Von Wladislaw Sankin
Das schwache Abschneiden des Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) bei den gerade zu Ende gegangenen Wahlen war überraschend. Noch im Oktober stand die Partei in den Umfragen bei sicheren acht Prozent. Doch am 23. Februar hat dieses Resultat nicht das BSW, sondern seine Rivalin, die Linkspartei, erzielt. Gerade vor fünf Monaten wurde letztere fast tot geglaubt. Die beiden Parteien haben innerhalb kürzester Zeit die Plätze getauscht: Nun kann das BSW mit 4,97 Prozent der Stimmen nicht in den Bundestag einziehen.
Diese extreme Knappheit beim Nichterreichen der fünfprozentigen Hürde ist an sich schon dramatisch genug, doch noch dramatischer scheinen die Auswirkungen dieses Scheiterns einer nunmehrigen “Kleinpartei” für die Bundespolitik der nächsten vier Jahre zu werden. Denn diese vier Jahre sind genau der zeitliche Rahmen, der uns nach Berechnungen des SPD-geführten Verteidigungsministeriums von einem angeblich sehr wahrscheinlichen Krieg gegen Russland trennen wird. Das BSW wäre die parlamentarische Kraft, die sich dieser Entwicklung am konsequentesten entgegengestellt hätte.
Schon allein deswegen wäre der Einzug des BSW in den Bundestag wünschenswert gewesen. Zwar ist das Bündnis nicht die einzige oppositionelle Partei, die für Entspannung im Verhältnis zu Russland und für ein Ende der Sanktionen plädiert. Es gibt mit 20,7 Prozent der Stimmen die noch viel mächtigere AfD. Doch zur Militäraffinität der AfD, die die Einführung eines zweijährigen Wehrdienstes und die Erhöhung des Militäretats auf 5 Prozent des BIP will, stellt das BSW einen geradezu krassen Gegenpol dar. Jetzt wird dieser Gegenpol fehlen.
In der gegenwärtigen außenpolitischen Situation ist es auch sehr ärgerlich auf Politik-Talente wie Żaklin Nastić und Sevim Dağdelen im Bundestag verzichten zu müssen. So hatte die BSW-Abgeordnete Nastić in der Dezembersitzung des Verteidigungsausschusses sehr kritische Fragen zur Stationierung der Bundeswehr in Litauen gestellt. Und Dağdelen hat sich im Bundestag mit den kraftvollsten Wortbeiträgen gegen die Taurus-Lieferungen eingesetzt, die zu einer Eskalation des Krieges führen könnten. “Wer aber meint, den Krieg nach Russland tragen zu müssen, der trägt am Ende den Krieg nach Deutschland”, sagte sie.
Außerdem kann Dağdelen mit guten Verbindungen zum Trump-Kabinett punkten, und zwar zum Gesundheitsminister Robert F. Kennedy und Geheimdienstdirektorin Tulsy Gabbard. Die letztere nennt sie sogar ihre Freundin und hofft auf ihre Mitwirkung bei der Aufklärung der Sabotageakten gegen die Nord-Stream-Pipeline in der Ostsee.
Als außenpolitische Sprecherin des BSW ist Dağdelen auch die konsequenteste NATO-Kritikerin. Mit ihrer Personalie setzte sich die Partei für einen Austritt Deutschlands aus der NATO und einen Abzug der US-amerikanischen Streitkräfte aus Deutschland ein. Das tut die AfD nicht. Die Alternative für Deutschland hat für die NATO-Norderweiterung gestimmt. Dazu mögen zwar viele ostdeutsche Verbände eine andere Meinung haben, aber im Moment ist die Partei eher von transatlantischen und militaristischen Kräften dominiert.
Durch das künftige Fehlen der BSW-Stimmen im Deutschen Bundestag wird die bislang ohnehin nur ganz leise getätigte Forderung für die Aufhebung der zahlreichen Sperren gegen die russischen Medien verstummen. So haben während der Wahlveranstaltung “Frieden mit Russland” in Berlin-Hellersdorf mit Dağdelen, der EU-Abgeordneten Ruth Firmenich und der BSW-nahen Publizistin Petra Erler gleich drei Rednerinnen die Aufhebung der Sanktionen gegen russische Medien und generell die Kontaktsperren nach Russland ausdrücklich gefordert.
Mit diesen (den russischen Medien) fehle das Korrektiv des eigenen Handelns aufgrund von unterdrückten Informationen, war eines der Argumente, und dies wiederum führe unausweichlich in einen militärischen Konflikt. Diese Forderung bekräftigte Dağdelen in einem anschließenden Gespräch mit RT DE. Das Gleiche gilt auch für den Jugendaustausch mit Russland. Die Partei ist die Einzige, die etwa eine Delegation zur 80. Siegesfeier nach Moskau oder eine Jugendgruppe zum Kennenlernen nach Russland schicken würde.
Auch hat in der Bundespolitik niemand Israel derart deutlich für die genozidale Kriegsführung im Gaza-Streifen kritisiert wie das BSW. Noch grausiger wird das künftige Schweigen dazu im Hinblick auf die immer konkreter werdenden Pläne zum Aufbau eines Groß-Israels.
Bei allen Schwächen und Inkonsequenzen in ihrem Programm kann man die AfD dennoch immer noch als Opposition bezeichnen – allerdings ab jetzt wohl als die einzige im Bundestag, da die Linken diese Funktion nicht mehr erfüllen. Das kann u. a. kritische Nachfragen, die Abgeordneten zustehen, erheblich einschränken.
So hätte das BSW nicht auf einen Antrag im Untersuchungsausschuss verzichtet, wenn man davon ausgehen würde, dass auch die AfD diesem Antrag zugestimmt hätte. Auch umgekehrt gilt es. Denn zusammen hätten die beiden Parteien gerade das 25-prozentige Quorum für einen Antrag auf Unterschlagung des Aufklärungsbemühens der Bundesbehörden in der Causa Nord Stream. Beide Parteien treten klar für die Wiederaufnahme der Gaslieferungen aus Russland ein. Dies sei die grundlegende Maßnahme für die Abkehr von der immer stärker um sich greifenden Energie- und Wirtschaftskrise.
Es mag eine Rolle gespielt haben, dass die scharfe Putin-Kritik der Parteigründerin Sahra Wagenknecht ihrem Geschöpf entscheidende Stimmen gekostet hat. Noch stärker dürfte die Koalitionsbildung mit Altparteien in zwei östlichen Ländern für den Misserfolg verantwortlich sein.
Aber nicht alles ist selbst verschuldet, auch manipulatives Medienverhalten zuungunsten der Partei soll dazu beigetragen haben, wie die Partei-Führung in ihrer ersten Stellungnahme am Montag feststellte. Die Medien hatten die Friedensfrage, das Leib- und Magen-Thema des BSW, in den Hintergrund gerückt und stattdessen die Aufmerksamkeit auf Migration gelenkt – ein Thema, von dem vor allem die ersten beiden Wahlgewinner profitiert haben dürften. Auch haben sie die Partei durch ominöse Umfragen kleiner erscheinen lassen, als sie ist, wie Fabio De Masi bemängelte.
Aber: Die Fakten sind geschaffen. Das BSW ist auf Bundesebene fortan eine außerparlamentarische Opposition – und das ist in Kriegs-umwitterten Zeiten keine gute Nachricht.
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