Von Sergei Gussarow und Polina Poletajewa
Russland hat das Verfahren der Aufkündigung des Vertrags über Konventionelle Streitkräfte in Europa (KSE-Vertrag) eingeleitet. Dies geht aus einer Anordnung von Präsident Wladimir Putin hervor. Parallel dazu ernannte der Staatschef den stellvertretenden Außenminister Sergei Rjabkow zu seinem Vertreter bei der Verhandlung dieser Angelegenheit im Parlament.
Der KSE-Vertrag war im Jahr 1990 von den Mitgliedsstaaten der NATO und des Warschauer Paktes unterzeichnet worden. Das Dokument sieht eine Einschränkung von fünf Kategorien konventioneller Waffen vor – Panzern, gepanzerten Kampffahrzeugen, Artillerie vom Kaliber über 100 Millimeter, Kampfflugzeugen und Kampfhubschraubern. Darüber hinaus sind der Austausch von Informationen und gegenseitige Inspektionen vorgesehen.
Im Jahr 1999 war in Istanbul eine aktualisierte Variante des KSE-Vertrags unterzeichnet worden. Auf ihrer Grundlage sollte ein Übergang von der Blockstruktur des Vertrags zu nationalen und territorialen Bestimmungen für Waffen und Technik für jeden Mitgliedsstaat stattfinden.
Der angepasste Vertrag wurde lediglich von vier Staaten ratifiziert, nämlich Russland, Weißrussland, Kasachstan und der Ukraine. Im Jahr 2007 fand in Wien eine von Russland initiierte Sonderkonferenz der KSE-Vertragsstaaten statt. Moskau erklärte dabei, dass das Abkommen ohne einen Beitritt Lettlands, Litauens und Estlands, eine Verminderung der Gesamtmenge an Waffen und Technik der NATO und einige weitere Bedingungen nicht funktionsfähig sei.
Wie der Experte der Assoziation von Militärpolitologen sowie Inhaber des Lehrstuhls für politische Analyse und sozialpsychologische Prozesse der Russischen Plechanow-Wirtschaftsuniversität Andrei Koschkin erklärte, sah der Vertrag gleiche Bestimmungen für alle Teilnehmer vor.
“Doch brach der Warschauer Pakt ebenso wie die UdSSR zusammen, während die Anzahl der NATO-Staaten auf 31 stieg. Somit entsprechen weder die Konfiguration von Staatsgruppen noch die Besonderheiten des Aufbaus der Waffenbalance der entstandenen Lage”, erklärte er in einem Gespräch mit RT.
Im Juli 2007 unterzeichnete Putin eine Anordnung über die Aussetzung des KSE-Vertrags und der damit zusammenhängenden internationalen Verträge durch die Russische Föderation.
Laut dem Dokument wurde diese Entscheidung getroffen “im Zusammenhang mit außerordentlichen Bedingungen, die sich auf den Inhalt des KSE-Vertrags vom 19. November beziehen, die Sicherheit der Russischen Föderation betreffen und eine Ergreifung von sofortigen Maßnahmen erfordern”.
Am 10. März 2015 beschloss Russland, seine Teilnahme an den Sitzungen der gemeinsamen Beratungsgruppe zum KSE-Vertrag einzustellen.
Damals erklärte Anton Masur, der Leiter der russischen Delegation zu Fragen der militärischen Sicherheit und der Waffenkontrolle während der Verhandlungen in Wien, dass Russland für die Aufrechterhaltung der Lebensfähigkeit des KSE-Vertrags jahrelang alles Mögliche unternommen habe.
Die NATO-Mitgliedsstaaten hätten es allerdings vorgezogen, die Bestimmungen des KSE-Vertrags durch eine Erweiterung der Allianz zu umgehen, und verhinderten gleichzeitig ein Inkrafttreten des angepassten Abkommens.
Masur merkte an, dass Moskau nach der Entscheidung im Jahr 2007 an der Beratungsgruppe weiterhin teilnahm und damit rechnete, dass diese Arbeit eine Grundlage für die Ausarbeitung eines neuen Kontrollregimes für konventionelle Waffen bilden würde. Dennoch seien die Sitzungen auf eine Vorlesung der Tagesordnung reduziert worden.
Der Militäranalytiker Oberst a. D. Wiktor Litowkin bemerkte in einem Gespräch mit RT, dass es in der entstandenen Lage um den KSE-Vertrag keine Gleichberechtigung der Parteien gab. Er sagte:
“Es kam dazu, dass bestimmte Länder Russland inspizieren dürfen, während wir nicht kommen und prüfen können, was etwa in Lettland passiert. Eine solche Ungleichberechtigung und Bevorteilung einer Seite, vor allem der NATO, die eine Osterweiterung begann, ist, gelinde gesagt, nicht nach unserem Geschmack.”
Litowkin merkte an, dass Moskau seine Teilnahme am KSE-Vertrag so lange aussetzte, bis andere Staaten ihre Teilnahme am Vertrag ratifizieren und ihn erfüllen würden.
“Doch in den vergangenen Jahren regte sich kein einziger NATO-Staat. Mehr noch, sie verletzten alle Quoten auf die Präsenz von Waffen in jedem Land, begannen, Waffen von einem Land ins andere zu verlegen und sie an unseren Grenzen zu konzentrieren”, fasste er zusammen.
Vor diesem Hintergrund habe Moskau beschlossen, dass eine weitere Teilnahme am Vertrag keinen Sinn habe, schloss Litowkin.
Übersetzt aus dem Russischen.
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