Nachdem die US-Behörden in dieser Woche eine abgelaufene Lizenz, die es dem russischen Finanzministerium bislang erlaubte, US-Dollar-Verpflichtungen gegenüber ausländischen Anlegern zu bedienen, nicht verlängert hatten, begannen westliche Marktteilnehmer mit dem Countdown für einen möglichen Zahlungsausfall Russlands bei der Bedienung seiner Auslandsschulden. Das russische Finanzministerium kündigte daraufhin an, dass es gezwungen sein wird, seine Verpflichtungen in Rubel zu bedienen.
Internationale Rating-Agenturen erklärten, dass eine Redenominierung von Zahlungen (Änderung der Zahlungswährung) einen Zahlungsausfalldarstellen würde, es sei denn, es gibt mehrere neuere Eurobond-Emissionen durch das Finanzministerium, bei denen die Option einer Zahlung in Rubel für den Fall vorgesehen ist, dass eine Zahlung in US-Dollar nicht möglich ist. Russland hat Staatsanleihen im Wert von mehr als 30 Milliarden US-Dollar (etwa 27,9 Milliarden Euro) auf dem Markt, die auf US-Dollar lauten.
In den Unterlagen aller russischen Emissionen ist jedoch eine “Währungsentschädigungsklausel” (Currency Indemnity Clause) enthalten. Sie eröffnet theoretisch die Möglichkeit, Zahlungen in Rubel zu leisten, ohne dass ein Zahlungsausfall Russlands erklärt werden muss. Die Regelung ist unabhängig von einer anderen Bedingung, der alternativen Zahlungswährung, die in den ab 2018 ausgegebenen Wertpapieren enthalten ist und Zahlungen in Rubel ermöglicht, wenn etwa Sanktionen die Zahlung in der ursprünglichen Währung verhindern. Eine entsprechende Recherche wurde von der russischen Zeitung RBC durchgeführt.
Die Währungsentschädigungsklausel sieht vor, dass für den Fall, dass Russland (aufgrund eines Urteils, eines Gerichtsbeschlusses einer beliebigen Gerichtsbarkeit oder einer anderen Entscheidung) einen Schuldner in einer anderen Währung als US-Dollar bezahlen kann und die Zahlungsverpflichtung als erfüllt gilt, wenn der Anleger den Betrag der anderen Währung am nächstmöglichen Tag in Höhe des fälligen Betrags in US-Dollar umtauschen kann. Liegt der US-Dollarbetrag jedoch unter dem bei der Umwandlung fälligen Betrag, sei die Russische Föderation verpflichtet, dem Inhaber den Fehlbetrag und alle weiteren Transaktionskosten zu erstatten.
Warum Russland versuchen könnte, diesen Punkt zu nutzen?
Die Bestimmung bezieht sich auf “gerichtliche” Entscheidungen, ist aber im Prinzip weit genug gefasst, dass Russland kein Zahlungsausfall nachgewiesen werden kann, wenn ausländische Inhaber seiner Wertpapiere tatsächlich in der Lage sind, die erhaltenen Rubel in US-Dollar umzutauschen, so Maximilian Hess, Leiter der Abteilung für politische Risiken bei der Beratungsfirma Hawthorn Advisors. Diese knifflige Bedingung ermögliche es Russland möglicherweise, seine Anleiheverpflichtungen durch Zahlungen in Rubel zu erfüllen, bestätigt auch Mitu Gulati, Staatsschuldenforscher und Professor an der University of Virginia School of Law.
Am 25. Mai stellte das russische Finanzministerium klar, dass Rubelzahlungen an ausländische Schuldner möglicherweise über das National Settlement Depository als Zahlungsstelle in die ursprüngliche Währung entsprechend der Verpflichtung umgerechnet werden können. Das Finanzministerium bestätigte, dass theoretisch jeder ausländische Schuldner, auch aus Ländern, die Russland nicht freundlich gesinnt sind, von einem speziellen Unterausschuss des russischen Finanzministeriums die Erlaubnis erhalten könne, Rubel in US-Dollar zu konvertieren und auf diesem Weg ins Ausland zu bringen. Russland könnte dennoch Wege finden, um die Zahlungen über nicht sanktionierte Institutionen abzuwickeln, räumte Rachel Ziemba, Gründerin des Beratungsunternehmens Ziemba Insights, ein. Das National Settlement Depository steht nicht unter US-Sanktionen und kann daher entsprechende Transaktionen abwickeln.
Ohne eine US-Lizenz dürfen US-Investoren (vermutlich eine Minderheit) zwar keine Transaktionen mit dem russischen Finanzministerium durchführen, das heißt, sie können mit den erhaltenen Rubel nach der neuen Zahlungsmethode nichts anfangen. Nichtamerikanische Anleger (vermutlich eine Mehrheit) könnten hingegen Rubel erhalten und sie in US-Dollar umtauschen. Damit wäre es nicht mehr möglich, einen Zahlungsausfall Russlands zu erklären.
Hess ist jedoch der Ansicht, dass die International Swaps and Derivatives Association ISDA, die die Zahlungen von Finanzinstrumenten regelt, die Anleger gegen den Zahlungsausfall von Emittenten versichern, oder Kreditrating-Agenturen die Erklärung eines russischen Zahlungsausfalls auch dann anerkennen würden, wenn das russische Finanzministerium seine Zahlungen an die ausländischen Schuldner in Rubel leistet, da die Konvertierung des Rubels nicht reibungslos verläuft.
Weitere Optionen
Die Eurobonds des russischen Finanzministeriums werden am 23. Juni (US-Dollaranleihen mit alternativer Zahlungsmöglichkeit in Euro, Pfund Sterling oder Schweizer Franken) und dann am 24. Juni (US-Dollarpapiere ohne Währungsalternativen) fällig. Erstere haben eine Nachfrist von 30 Tagen, innerhalb derer die Zahlung noch möglich ist, ohne dass Verzug eintritt, während letztere eine Nachfrist von 15 Tagen haben. Der Zahlungsausfall erfolgt jedoch nicht automatisch: Mindestens 25 Prozent der Inhaber der Emission müssen ihn erklären. In diesem Fall können auch Inhaber anderer Emissionen deren vorzeitige Rückzahlung einfordern (Cross-Default).
Vom russischen Finanzministerium wurde bereits eine Möglichkeit geprüft, die Verpflichtungen aus Eurobonds in Rubel (in US-Dollar als ursprünglicher Währung) durch ein Verfahren zur vorzeitigen Rückzahlung zu 100 Prozent des Nennwerts zu erfüllen. Da es sich dabei um ein freiwilliges Angebot handelt, kann es damit nicht zum Zahlungsausfall bei der Rücknahme der Wertpapiere in Rubel kommen, erklärte Hess. Darüber hinaus gilt die Rücknahme von Wertpapieren rechtlich nicht als Rücknahme, sodass sie zu beliebigen Bedingungen erfolgen kann. Ende März reichten die ausländischen Schuldner jedoch fast keine Papiere für die vorzeitige Rücknahme von Rubel ein, da sie keine Garantie hatten, diese in US-Dollar umtauschen und aus Russland herausbringen zu können.
Die Bedingungen der russischen staatlichen Eurobonds sehen auch die Möglichkeit vor, die Währung der Emission zu ändern. Dazu müssen allerdings die Inhaber von 75 Prozent der Emission einer solchen Änderung zustimmen.
Russland kann sich auch die Möglichkeit vorbehalten, auf Euro lautende Schuldtitel an nichtamerikanische Inhaber zu zahlen. Am 4. Mai teilte die EU-Kommission mit, dass die europäischen Sanktionen die russische Regierung nicht daran hindern, die vor dem 9. März ausgegebenen Eurobonds zu bedienen. Darüber hinaus erlaubte die britische Regierung am 1. April, dass die Finanzinfrastruktur des Vereinigten Königreichs bis mindestens zum 30. Juni für die Zahlung russischer Staatsschulden genutzt werden kann.
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