Von Murad Sadygzade
Etwa ein halbes Jahr vor den US-Präsidentschaftswahlen 2024 sind die wahrscheinlichen Kandidaten, wie schon 2020, der derzeitige US-Präsident Joe Biden und der Star der republikanischen Opposition, der ehemalige Präsident Donald Trump. Im November 2024 werden die beiden Kandidaten zusammen 159 Jahre alt sein. Damit sind sie die ältesten Kandidaten für das höchste Amt in den USA und übertreffen den Rekord, den sie selbst bei der Präsidentschaftswahl 2020 aufgestellt haben.
Dies wirft die nachdrücklichste Frage in der amerikanischen politischen Diskussion auf: Sind die Wahlkampfkandidaten, der 77-jährige Donald Trump und der 81-jährige Joe Biden, in der gesundheitlichen Verfassung, das Amt des Staatsoberhauptes und des Oberbefehlshabers effektiv auszuüben? Die öffentliche Aufmerksamkeit richtet sich bei dieser Frage in erster Linie auf den amtierenden Präsidenten. Obwohl Trump nur vier Jahre jünger ist als Biden, zeigt der Republikaner praktisch keine Anzeichen des Alterns.
Was ist mit Bidens Gesundheit los?
Gedächtnisprobleme: Biden vergisst in der Öffentlichkeit manchmal Details oder bringt Fakten durcheinander, erinnert sich beispielsweise nicht an Daten und Ereignisse oder verwechselt die Namen von Schlüsselfiguren und führenden Politikern der Welt. So erwähnte er beispielsweise fälschlicherweise Gespräche mit längst verstorbenen Staatsoberhäuptern wie dem ehemaligen deutschen Bundeskanzler Helmut Kohl und dem ehemaligen französischen Präsidenten François Mitterrand.
Fauxpas: Es gibt Fälle, in denen Biden in seinen Reden Namen und Details verwechselt, zum Beispiel wenn er frühere Staatsoberhäupter mit aktuellen verwechselt oder sich ungenau an historische Ereignisse erinnert.
Körperliche Unbeholfenheit: Es ist nachdrücklich dokumentiert, dass Biden gelegentlich stolpert oder auf öffentlichen Plätzen das Gleichgewicht verliert, obwohl solche Momente weniger häufig diskutiert werden als seine verbalen Ausrutscher.
Die Frage, ob die wichtigsten Präsidentschaftskandidaten zu alt oder gebrechlich sind, ist ein Novum in der jüngeren Geschichte der USA. Früher haben die Präsidentschaftskandidaten traditionell die Ergebnisse ihrer Gesundheitsuntersuchungen veröffentlicht; in den letzten 24 Jahren wurde jedoch bei keinem Anwärter auf das Weiße Haus die Fähigkeit, sein Amt auszuüben, so genau geprüft wie bei Biden.
Historische Parallele und Rückblick: Die Kampagne von John McCain 2008
Das letzte Mal, dass der Gesundheitszustand eines Kandidaten so genau unter die Lupe genommen wurde, war im Wahlkampf 2008, als der junge demokratische Senator Barack Obama und der ältere republikanische Senator John McCain in den Kampf um die Präsidentschaftskandidatur zogen.
Damals gab es in der Öffentlichkeit erhebliche Bedenken hinsichtlich McCains Gesundheit. McCain war damals 72 Jahre alt und damit der älteste Präsidentschaftskandidat, der von einer großen Partei nominiert wurde. Diese Bedenken wurden durch seine medizinische Vorgeschichte und die zermürbende Art des Wahlkampfes noch verstärkt.
Das Alter von McCain war ein wichtiger Faktor für eine mögliche Skepsis bei den Wählern. Der ältere Kandidat warf gegenüber dem dynamisch jungen Obama Fragen zu seinem Durchhaltevermögen und seiner Fähigkeit auf, den körperlichen und geistigen Anforderungen des Präsidentenamtes über einen Zeitraum von acht Jahren gerecht zu werden.
Außerdem war McCain an einem Melanom erkrankt, einer schweren Form von Hautkrebs, die bereits mehrfach behandelt worden war. Dies gab Anlass zur Sorge über seinen langfristigen Gesundheitszustand und die Möglichkeit eines erneuten Auftretens seiner Krankheit.
Neben dem Melanom hatte sich McCain mehreren Operationen unterzogen und hatte weitere gesundheitliche Probleme, die mit seiner Zeit als Kriegsgefangener in Vietnam zusammenhingen, wo er schwere Verletzungen erlitt und erheblichen physischen und psychischen Belastungen ausgesetzt war.
McCain versuchte, diese Vorwürfe und Bedenken zu zerstreuen, indem er offensiv im Mai 2008 über 1.100 Seiten medizinischer Unterlagen veröffentlichte. In diesen Unterlagen wurden seine Melanom-Behandlung, seine regelmäßigen ärztlichen Untersuchungen und sein allgemeiner Gesundheitszustand ausführlich beschrieben.
Seine Kampagne organisierte auch ein Treffen mit einer Gruppe von Journalisten, die die Möglichkeit hatten, die Unterlagen unter kontrollierten Bedingungen einzusehen und seinen Ärzten Fragen zu stellen.
Wie bei Biden betonten die Medien oft McCains Alter und seine medizinische Vorgeschichte und stellten manchmal seine Eignung für das Präsidentenamt in Frage. Die erheblichen öffentlichen Diskussionen darüber, ob er dem mit dem Amt verbundenen Druck standhalten könnte, wurden durch die Wahl von Sarah Palin als republikanische Vizekandidatin noch verstärkt. Palin, eine frühere Gouverneurin von Alaska, galt als relativ unerfahren auf der nationalen Bühne, und ihre Bereitschaft, die Präsidentschaft zu übernehmen, falls McCain nicht in der Lage sein sollte, seine Pflichten zu erfüllen, ließ Zweifel aufkommen. Dies verstärkte die Bedenken hinsichtlich McCains Gesundheit und der Stabilität seiner potenziellen Regierung.
Die Sorgen um McCains Gesundheit war während des gesamten Wahlkampfes ein ständiges Thema. Sie waren zwar nicht allein ausschlaggebend für den Wahlausgang, trugen aber dazu bei, ein breiteres Bild von McCains Eignung für die Präsidentschaft im Vergleich zu seinem jüngeren Gegner Barack Obama, der damals 47 Jahre alt war, zu zeichnen. Obamas Jugend und Energie standen oft im Gegensatz zu McCains Alter und Gesundheitsproblemen und beeinflussten die öffentliche Wahrnehmung und die Stimmung der Wähler.
Insgesamt war die öffentliche Besorgnis über den Gesundheitszustand von John McCain während des Wahlkampfes 2008 ein medial-politischer wichtiger Aspekt, der durch sein Alter, seine medizinische Vorgeschichte und die hohen Anforderungen des Präsidentenamtes geprägt war. Trotz der Bemühungen, diese Bedenken durch Transparenz und medizinische Informationen auszuräumen, blieben sie während des gesamten Wahlkampfes ein Thema für Diskussionen und Kontroversen.
Gegenwärtige Bedenken und Untersuchungen: Der Biden-Bericht des Sonderstaatsanwalts Robert Hur
Die Regierung Biden schaffte es, die Diskussion über seinen Gesundheitszustand aus der allgemeinen politischen Diskussion herauszuhalten, und alle Stolperer und Stürze wurden auf Müdigkeit und einen vollen Terminkalender zurückgeführt oder als alltäglich abgetan. Die Situation änderte sich jedoch mit der Veröffentlichung des Berichts von Robert Hur im Februar 2024, in dem sich der mit der Untersuchung eines Skandals um Bidens Umgang mit geheimen Dokumenten beauftragte Sonderstaatsanwalt zu seinem Gesundheitszustand äußerte.
In Hurs Bericht heißt es, dass während seiner Untersuchung “Beweise dafür gefunden wurden, dass Präsident Biden nach dem Ende seiner Vizepräsidentschaft unter Barack Obama, als gesetzlich definierte Privatperson, absichtlich geheime Materialien aufbewahrt und weitergegeben hat”.
Hur kam jedoch zu dem Schluss, dass “die Beweise nicht zweifelsfrei für eine Schuld sprechen”. Er begründete dies damit, dass “Präsident Biden vor Gericht wahrscheinlich genauso vor den Geschworenen erscheinen würde, wie er während unseres Interviews mit ihm war – ein charmanter, umgänglicher älterer Mann mit schlechtem Gedächtnis”. Nach Hurs Meinung wäre es daher “schwierig, die Geschworenen davon zu überzeugen, dass sie ihn – den inzwischen achtzigjährigen ehemaligen Vizepräsidenten – wegen einer schweren Straftat, die Vorsatz erfordert, verurteilen sollten”.
Die große Resonanz auf Hurs Bericht erforderte ein sofortiges Handeln der Biden-Administration, um den durch seine Veröffentlichung entstandenen Schaden zu begrenzen.
Diese Reaktion war die Veröffentlichung des aktuellen Gesundheitsberichts des Präsidenten am 28. Februar 2024. Die Untersuchung wurde von Kevin O’Connor, dem Arzt des US-Präsidenten, von der George Washington University School of Medicine & Health Sciences durchgeführt.
Das Dokument wurde an die Assistentin des Präsidenten und Pressesprecherin des Weißen Hauses, Karine Jean-Pierre adressiert. In dem Papier heißt es:
“Präsident Joe Biden kann zusammenfassend als gesunder, aktiver, robuster 81-jähriger Mann beschrieben werden, der nach wie vor in der Lage ist, die Aufgaben der Präsidentschaft erfolgreich zu erfüllen, einschließlich der Aufgaben als Chef der Exekutive, Staatsoberhaupt und Oberbefehlshaber.”
Die Darlegungen lösten eine erneute, umgehende Diskussion über Bidens Gesundheit aus. Es kamen zudem auch Fragen über die Haltung der demokratischen Regierungsmitglieder auf, die Bidens Nominierung für eine weitere Amtszeit als Präsident unterstützen, da Robert Hur ein Untergebener von US-Justizminister Merrick Garland ist, einer als sehr einflussreich geltenden Persönlichkeit in der Parteienstruktur der Demokraten.
Debatten und Diskussionen: Der erste ernsthafte Test für Bidens Gesundheit
Angesichts der Realitäten des politischen Lebens in den USA kann man mit Fug und Recht behaupten, dass ein neuer Präsidentschaftswahlkampf unmittelbar am Tag der Amtseinführung des gewählten Präsidenten beginnt. Das zurückliegende Jahr, insbesondere die nun letzten Monate vor dem US-Wahlkampftermin am 5. November, sind jedoch für den Kandidaten die größte gesundheitliche Herausforderung. Diese Phase ist gekennzeichnet durch häufige Reisen quer durch das Land, öffentliche Auftritte bei Kundgebungen und die Teilnahme an Debatten. All dies erfordert von den Kandidaten eine robuste Gesundheit und eine große Menge an Energie.
Für Joe Biden ist diese Phase noch belastender, da er gezwungen ist, den anstrengenden Wahlkampf mit den täglichen Pflichten des Präsidenten der Vereinigten Staaten zu verbinden. Ein Artikel der New York Post aus dem Dezember des Vorjahres berechnete, dass Biden während der laufenden Amtszeit 37 Prozent des Jahres an seinen bevorzugten Urlaubs- und Rückzugsorten in Delaware, an noblen Ferienorten oder in Camp David, verbrachte. Im Jahr 2022 waren es sogar 40 Prozent.
Im Mai dieses Jahres erklärte Biden in einem Interview in der ‘The Howard Stern Show’, dass er selbstverständlich an Debatten mit dem wahrscheinlichen Kandidaten der Republikaner, Donald Trump, teilnehmen wolle. “Ich freue mich, mit ihm zu debattieren”, so Biden. Mit dieser Aussage sollten letzte Zweifel an seiner Teilnahme an den Präsidentschaftsdebatten, die traditionell in drei verschiedenen Staaten stattfinden, ausgeräumt werden. Mitte Mai erklärte sich Bidens Team bereit, dass der Präsident an den vom US-Sender CNN organisierten zwei Debatten teilnehmen wird. Das erste Streitgespräch ist für den 27. Juni angesetzt.
Mit seiner Entscheidung, an den Debatten teilzunehmen, verfolgt Biden zwei wichtige Ziele: die öffentliche Darstellung zu ändern, dass Biden die direkte Diskussion mit seinem republikanischen Gegner vermeidet, und seine Position in den Umfragen zu verbessern (laut den meisten Wählerumfragen liegt Biden entweder hinter Trump oder gleichauf).
Um die erste Aufgabe zu lösen, muss Biden einfach nur zum vorgesehenen Zeitpunkt auf der Bühne erscheinen; die zweite Aufgabe könnte sich als schwieriger erweisen. Der amtierende Präsident muss, wie jeder Politiker, der seine Position durch die Teilnahme an Debatten verteidigt, überzeugend und logisch sein und geistige Beweglichkeit zeigen. Und das alles unter den Bedingungen einer 90-minütigen Live-Sendung mit einem argumentativ sehr starken Gegenkandidaten – Donald Trump.
Die Vorhersage der möglichen Auswirkungen des Gesundheitszustands von Joe Biden auf die bevorstehenden Wahlen ist reine Spekulation und Vermutung. Die Analyse möglicher Szenarien hängt direkt vom tatsächlichen Gesundheitszustand des Präsidenten und seinen Diagnosen ab, die der breiten Öffentlichkeit nicht bekannt sind.
Zweifellos wird der Gesundheitszustand von Joe Biden jedoch eines der Hauptelemente der Wahlkampfrhetorik von Donald Trump sein, auch während der ersten für Juni angesetzten persönlichen Debatten. Wie überzeugend diese Argumente sein werden, wird jedoch von Bidens öffentlichem Auftreten in der Hauptphase des Präsidentschaftswahlkampfes 2024 im Sommer und Herbst abhängen.
Murad Sadygzade ist Präsident des Zentrums für Nahoststudien sowie Gastdozent an der HSE-Universität (Moskau)
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