Der Einsatz der Bundeswehr im Inneren ist mit hohen Hürden verbunden. Denn bislang ist die Aufgabenverteilung der Sicherheitskräfte in Deutschland strikt getrennt: So fällt das Aufgabengebiet der inneren Sicherheit in den Zuständigkeitsbereich der Polizei, während die Bundeswehr das Land lediglich nach außen hin verteidigen soll. Doch an dieser bisher strengen Regelung soll jetzt offenbar gerüttelt werden. Werden wir in Zukunft also vermehrt deutsche Soldaten im Inlandseinsatz sehen?
Als Konsequenz auf die Jahrhundertflut im Ahrtal, die Corona-Krise und den Krieg in der Ukraine bekommt die Bundeswehr zum 1. Oktober jetzt nämlich ein territoriales Führungskommando, das für die neuen Herausforderungen im Bereich der inneren Sicherheit zuständig sein soll. “Der russische Einmarsch in der Ukraine hat die Notwendigkeit unterstrichen, die Führungsorganisation der Streitkräfte verstärkt auf die Anforderungen der Landes- und Bündnisverteidigung auszurichten”, heißt es in einem offenen Brief von Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) an die Streitkräfte, der auf der Website der Bundeswehr veröffentlicht wurde:
“Hierzu haben wir entschieden, zum 1. Oktober 2022 ein ‘Territoriales Führungskommando der Bundeswehr (TerrFüKdoBw)’ in Berlin aufzustellen.”
Das neue Kommando soll demnach künftig unter anderem für die operative Führung nationaler Kräfte im Rahmen des Heimatschutzes zuständig sein. Neben der Amts- und Katastrophenhilfe beinhaltet das auch die zivil-militärische Zusammenarbeit von Polizei und Bundeswehr bei der Terrorabwehr sowie bei der Zerschlagung von Aufständen in Deutschland.
Seine Arbeit aufnehmen wird das neue Führungskommando bereits im kommenden März – unter Führung von Generalmajor Carsten Breuer, der zuletzt auch den Corona-Krisenstab im Kanzleramt führte. 1.900 neue Stellen sind für die Aufgabenwahrnehmung des Kommandos vorgesehen, unter anderem bei den Feldjägern sowie den ABC-Abwehrkräften:
“Die in der Streitkräftebasis zusammengefassten Enabler (u. a. mobile logistische Truppen, ABCAtomar, Biologisch, Chemisch-Abwehrkräfte, Feldjäger) werden im Zusammenhang mit dem deutschen Beitrag zur Erfüllung der NATO-Bündnisverpflichtungen um insgesamt 1.900 Dienstposten verstärkt.”
“Mit dem neuen Kommando können wir über die rein militärischen Aufgaben hinaus sehr schnell die nötigen Kräfte für einen nationalen Krisenstab bereitstellen, wenn das notwendig ist – etwa im Falle von Hochwasserkatastrophen oder wie in der COVID-Pandemie”, wird Lambrecht in einer Presseerklärung des Bundesverteidigungsministeriums zitiert. Daneben soll das Kommando künftig auch für nationale Verlegungen von Soldaten im Zusammenhang mit Planungen der NATO zur Landes- und Bündnisverteidigung zuständig sein:
“Mit Aufstellung des TerrFüKdoBw stellen wir die nationale territoriale Führungsfähigkeit über das gesamte Spektrum ‘Frieden – Krise – Krieg’ her.”
Somit wird die Bundeswehr infolge der beschlossenen Umstrukturierungsmaßnahmen künftig zwei Führungskommandos haben, die mit unterschiedlichen Aufgaben betraut sein werden. Demnach soll das neue Kommando wesentliche Aufgaben bei der Führung der Streitkräfte in Deutschland übernehmen, während das Einsatzführungskommando in Schwielowsee bei Potsdam die Auslandseinsätze führen soll.
Völlig neu ist die Idee der Notwendigkeit eines solchen Kommandos jedoch nicht. In ihrem Strategiepapier “Eckpunkte für die Bundeswehr der Zukunft” hatten die damalige Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) und der Generalinspekteur der Bundeswehr, General Eberhard Zorn, im Mai 2021 weitreichende Vorschläge für eine Strukturreform der Streitkräfte unterbreitet, die unter anderem auch das jetzt gegründete territoriale Führungskommando der Bundeswehr vorsahen.
Plant die Bundesregierung somit bereits seit Längerem, dass die Bundeswehr vermehrt den Aufgabenbereich der Polizei übernehmen soll? Zumindest lassen das sich häufende Übungen des Heeres in Deutschland vermuten, die zu Teilen auch unter der Beteiligung der Polizei stattfanden. Unter anderem trainierten rund 150 Einsatzkräfte von Polizei und Bundeswehr im vergangenen Oktober bei einer sogenannten “Terrorismusabwehr Exercise” in Bayern, das Zusammenwirken bei lebensbedrohlichen Lagen. Zwar darf die Bundeswehr auch in Bayern nur in Ausnahmefällen in unterstützender Rolle tätig werden. Ein Terroranschlag wäre nach Ansicht des bayerischen Innenministers Joachim Herrmann (CSU) allerdings ein solcher Ausnahmefall.
“Klar ist: Für die innere Sicherheit in Bayern bleibt zuallererst die Bayerische Polizei zuständig”, betonte der Innenminister in einer Pressemitteilung. “Angesichts der anhaltenden terroristischen Bedrohung müssen wir jedoch auch auf Extremfälle vorbereitet sein und auf die besonderen Fähigkeiten der Bundeswehr zurückgreifen können.”
Bei einer ähnlichen Übung im April patrouillierten Soldaten des Jägerbataillons 292 der Bundeswehr bewaffnet und in voller Montur durch die baden-württembergische Stadt Donaueschingen. Auch dort fand die Übung, die angeblich der Einsatzvorbereitung der Soldaten für eine im Herbst anstehende Mali-Mission diente, unter Beteiligung der örtlichen Polizeikräfte statt. Geübt wurde nach Angaben der Bundeswehr die Niederschlagung bewaffneter Konflikte.
Um die Bedingungen im Einsatz so real wie möglich simulieren zu können, übten die Soldaten des Jägerbataillons in voller Montur und trugen Waffen. Auch drei voll ausgerüstete, gepanzerte Radfahrzeuge kamen demnach in der kleinen Stadt zum Einsatz. “Die Polizei ist sehr wichtig für unseren Auftrag. Durch sie erfahren wir, wo es Konflikte gibt”, erklärte der mit der Übung betraute Ausbildungsleiter Hauptmann Pascal Hille in einer Pressemitteilung der Bundeswehr.
Doch wann kann die Bundeswehr laut der gängigen Rechtsprechung überhaupt in Deutschland eingesetzt werden? Das Grundgesetz lässt hier drei Optionen zu. Für die erste sind die Hürden relativ gering, für die beiden anderen jedoch hoch. Der erste Fall wäre die Amtshilfe, wie sie etwa im Zuge der COVID-19-Pandemie stattfand. Der zweite Fall ist der innere Notstand. Hier darf die Bundeswehr laut Grundgesetz (Art. 87a Abs. 4 GG in Verbindung mit Art. 91 Abs. 2 GG) zum Schutz von zivilen Objekten und bei der Bekämpfung nichtstaatlicher Gegner eingesetzt werden, wenn diese organisiert und militärisch bewaffnet sind.
Dies gilt laut einem Gutachten des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages derzeit allerdings nur, wenn die freiheitliche demokratische Grundordnung des Bundes oder eines Landes gefährdet ist und die Kräfte von Polizei und Bundespolizei nicht ausreichen. Allerdings liegt ein solcher Fall dann auch “oberhalb der Einsatzschwelle”. Das bedeutet, dass bei einem solchen Szenario zum Beispiel auch militärische Mittel eingesetzt werden. In einem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 19. Mai 2010 heißt es dazu:
“Es ist sicherzustellen, dass die Streitkräfte niemals als innenpolitisches Machtinstrument eingesetzt werden. Abgesehen von dem extremen Ausnahmefall des Staatsnotstandes, in dem nur zur Bekämpfung organisierter und militärisch bewaffneter Aufständischer als letztes Mittel auch Kampfeinsätze der Streitkräfte im Inland zulässig sind (Art. 87a Abs. 4 GG).”
Der dritte Fall ist die Katastrophenhilfe. Bei Naturkatastrophen wie Überschwemmungen sowie in besonders schweren Unglücksfällen wie Flugzeugunglücken oder Unfällen in Kernenergieanlagen darf die Bundeswehr die Polizeikräfte laut Grundgesetz im Inland unterstützen, wenn Hilfe erforderlich ist. Daneben kann die Bundeswehr zur Verteidigung des Bundesgebiets eingesetzt werden, wenn Deutschland im Zuge eines militärischen Konflikts angegriffen wird.
So ist abschließend festzuhalten, dass der Einsatz von Bundeswehr-Streitkräften im Inneren zwar vorerst auch weiterhin an die im Grundgesetz verankerten Voraussetzungen geknüpft ist. Wann jene jedoch erfüllt sind, ist – wie so oft in der Rechtsprechung – allerdings Auslegungssache. Somit steigt die Gefahr, dass die Bundeswehr künftig auch als “innenpolitisches Machtinstrument” gegen die Bürger eingesetzt werden kann.
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