Von Elem Chintsky
Der Krieg in der Ukraine wird auf dem Land, im Wasser und in der Luft geführt, erinnert die unabhängige Wochenzeitung Myśl Polska in einer ihrer letzten Publikationen. Aber ihr Autor setzt bei diesen Bereichen der Kriegsführung sein Augenmerk auf den wohl wichtigsten: den Informationsbereich. Łukasz Jastrzębski erläutert, dass “diese informationspropagandistische Front” besonders für die polnische Gesellschaft entscheidend ist.
Die essenzielle Kernaussage Jastrzębskis über den polnischen Systemmedien-Alltag ist in diesen Worten am besten verdichtet:
“Die Medien informieren uns ständig darüber, dass die russische Seite desinformiert und lügt. Die andere Seite hingegen sei so wahrhaftig wie eine geweihte Jungfrau. Das ist natürlich eine Mogelpackung für Leichtgläubige. Die Wahrheit ist, dass beide Seiten verständlicherweise Informationen manipulieren. Wir jedoch sind aufgrund unserer strategischen Lage für den Westen, der militärisch-wirtschaftlichen Bündnisse, in denen wir uns befinden, des Eigentums an den Medien in unserem Land und der allgegenwärtigen Russophobie praktisch nur dem Einfluss einer einseitigen proukrainischen Erzählung (Propaganda) ausgesetzt.”
Das Problem ist, dass diese “Einseitigkeit der Deutungshoheit” genau die Ausgangslage eines Durchschnittspolens ausmacht – obwohl sie extrem am Diktat der NATO und EU ausgerichtet ist, wird sie als “neutrale, ausgewogene und sorgfältig ausbalancierte Position” ausgegeben. Die psychologischen Operationen der ukrainischen Streitkräfte tragen stark zu den dann in Polen selbst weiter verwerteten proukrainischen Narrativen bei.
Eine dieser psychologischen Operationen war das vermeintliche “Massaker von Butscha” bei Kiew (März 2022), das sich laut den Ukrainern die Russen zuschulden kommen ließen. Von Anfang an konnte man – trotz der kreischenden Hysterie der Massenmedien – didaktisch genügend Sollbruchstellen in der offiziell präsentierten Erzählung, samt ihrer Bilder, finden. Damit beschäftigten sich seinerzeit der mittlerweile von den Ukrainern ermordete US-amerikanische Journalist Gonzalo Lira sowie der französische Reporter Adrien Bocquet, der vor Ort war und die Organisation dieser Täuschung aus erster Hand bezeugte. Unter anderem seine Aussagen stellen die Wahrhaftigkeit der in dieser psychologischen Operation der Ukrainer suggerierten Vorkommnisse dramatisch infrage. Der ukrainischen Darstellung steht die Vermutung gegenüber, dass das Kiewer Regime in Butscha eine Inszenierung schuf, die vor allem einer Diskreditierung der Russen in den Augen der zu dem Zeitpunkt ganz besonders anfälligen, westlichen Öffentlichkeit dienen sollte. Die ukrainischen Abteilungen für psychologische Operationen wurden von hochrangigen und mit den Westmedien eng verbundenen NATO-Spezialisten – vor allem von Briten und US-Amerikanern – ausgebildet.
Mit Bedauern stellt Jastrzębski fest, dass “viele Monate lang die von den Medien gelieferten Informationen von meinen Landsleuten meist unreflektiert als offenkundige Wahrheit akzeptiert wurden”.
“Selbst wenn es sich um so bizarre Dinge wie den Abschuss einer Drohne mit Essiggurken handelte”, fügte er hinzu. Mittlerweile sei man etwas vorsichtiger geworden, aber von einer vernünftigen Medienversiertheit, die auf kritischem und analytischem Denken basiere, sei man noch weit weg. Zudem sieht der Journalist dadurch eine pathologische Vernachlässigung der eigenen Staatsräson ermöglicht – die eigentlich wichtigen, nationalen Interessen Polens werden so verschleiert und verzerrt.
Wo sind aber diese ominösen Zentren der Bewusstseinskontrolle konkret? Die von der Myśl Polska herangezogenen Daten des polnischen Fachjournals Nowa Technika Wojskowa (zu Deutsch: Neue Militärtechnik) stellt sie offen vor: Zum einen das 72. Zentrum für informationspsychologische Operationen in der Ortschaft Browary, Region Kiew. Zum anderen das 74. Zentrum für informationspsychologische Operationen in Lwow. Wobei das 83. Zentrum für informationspsychologische Operationen in Odessa zusammen mit dem Lwower Zentrum konkret die Aufgabe erfüllt, Informationen zu sammeln, zu analysieren und als Propaganda zu verbreiten sowie gewünschte Reaktionen auf politische und militärische Ereignisse zu entwickeln. Zu guter Letzt sei das 16. Zentrum für informationspsychologische Operationen in der Siedlung Hujwa, Region Schitomir, zu nennen – mit ungefähr denselben Zielsetzungen und Projekten.
Bei jedem dieser Zentren handelt es sich allgemein um Einheiten für sogenannte “informationelle und psychologische Operationen” – oder IPSO. Im Russischen ist der Begriff bekannt als ИПСО oder “информационно-психологическая специальная операция”, auf Deutsch: “Informationspsychologische Spezialoperation”. Im russischsprachigen Telegram und anderen sozialen Medien wird eben mit “IPSO/ИПСО” jedes Narrativ bezeichnet, das Anzeichen von strategisch platzierter Propaganda, gewollter, aber verdeckter Unaufrichtigkeit oder Manipulation aufweist. Sie sind eine entscheidende Komponente der ukrainischen Spezialeinheiten im Krieg gegen Russland sowie im Krieg um die Wahrnehmungen innerhalb der kriegerischen Konfrontation mit Russland – zu diesen Räumen gehört auch die polnische, aber natürlich auch die deutsche Gesellschaft. Auch die Causa Kursk ist ein aktuelles Beispiel einer solchen psychologischen Operation, in der anhand der anfänglichen Unklarheit über das Geschehene verschiedene proukrainische Narrative an Mann gebracht werden konnten, um eine zumindest vorübergehende Deutungsdominanz zu erlangen.
Die Myśl Polska zitiert die von der Nowa Technika Wojskowa im Jahr 2023 getätigte Aussage über die Basis der ukrainischen Operationsfähigkeit im Bereich der kognitiven Kriegsführung:
“Es ist bekannt, dass die direkte Hilfe bei der Organisation der Arbeit der IPSO-Zentren in der Praxis ständig von Spezialisten der amerikanischen 4th Information and Psychological Operations Group und der britischen 77th Information Branch Brigade geleistet wurde.”
Es muss also gar nicht spekuliert werden, ob die ukrainischen Streitkräfte ihre Propaganda ganz allein auf effektivem Niveau halten.
Schließlich macht der Autor Jastrzębski aufmerksam auf das ironische Paradoxon, dass noch immer viele seiner Landsleute sich von den “selbst ernannten Inquisitoren” der inländischen NATO-Medien einschüchtern lassen, wer genau ein “russischer Troll”, “russischer Desinformant” oder “nützlicher Idiot des Kremls” sei. Sind doch die allermeisten dieser systemischen und NATO-konformen Anfechter von gemäßigten oder prorussischen Positionen innerhalb Polens oft selber “Stipendiaten oder Angestellte einer Institution, die von Soros-Stiftungen und anderen westlichen NGOs gesponsert wird”.
Zusammengefasst heißt das: Der paramilitärische Begriff “IPSO” wurde besonders nach dem Ausbruch des Krieges in der Ukraine im Jahr 2022 weitverbreitet. Unter diese Abkürzung fallen alle Arten von taktisch konstruierten “Informationsabwürfen” und “Datenlecks”, die durchaus von allen Seiten des Konflikts gemacht werden, um den Feind zu verwirren, falsch zu informieren und zu demoralisieren. Das Wort “psychologisch” ist hierbei Hauptprogramm: “IPSOs” werden in erster Linie durchgeführt, um beim Gegner eine bestimmte psychologische Stimmung zu erzeugen. Wobei der Gegner nicht nur der Soldat aus der verfeindeten Armee im Schützengraben gegenüber ist. Der Gegner bin ich. Der Gegner seid ihr. Der Gegner sind ganze Gesellschaften, aber auch der einzelne Steuerzahler und seine Mutter aus dem jeweils entgegengesetzten System.
Elem Chintsky ist ein deutsch-polnischer Journalist, der zu geopolitischen, historischen, finanziellen und kulturellen Themen schreibt. Die fruchtbare Zusammenarbeit mit RT DE besteht seit 2017. Seit Anfang 2020 lebt und arbeitet der freischaffende Autor im russischen Sankt Petersburg. Der ursprünglich als Filmregisseur und Drehbuchautor ausgebildete Chintsky betreibt außerdem einen eigenen Telegram-Kanal, auf dem man noch mehr von ihm lesen kann.
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