Wie befreit man einen Journalisten aus der Gefangenschaft? Diese Frage stellen sich viele, seitdem der australische Journalist und WikiLeaks-Gründer Julian Assange im Londoner Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh einsitzt.
In einem Hollywood-Film würden eine paar Teufelskerle und eine Femme Fatale den Ausbruch minutiös planen, an dessen Ende die Gefängnismauer sprengen, den gefangenen Helden aus den Fängen der Mächte der Finsternis befreien – und der Tag wäre gerettet.
Im wahren Leben ist es anders. Statt eines Husarenstreichs läuft seit Jahren ein müßiger, aber dennoch entscheidender Rechtsstreit über die Auslieferung von Assanges an die USA. Aktuell kämpfen die Anwälte noch um die Zulassung der Berufung. Und ein Sieg steht dabei alles andere als fest. Doch wer seine Hoffnung auf Gerechtigkeit nicht verlieren will, braucht Assange – und zwar in Freiheit.
“Was ist uns Freiheit wert?”
“Wir brauchen Assange”, stellte denn auch der Journalist und Filmemacher Uli Gellermann klar. Es ist Freitag, der 2. Juni, und in der Musikbrauerei in Berlin findet das mittlerweile 4. Soli-Konzert “Julian Assange” statt. Zwei Räume, der eine bestuhlt, der andere mit Bar und Bühne, beide mit einem großen “Free Assange”-Banner, beide voller solidarischer Besucher.
Mit seiner Aussage, dass die USA die weltweit treibende Kraft hinter den schlimmsten Kriegen sind, dürfte Gellermann unter den Anwesenden vermutlich niemanden überraschen. Dasselbe in den wichtigsten Medien dieses Landes laut zu sagen, gilt heutzutage mindestens als unfein, wenn es denn überhaupt verbreitet werden darf. Für die Besucher des Soli-Konzerts ist es Konsens.
Veranstaltungen wie solche Solidaritäts-Konzerte kosten jedoch auch viel Geld, worauf die Musikerin und Moderatorin Nina Maleika hinweist. Alternative Medien und Künstler erlangen ihre Anerkennung und Verdienste nur in einer kritischen Öffentlichkeit. Das sei mit kostenlosen Inhalten im Netz ja heutzutage nicht mehr allen klar. Also fragt Maleika: “Was sind uns freie Kunst, freie Presse und Meinungsfreiheit wert?” Dann halten alle Künstler und Besucher gemeinsam inne für eine Schweigeminute – für Julian Assange und für alle politischen Gefangenen.
“Ihr kriegt uns nie mehr auf die Knie”
Den ersten Musikauftritt legt der Veranstalter und Rockbarde Jens Fischer Rodrian mit einer Zwei-Mann-Band hin. E-Gitarre und Schlagzeug, der Bassist ist leider verloren gegangen. Fischer singt “Ihr kriegt uns nie mehr auf die Knie”, und wer es bis jetzt nicht verstanden hat, merkt spätestens hier, dass der Kampf für Pressefreiheit ein größerer Kampf ist als allein für die Freilassung von Julian Assange. Auch das Thema der staatlichen Corona-Maßnahmen ist für keinen der Besucher hier vergessen und vergeben. Der Fehdehandschuh der Tyrannen wurde aufgenommen. “Wir sind gekommen, um zu bleiben”, singt Fischer weiter. Jetzt wird pariert.
Nach dem musikalischen Auftritt des Künstlers Piet Starrett in grünem Overall und rot behaarter Maske betritt André Krengel die Bühne. Mit seiner Gitarre erzählt er die Geschichte einer russischen Hochzeit, die so voller Lebensfreude ist, dass sie zum Schluss außer Kontrolle gerät. Krengel hofft, dass auch Assange wieder Lebensfreude wird genießen können – in Freiheit.
Krengel stimmt ein Regenkonzert an. Nach dem Unwetter braucht es einen reinigenden Regen, so Krengel. “Die Hoffnung auf diesen Regen haben wir, glaube ich, alle.” Dann spielt Krengel noch ein Lied aus seiner Konzertreihe “Clubphonia”, mit der er vor der Pandemie auftrat. Er spiele das zwar lieber mit einem Ensemble, aber seit Corona stand er auf einmal solo da, schickt Krengel voraus: “Man kennt das.” Das Publikum kümmert die schmale Besetzung nicht und es jubelt nach einer Zugabe.
“Wir sind im Reinen mit dem deutschen Volk”
Doch jetzt will der Musiker und Autor Tino Eisbrenner wissen “Wir sind für Assange hier, oder?” und stimmt mit Gesang und Gitarre Rainer Maria Rilkes Gedicht an “Der Panther”. Eisbrenner begann seine Musikkarriere noch als junger Mann in der DDR mit der Gruppe “Jessica”. Und 2023 trat er jüngst sehr erfolgreich auf dem Galakonzert des Internationalen Musikfestivals “Straße nach Jalta” im Kremlpalast in Moskau auf.
Gemeinsam mit der russischen Sängerin Sara Mgojan sang Tino Eisbrenner vor 6.000 Zuschauern eines der berühmtesten russischen Lieder über den Krieg: “Schurawli” (Kraniche) – auf Russisch und auf Deutsch. “Sag deinen Leuten, wir sind im Reinen mit dem deutschen Volk”, gab man Eisbrenner in Moskau mit auf den Weg zurück nach Deutschland. In der Musikbrauerei spielt Eisbrenner als Zugabe auf Wunsch ein zweites russisches Lied: von Wladimir Wyssozkis “Pesnja o Druge” (Lied über den Freund).
Nach diesem kurzen Ausflug in die weite Welt holt der Schauspieler Burak Hoffmann das Publikum in die enge Realität Deutschlands zurück, wo der man nichts “Falsches” mehr sagen darf, sofern man noch eine stromlinienförmige Karriere plant. Julian Assange wurde besonders bitter von der Zensur getroffen, doch oft fängt Zensur nicht erst bei Gesetzen an, sondern beim Diskurs, wie Hoffmann zu spüren bekam. Seit der Übertragung seiner “Ungehaltenen Rede” beim Radio München erhielt Hoffmann keine neuen Aufträge mehr.
Erstaunlich, wie schnell sich Diskurse ändern können, staunt Hoffmann und verweist auf einen seiner Poetry-Slam-Texte aus dem Jahr 2014, als noch jeder sehen und aussprechen konnte, welche Schäden die Geopolitik der USA anrichtete. Was hat sich verändert? Damals erhielt Hoffmann noch von allen Seiten Zuspruch, in der Musikbrauerei trägt er vor Eingeweihten vor: “Wenn das Aufdecken von Verbrechen wie Verbrechen behandelt wird, dann werden wir von Verbrechern regiert.”
“Wir wollen aber keine Zuschauer sein”
Den krönenden Abschluss des Abends darf der Rapper Kilez More bilden, der sich schon seit vielen Jahren öffentlich und musikalisch für die Freilassung von Assange einsetzt. Zwischen seinen Liedern wie “Friedensbewegung”, “Wir setzen ein Zeichen” und “Was wir alleine nicht schaffen” warnt Kilez More davor, sich auf Versprechungen derzeit herrschender Politiker zu verlassen.
Ob Politiker der Grünen wie Annalena Baerbock oder Robert Habeck oder der vormalige US-Präsident Donald Trump: Erst forderten sie vollmundig (oder kleinlaut) Assanges Freilassung. Dann kamen sie an die Macht und alle Versprechungen waren vergessen.
Im anschließenden Podiumsgespräch weist auch Gabriele Gysi darauf hin, dass man nicht untätig bleiben darf. Assange würde vor unser aller Augen systematisch in den Tod getrieben. “Und wir sollen Zuschauer sein. Wir wollen aber keine Zuschauer sein, deswegen sind wir hier.” Gefängnismauern sprengt man nicht in einer Nacht.
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