Während in der neuen Koalition die Debatte über Sanktionen beim gerade zwei Jahre alten Bürgergeld wieder eröffnet wurde, befasst sich eine kleine Studie mit den realen Lebensverhältnissen der Bezieher: Der Verein Sanktionsfrei e.V. finanzierte eine Internet-Umfrage unter Bürgergeldbeziehern, um Daten zu einigen Details zu erhalten. Die meisten dieser Ergebnisse überraschen Kenner der Materie nicht.
So gaben 72 Prozent der Befragten an, mit dem Regelsatz kein würdevolles Leben führen zu können. Eine Aussage, die objektiv längst bestätigt ist – der Paritätische, der bereits seit Einführung von Hartz IV im Jahr 2005 berechnet, wie hoch der Regelsatz sein müsste, kam im vergangenen Jahr auf eine Höhe von 813 Euro anstelle der aktuellen 563 Euro monatlich.
Dabei sagen selbst bei Lebensmitteln und Getränken nur 30 Prozent der Befragten, die finanziellen Mittel dafür reichten eher oder vollkommen aus. Bei Freizeit sind das nur 7 Prozent, bei Haushaltsgeräten 10, bei Bildung 11 und bei Kleidung 12 Prozent. Zahlen, die man eigentlich umkehren muss: bei 70 Prozent reicht das Geld nicht oder bestenfalls nur teils/teils für Lebensmittel und Getränke, bei Haushaltsgeräten reicht es dann bei 90 Prozent nicht.
Ein großer Teil der Befragten, 59 Prozent, leidet unter körperlichen Einschränkungen; aber nur 9 Prozent sagen, man könne sich mit dem Regelsatz gesund ernähren; 69 Prozent erklären, das gehe nicht. Fast jeder Fünfte, 19 Prozent, erklärt, im Haushalt würden nicht alle satt, 34 Prozent verzichten auf Essen, um andere notwendige Dinge finanzieren zu können, und 54 Prozent verzichten zugunsten ihrer Kinder auf Essen.
Auch wenn die Entwicklung der Regelsätze mit der Inflation Schritt hielt – gerade die Preise von Nahrungsmitteln und Strom sind weit überdurchschnittlich gestiegen, aber prozentual sind das die beiden größten Positionen im Bürgergeld, während sie bei Gutverdienern vergleichsweise schwach zu Buche schlagen. Theoretisch sollen Bezieher von Bürgergeld – eine Regelung, die mit Hartz IV im Jahr 2005 eingeführt wurde – für größere Ausgaben, wie beispielsweise den Ersatz einer kaputten Waschmaschine, ansparen. Vor 2005, in der Sozialhilfe, waren das Einzelleistungen, die bei Bedarf finanziert wurden. Spielraum gibt es jedoch kaum, so die Antwort der Befragten: 41 Prozent gaben an, niemanden zu kennen, der sie im Ernstfall finanziell unterstützen könnte; und 28 Prozent erklärten, sie müssten sich verschulden, um das tägliche Leben bewältigen zu können.
Ein großes Problem sind auch immer noch die Wohnkosten. Demnach müssen 12 Prozent der Befragten einen Teil ihrer Miete selbst zahlen, da das Jobcenter nach einem Jahr nur noch “angemessene Wohnkosten” übernimmt; auf Grundlage jeweils örtlicher Tabellen, für deren Obergrenzen aber in den meisten Regionen keine Wohnungen zu finden sind. Wenn die Miete höher ist, als es die Obergrenze zulässt, muss der Rest aus der Regelleistung bestritten werden. Durchschnittlich sind das 118 Euro. Allerdings machen sich auch 51 Prozent der übrigen Bürgergeldbezieher Sorgen, die Wohnung zu verlieren. Eine Sorge, die sich mit einer Wiedereinführung der Totalsanktionen (d. h. der Möglichkeit, nicht nur die Regelleistung, sondern auch die Kosten der Unterkunft zu streichen), wie das gerade in der Koalition debattiert wird, deutlich erhöhen dürfte. 48 Prozent sagen, die finanzielle Lage mit Bürgergeld sei für sie psychisch stark belastend; 29 Prozent sagen, sie sei eher belastend.
Von 5,5 Millionen Menschen, die Bürgergeld beziehen, sind über 800.000 Aufstocker; 1,5 Millionen sind nicht erwerbsfähig (darunter befinden sich beispielsweise alle Kinder, die noch zur Schule gehen); 1,1 Millionen stehen dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung, etwa wegen kleiner Kinder oder zu pflegender Angehöriger; und von den Verbliebenen haben 88 Prozent “Vermittlungshemmnisse”. Was einfach heißen kann, dass sie über 55 Jahre alt sind. Oder sie haben Kinder, aber keine Betreuung, oder körperliche Einschränkungen.
74 Prozent würden gerne ihren Lebensunterhalt selbst bestreiten können, aber nur 26 Prozent sind zuversichtlich, eine Stelle zu finden, mit der sie aus dem Bürgergeld entkommen können; 59 Prozent gehen davon aus, selbst wenn sie eine Stelle finden, weiter aufstocken zu müssen.
52 Prozent fühlen sich vom gesellschaftlichen Leben ausgeschlossen. 79 Prozent gehen davon aus, dass Politiker kein realistisches Bild davon haben, wie es Menschen mit Bürgergeld geht, 72 Prozent haben große Angst vor weiteren Verschärfungen und 80 Prozent beängstigt es, wie manche Politiker über Bezieher von Bürgergeld sprechen.
Die Zusammensetzung der 1.014 Befragten wich in einigen Punkten von der Zusammensetzung der Bürgergeldbezieher insgesamt ab. Am deutlichsten bei dem Punkt “Ausländische Staatsbürgerschaft” – die 47 Prozent aller Bürgergeldbezieher haben, aber nur 6 Prozent der Befragten. Die Studie spiegelt also vor allem die Lebenswirklichkeit der deutschen Bürgergeldbezieher wider. Außerdem sind in der Studie 17 Prozent alleinerziehend, während es insgesamt nur 14 Prozent sind; befragt wurden zu 57 Prozent Frauen, während es im Gesamtbezug 51 Prozent sind; und das Bildungsniveau der Befragten ist in Summe höher – 41 Prozent haben mittlere Reife, im Vergleich zu 23 Prozent in der Gesamtheit, und fünf Studienteilnehmer hatten sogar promoviert, während nur 7 Prozent keinen Schulabschluss hatten (insgesamt 25 Prozent).
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Und so sieht es wirklich aus: https://freedert.online/inland/248769-subventioniertes-lohndumping-fast-million-beschaeftigte-stocken-auf /https://de.rt.com/inland/248772-ob-hartz-iv-oder-buergergeld/