Von Dagmar Henn
Also ein neuer Anschlag auf die Brücke von Kertsch, und die Bild-Zeitung jubelt und zitiert die BBC, der gegenüber ein “Insider” von Überwasserdrohnen gesprochen haben soll. Das ist der zweite Anschlag dieser Art, wieder wurden völlig Unbeteiligte getötet und wieder wird kein westliches Land den Terroranschlag verurteilen.
Mehr noch – das kleine Detail, dass die BBC mit einem “Insider” gesprochen hat, legt eigentlich etwas ganz anderes nahe. Die Briten haben die Ukraine mit Unterwasserdrohnen ausgerüstet und das Personal dafür ausgebildet. Mehrere Angriffe auf die Krim, auf Häfen der Krim, erfolgten bereits mit britischem Material und womöglich unter britischer Kontrolle. Ob Über- oder Unterwasserdrohne, beide hätten aus Richtung Nikolajew oder Odessa starten und zuerst die gesamte Krim umfahren müssen. Sollte sich die Vermutung bewahrheiten, dass dieser Anschlag vom Wasser aus erfolgte, ist die Wahrscheinlichkeit britischer Beteiligung, wenn nicht Planung sehr hoch.
Was einen tiefen Widersinn in der gesamten westlichen Propaganda in Erinnerung ruft. Wie war das noch mit der Debatte darüber, wann man kriegsbeteiligt sei und wann nicht? Auch das neueste Papier des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages rief ins Gedächtnis, dass seit Mitte des 20. Jahrhunderts Kriege nicht mehr erklärt, sondern durch kriegerische Handlungen de facto begonnen werden (und ja, wer dabei an Nord Stream denkt … ). Gleichzeitig legt es die Definition darüber, was als solcher zählt und was nicht, völlig in die Hand des Angegriffenen.
In den westlichen Medien wird nicht nur ständig behauptet, Russland führe einen “völkerrechtswidrigen Angriffskrieg”. Nein, mehr noch, es werden alle möglichen Schauergeschichten kolportiert, es wird wider besseres Wissen behauptet, die russische Armee misshandle Kriegsgefangene und halte sich auch sonst nicht an die Genfer Konventionen. Es wird in jeder Hinsicht der Eindruck erweckt, es handele sich um einen Staat, der gleichsam wie ein Gesetzloser handelt; der weder als staatliche Struktur noch in Gestalt seiner einzelnen Soldaten irgendwelche Normen anerkenne.
Wäre dem so, müssten sich allerdings die westlichen Staaten, Deutschland eingeschlossen, weit zurückhaltender benehmen und alles tun, um ja nicht den Anschein zu erwecken, irgendwie in einem Konflikt mit diesem so gefährlichen Staat zu sein. Denn, nicht zu vergessen, dieses Monster besitzt Atomwaffen, und jemand, dem sonst jede Regel, jede Moral, jedes Recht gleich ist, hat mit Sicherheit keine Skrupel, sie auch einzusetzen, oder?
Man würde ja ja auch nicht dem berüchtigtsten Schläger in der Dorfkneipe das Mädchen ausspannen, Zucker ins Bier kippen (nicht zu vergessen, ihn vorher auch noch beim Skat zu betrügen) und dann noch ganz laut: “Hier bin ich, ich war’s!” schreien, außer man hat sich eine gute Position beim Darwin-Award zum Lebensziel gesetzt.
Wenn man sich die Entwicklung deutscher Waffenlieferungen an die Ukraine betrachtet, ging das Schritt für Schritt, und jedes Mal hatte die Bundesregierung die Erwartung, dass nichts passieren werde, obwohl man sich bereits seit der Ausbildung an den Haubitzen in der Grauzone bewegt. Hat der Dorfschläger eine Grauzone? Würde ein Staat, der so verfasst ist, wie es von Russland ständig behauptet wird, überhaupt auf Handlungen in dieser Grauzone warten oder nicht schon längst selbst reagieren?
Klar, am Anfang konnten die westlichen Propagandisten noch behaupten, das sei, weil der Westen so stark und grundsätzlich überlegen sei. Seit den jüngsten Erklärungen wie jener von US-Präsident Joe Biden zu den vorhandenen Granaten und den vielen Aufnahmen brennender westlicher Fahrzeuge dürfte deutlich genug sein, dass das immer ein Märchen war.
Wenn aber der vermeintliche zügellose Schläger nicht durch die Stärke seines Gegenübers aufgehalten wurde, warum wurde dem Knaben, der beim Skat betrügt, mit der Freundin rummacht und Zucker ins Bier kippt, nicht schon längst eine verpasst?
Das kann nur sein, wenn die ganze Erzählung nicht stimmt und die Rollen völlig anders verteilt sind. Wäre der russische Staat einer, der tatsächlich das Völkerrecht missachtet, dann könnte man ihm nicht derart auf der Nase herumtanzen, wie es die westlichen Staaten tun. Die Grauzone zwischen Nichtbeteiligung und Kriegsbeteiligung existiert überhaupt nur, weil das Gegenüber das Völkerrecht nicht bloß anerkennt, sondern geradezu pingelig beachtet. Denn selbst jemand, der diese Regeln grundsätzlich einhält, aber eher aggressiv veranlagt wäre, würde reagieren, sobald die Grenze in diese Grauzone überschritten ist. Denn wenn es unklar ist, ob eine Handlung bereits eine Kriegsbeteiligung ist oder nicht, dann ist es auch kein Rechtsbruch, sie als Beteiligung zu behandeln.
Es ist also der vermeintlich Gesetzlose, der dieses Verhalten überhaupt ermöglicht. Es ist Russland, das die Grauzone restriktiv auslegt – nicht mangels Macht. Der einzige Grund, warum der Krieg in der Ukraine trotz der Bemühungen der westlichen Regierungen nicht weiter eskaliert ist, liegt darin, dass das Gegenüber, nämlich Russland, keine Eskalation will.
Wäre die gesamte westliche Propaganda wahr, dann wäre das Verhalten der westlichen Regierungen eine Kohlhaas’sche Idiotie, und es wäre ein unerklärlicher Zufall, dass es ihnen noch nicht gelungen ist, den eigenen Untergang herbeizuführen. Dass selbst eine Unterstützung des ukrainischen Staatsterrorismus nicht dazu führt, dass im konkreten Fall beispielsweise, sagen wir, die Reste der britischen Flotte eine Exkursion zum Meeresgrund antreten, lässt sich bei einem minimalen Einsatz von Logik nur auf eine Art und Weise begründen: Die Rolle des Schurken ist völlig anders besetzt, als die westlichen Medien das glauben machen wollen.
Natürlich wird sich diese Propaganda nicht ändern. Im Gegenteil, alle Indizien deuten darauf hin, dass weiter eifrig am Bild des unzivilisierten, zügellos brutalen Russen gebastelt wird. Aber diese Überlegungen sind zumindest gut – nachdem jeder, der halbwegs logisch denken kann, imstande ist, diesem Gedankengang zu folgen, und man bei den aktiven Schreibern des propagandistischen Apparats zwar weder Recherchefähigkeiten noch Geschichtskenntnisse voraussetzen, aber wohl noch einfaches logisches Denken erwarten kann, ist damit klar, dass es sich bei ihrer Tätigkeit um kein Versehen handelt. Um keinen Mangel an Information. Sondern um schlichte, ordinäre, gewerbsmäßige Lügen.
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