrum wurden nach dem Staatsstreich von 1991 schon einmal rund 12.000 Haitianer untergebracht. Die US-Küstenwache nutzt die Einrichtung derzeit, um Migranten zu beherbergen, die sie in der Karibik aus Seenot gerettet hat.
Seit der Ermordung von Präsident Jovenel Moïse im Juli vergangenen Jahres erlebt Haiti einen politischen Ausnahmezustand. Die wirtschaftlichen Probleme haben zu bewaffneten Protesten geführt, im Zuge derer Straßensperren errichtet worden sind und der Rücktritt von Premierminister Ariel Henry gefordert wurde. Die Regierung in Port-au-Prince hatte letzten Monat offiziell um eine ausländische Militärintervention gebeten, aber die USA haben bislang Schwierigkeiten, eine Koalition zu schmieden, die bereit ist, Soldaten auf die Insel zu schicken.
“Es gibt keine Fortschritte, um Partner dazu zu bringen, sich freiwillig zu melden. Niemand meldet sich”, berichtete die in Florida ansässige US-Tageszeitung Miami Herald letzte Woche und stellte fest, dass sich sowohl Brasilien als auch Kanada und Frankreich geweigert hätten, Truppen zu stellen. Washington seinerseits versuche zudem, größere Aktivitäten bis nach den Zwischenwahlen am 8. November zu verschieben.
In der Zwischenzeit hat der Nationale Sicherheitsrat in Erwartung des möglichen Migrantenstroms aus Haiti eine “Reihe von Treffen” mit den Ministerien für Außen-, Verteidigungs- und Heimatschutz organisiert.
Mehr zum Thema – Von kolonialer Plünderung zum internationalen Scheitern: Haiti als Paradigma von Armut und Gewalt