Von Dagmar Henn
Das zieht derzeit in Deutschland. Nachdem es gelungen ist, die Russen zur Verkörperung des Bösen an sich zu machen, und auch die Sabotagegeschichte bereits seit Längerem gespielt wird, siehe Ostsee, ist eigentlich so gut wie alles dafür geeignet, jene Mischung aus Grusel und Neugier zu erzeugen, die derartige Behauptungen besonders gut verbreitbar macht.
Wie eben jetzt mit den angeblichen russisch beauftragten Beschädigungen von Autos. Die es sogar bis in die Tagesschau geschafft hat.
“Laut einem Bericht wurden Hunderte Autos beschädigt, um Ressentiments gegen die Grünen zu schüren – angeblich steckt Moskau dahinter.”
270 Fahrzeuge, bei denen der Auspuff mit Bauschaum verstopft wurde. 270 von 49 Millionen in Deutschland zugelassenen Pkw, und das auch noch verteilt auf Baden-Württemberg, Berlin, Brandenburg und Bayern. Und bei jedem Pkw dann ein Bildchen von Wirtschaftsminister Robert Habeck.
Drei Verdächtige soll es geben; angeblich habe einer von ihnen gestanden, über einen Messenger Anweisungen erhalten zu haben. Das Entgelt habe für jedes sabotierte Fahrzeug 100 Euro betragen.
“Sicherheitskreise sprechen laut dem Bericht von einer gezielten Kampagne mit der Absicht, im Bundestagswahlkampf Ressentiments gegen die Grünen und ihren Kanzlerkandidaten Habeck zu schüren.”
Das ist ja irgendwie niedlich, dass sich Sicherheitskreise überhaupt veranlasst sehen, sich ausführlich mit Vorfällen zu befassen, die ein Fahrzeug auf 181.000 betrafen. Russischer Einfluss auf die Bundestagswahl? Selbst wenn jeder, dessen Auspuff verstopft war, fest davon überzeugt wäre, dass die Klimakleber dahintersteckten, die ja für vielerlei Unfug gut sind, und mindestens zehn Leute in seinem Umfeld davon überzeugt, deshalb keinesfalls die Grünen zu wählen – da hätten die angeblichen drei Täter aber noch viele Monate schäumen müssen, wenn das bei der Bundestagswahl auch nur im hinteren Nachkommabereich Wirkung hätte zeigen sollen. Nicht einmal die angerichteten Schäden sind wirklich nennenswert:
“Allein im Raum Ulm seien 123 Fahrzeuge beschädigt worden, der Schaden belaufe sich dabei auf rund 6000 Euro.”
Also bitte, so was schafft doch jedes Bundesligaspiel. Ganz abgesehen davon, dass der Flugzettel mit dem Habeck-Bild auch noch lila war. Keine Ahnung von Corporate Identity, die Jungs. Weder Grün noch Sonnenblume. Wer soll das denn glauben?
Klar, die Grünen springen auf den Zug auf, mit Schwung. So Konstantin von Notz, immer für eine Attacke gegen Russland gut:
“Seit Monaten wird durch Spionage und Sabotage gezielt versucht, Verunsicherung zu schüren, bestehende Konflikte anzuheizen und uns als Gesellschaft zu spalten.”
Und Parteichefin Franziska Brantner wälzt sich gleich in Selbstlob:
“Wir stehen für Demokratie, Freiheit und Gerechtigkeit – Werte, die autoritäre Staaten und allen voran Russland ablehnen und bekämpfen.”
So bescheiden. Die armen, verfolgten Grünen, die ja so viel Hass und Hetze aushalten müssen, nur weil sie so tapfer am Ruin des Landes arbeiten …
Aber schalten wir doch mal den Verstand ein. Als Versuch der Wahlbeeinflussung scheitert das schon in den Dimensionen. Selbst wenn jeder Eigentümer eines beschädigten Fahrzeugs ganze hundert Deutsche dazu bringen würde, nicht die Grünen zu wählen, wäre das immer noch nicht genug.
Ganz anders sieht das jedoch aus, wenn man die Geschichte umdreht. Da gibt es einen Messenger-Kanal, über den Menschen Geld versprochen wird. Dahinter kann jede beliebige Person stecken. Wenn jemand im Internet behauptet, Russe zu sein (sofern diese Aussage der Behörden stimmt), heißt das noch lange nicht, dass es sich tatsächlich um einen Russen handelt. So ist das in der virtuellen Welt.
Sobald man die böse alte Frage stellt: cui bono, zu wessen Nutzen, schüttelt sich die ganze Geschichte nämlich ganz anders zurecht. Vor allem, wenn man berücksichtigt, dass die Grünen zwar eine Katastrophe sind, wenn es darum geht, etwas für das Land zu tun, aber in einem immer die Nase weit vorn hatten: in der Werbung. Bis hin zum Guerilla-Marketing. Es ist das eine, das sämtliche Vereine und Organisationen in ihrem Umfeld auszeichnet, sie wissen, wie man aus wenig Handlung überzeugend viel PR macht. Das erinnert ein wenig an Bauschaum.
Nun hat die Bastelarbeit der Auspuffsaboteure es erst in dem Moment in die Schlagzeilen gebracht, als die 270 Fahrzeuge mit dem bösen Russland in Verbindung gebracht wurden. Dann aber gab es ganz viel kostenlosen Spielplatz, auf dem die Grünen, denen all der Habecksche Unfug der letzten Jahre doch etwas zugesetzt hatte, die armen verfolgten Opfer geben können.
Was sie selbstverständlich auch in epischer Breite tun. Technisch betrachtet ist das eine Menge kostenloser Werbezeit, die in den Nachrichten untergebracht wird und damit viel wertvoller ist als diese doofen Wahlwerbespots, die ja jeder haben darf. Der Aufwand dafür? 270 mal 100, also ganze 27.000 Euro. Den Bauschaum mussten die Angeheuerten vermutlich selbst bezahlen, genauso, wie die völlig missratenen Habeck-Werbezettel.
Ein ausgesprochen effizienter Einsatz der verfügbaren Mittel. Die am Ende erzeugte Botschaft mobilisiert die eigenen Anhänger und hilft gleichzeitig, die katastrophale Regierungsbilanz bei anderen in den Hintergrund zu drängen. Undenkbar?
Vielleicht sollte man sich erinnern, wie das in Rumänien war, als sich die Russland zugeschriebenen TikTok-Videos letztlich als Werk einer neoliberalen Konkurrenzpartei erwiesen. Und vorsichtshalber mal noch einen Blick auf die Gelbhaar-Affäre in Berlin werfen, nur um ins Gedächtnis zu rufen, wozu sie gegeneinander schon imstande sind. Eine Art doppelte Aktion unter falscher Flagge? Das kann durchaus drin sein, und, wie schon gesagt, die Wirksamkeit ist ausgesprochen überzeugend. Es hat nun einmal seine Vorteile, wenn man von den meisten Journalisten gewählt wird.
Und nie war das Bedürfnis, sich “von außen” etwas zusätzliche Legitimität zu verschaffen, größer als heute. Denn der größte Bringer bei der eigenen Klientel, die Klimaerzählung, hat, auch dank der Klimakleber, viel an Bindungswirkung eingebüßt. Sie muss also zumindest vorübergehend durch einen anderen Grund ersetzt werden, warum die Grünen – und nur die Grünen – für das einzig Wahre, Gute und Schöne stehen.
Ja, in Summe ist diese Variante weitaus schlüssiger und realistischer als die Vorstellung, russische Dienste seien so blöd, mit 270 zugeklebten Autos die Bundestagswahl beeinflussen zu wollen. Zumal die Klimakleber inzwischen sowieso schon bei jedem verhasst sind, der kein direkter Fan ist. Nicht, dass das die deutschen Staatsanwaltschaften oder gar die deutschen Sicherheitsbehörden daran hindern würde, weiter die Geschichte vom bösen Russen zu erzählen. Da geht es schließlich auch ums eigene Budget. Aber das normale Publikum sollte doch Abstand nehmen und den eigenen Kopf gebrauchen, wenn derartige Geschichten präsentiert werden.
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