Die ukrainische Führung hatte bereits scharfen Protest gegen die Entscheidung Kanadas eingelegt, die reparierte Gasturbine für den russischen Energiekonzern Gazprom doch noch zurückzuschicken. Die deutsche Regierung hatte Ottawa darum gebeten, die Ausfuhr des überholten Bauteils für die aus Russland kommende Pipeline Nord Stream 1 zu genehmigen. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck verwies in seiner Begründung für die Rückgabe darauf, dass man dem russischen Präsidenten Wladimir Putin “keine Ausrede” geben sollte, die Gaslieferungen nach den Wartungsarbeiten komplett einzustellen. Vor allem die deutsche Wirtschaft würde dies hart treffen.
Doch aus Kiew folgte eine scharfe Reaktion. Dadurch würde Berlin nach Darstellung der Ukraine selbst “eine Ausnahme bei den Sanktionen” machen, die man gegen Moskau wegen seiner Militäroperation in dem Nachbarland verhängt hatte. Sowohl das ukrainische Energie- als auch das Außenministerium erklärten beide am Sonntag, die Entscheidung laufe darauf hinaus, die verhängten Strafmaßnahmen “den Launen Russlands” anzupassen. Der ukrainische Präsident Wladimir Selenskij sagte am Montag in einer Videobotschaft:
“Wenn ein terroristischer Staat eine solche Ausnahme bei den Sanktionen durchsetzen kann, welche Ausnahmen will er dann morgen oder übermorgen? Diese Frage ist sehr gefährlich. Und gefährlich nicht nur für die Ukraine, sondern auch für alle Länder der demokratischen Welt.”
Eine Regierungssprecherin in Berlin erläuterte jedoch am Montag in Berlin, die Lieferung der Turbine falle nicht unter die EU-Sanktionen, weil diese sich aus gutem Grund nicht gegen den Gastransit richteten. Selenskij pochte jedoch in seiner Videorede darauf, dass die Entscheidung über eine “Ausnahme bei den Sanktionen” in Moskau als “Manifestation der Schwäche” wahrgenommen werde.
Das russische Energieunternehmen hatte die Liefermenge durch die Ostseepipeline Nord Stream 1 im Juni um rund 60 Prozent gedrosselt und auf die fehlende Siemens-Turbine verwiesen, die zur Reparatur in Kanada war. Siemens Energy unterstrich seinerseits, dass man wegen der Strafmaßnahmen Ottawas, das jüngst auch die Öl-, Gas- und Chemieindustrie mit Sanktionen belegt hatte, das reparierte Bauteil aus Montréal nicht zurückliefern werden könne. Ottawa lenkte am vergangenen Wochenende ein und erlaubte die Rückgabe. Kanada erklärte, dass man eine “zeitlich begrenzte und widerrufliche Genehmigung” erteile. Die Turbine solle aber nicht direkt nach Russland an Gazprom, sondern zunächst nach Deutschland geschickt werden.
Doch das Tauziehen könnte weitergehen, denn jetzt will eine Nichtregierungsorganisation, die die Interessen der Ukrainer in der Diaspora vertritt, gerichtlich gegen diese Genehmigung vorgehen. Laut einem Bericht der Nachrichtenagentur Reuters habe der Ukrainische Weltkongress einen Antrag auf gerichtliche Überprüfung beim kanadischen Bundesgerichtshof eingereicht: Man fordere nach eigener Angabe “die Feststellung, dass die Entscheidung, Siemens eine Genehmigung zu erteilen, unangemessen und unberechtigt war, sowie die Aufhebung der Genehmigung”. Die Ausnahme vom Sanktionsregime gegen Moskau sei “völlig inakzeptabel”, so die Organisation weiter. Es gebe demnach echte Alternativen zur Deckung des deutschen Gasbedarfs, einschließlich des Kaufs über die ukrainische Pipeline.
Mehr zum Thema – Russland und die EU beginnen einen Überlebenskampf um Gas – wer gewinnt?