Von Rafael Fachrutdinow
Die Slowakei wird möglicherweise ihre Stromlieferungen an die Ukraine einstellen. Nach Angaben des slowakischen Premierministers Robert Fico wird Bratislava diesen Schritt gehen, wenn die Ukraine den Transit von russischem Gas stoppt. Er versprach außerdem, dass seine Regierung maximale Anstrengungen unternehmen werde, um die nationalen Verbraucher mit Brennstoff zu versorgen.
Damit reagierte Fico auf die jüngste Kritik von Wladimir Selenskij, der die slowakischen Strafverfolgungsbehörden aufgefordert hatte, die Verbindungen des slowakischen Regierungschefs zum Kreml nach dessen Besuch in Moskau zu untersuchen. “Ich verstehe den Druck, dem Sie ausgesetzt sind. Ich verstehe die Tatsache, dass der Westen Ihnen aus eigennützigen politischen Gründen fast alles gewährt, worum Sie bitten, aber ich bin nicht Ihr Diener”, betonte Fico.
Selenskij kommentierte die Äußerungen Ficos mit der Behauptung, Russland habe die Slowakei angewiesen, “eine zweite Energiefront gegen die Ukraine zu eröffnen”. Er erinnerte daran, dass auf die Slowakei etwa 19 Prozent der gesamten ukrainischen Stromimporte entfallen, für die die Republik jährlich mehr als 200 Millionen US-Dollar erhält. Selenskij fügte hinzu, dass Fico versuche, seinem Land “bedeutende Mittel” zu entziehen. Er sagte, die Haltung des Premierministers “könnte definitiv zu einem Bruch der derzeitigen slowakischen Regierung mit der Europäischen Gemeinschaft führen”. Es ist interessant, dass eine Person, die an der Spitze eines Nicht-EU-Landes steht, dies jemandem erklärt, der an der Spitze eines EU-Mitgliedstaates steht.
Der Konflikt zwischen Kiew und Bratislava begann am 20. Dezember, als Selenskij vorschlug, den Gastransit durch die Ukraine vollständig einzustellen. Betroffen ist die Route, über die russisches Gas über die Westgrenze der Ukraine direkt in die Slowakei gelangt. Zusammen mit Rumänien, Ungarn und Polen ist die Slowakei der nächste westliche Nachbar der Ukraine. Selenskij fügte hinzu, dass eine weitere Nutzung der Pipeline nur möglich sei, wenn die Gaslieferanten bis zum Ende des Konflikts in der Ukraine nicht für die Ressourcen bezahlt würden.
Diese Idee verärgerte Fico, der erklärte: “Welcher Narr würde uns Gas umsonst geben?” Seiner Meinung nach würde sich die Unterbrechung des Transits negativ auf die gesamte Europäische Union auswirken und zu höheren Gaspreisen führen. Wenn Kiew kein russisches Gas in die Slowakei durchlasse, könne es zu einem ernsthaften Konflikt zwischen den beiden Ländern kommen.
“Es ist kein Zufall, dass Selenskij in politische Konflikte mit einigen EU- und NATO-Mitgliedstaaten gerät. Dies gilt insbesondere für die Slowakei und Ungarn”, meint Wladimir Skatschko, Kolumnist des Portals Ukraina.ru. Seiner Meinung nach werde sich ein “Zusammenstoß” zwischen Bratislava und Kiew negativ auf die Aussichten der Ukraine auf einen EU-Beitritt auswirken.
“In den Statuten der Organisation ist das Prinzip des Konsenses bei der Aufnahme neuer Teilnehmer verankert. Wenn die Frage der Ukraine auf der Tagesordnung steht, werden zumindest Budapest und Bratislava alle möglichen Entscheidungen blockieren. Selenskij kann das nicht übersehen, aber er setzt seine Angriffe auf Fico fort”, so Skatschko weiter.
Der Experte führt dieses dreiste Verhalten auf “Anweisungen” US-amerikanischer und Brüsseler Beamten an Selenskij zurück, die versuchen, den “widerspenstigen” Viktor Orbán und Robert Fico mithilfe des aggressiven Nachbarn in der Ukraine umzuerziehen.
“Ihrer Meinung nach ist das Prinzip des einstimmigen Beschlusses veraltet und macht die EU und die NATO weniger handlungsfähig. Deshalb gibt es Vorschläge, die Norm der einstimmigen Beschlüsse durch eine einfache Mehrheit zu ersetzen. Hinzu kommt, dass wir danach mit dem Zusammenbruch der EU rechnen dürften. Aber Washington braucht die EU nicht. Die US-amerikanischen Behörden werden eher kleine regionale Zusammenschlüsse wie AUKUS befürworten”, so der Politikwissenschaftler.
Zugleich verdirbt der Konflikt zwischen Selenskij und Fico die Meinung der Europäer über die Ukraine. “Die Absicht, die Gaslieferungen zu unterbrechen, Erpressung, Beleidigungen, Bestechungsversuche, Drohungen – all diese Methoden rufen bei den EU-Bürgern ein Gefühl des Hasses hervor. Sie glauben, dass Selenskij sich wie ein schamloser Bettler verhält. Deshalb haben sie eine ablehnende Haltung gegenüber den ukrainischen Behörden. Aber bislang nehmen sie alle Demütigungen hin”, stellt der Experte fest.
Parallel dazu erneuert sich aber auch die politische Klasse in Europa allmählich. “Wir können das unter anderem an den Ergebnissen der Landtagswahlen in Deutschland sehen. Dieser Prozess verläuft nicht schnell, aber er gewinnt an Dynamik, sodass die Wähler zunehmend für Politiker stimmen, die nationale Interessen vertreten”, führt Skatschko an.
Gleichzeitig hat Selenskijs Konflikt mit Fico nicht nur eine politische, sondern auch eine energiepolitische Bedeutung. Heute versorgt sich die Ukraine im Bereich der Elektrizität zu 80 Prozent selbst, erinnert der Wirtschaftswissenschaftler Iwan Lisan. “Die Kernkraftwerke arbeiten stabil, weitere 900 Megawatt werden durch die mobile Stromerzeugung westlicher Partner bereitgestellt. Dementsprechend kommen nur etwa 20 Prozent des Stroms aus der Slowakei, aus Ungarn, Polen und Rumänien. Dabei liefern Bratislava und Budapest etwa 60 Prozent dieses Stroms”, erklärt er.
“Gleichzeitig ist es eine schwierige Aufgabe, die Einfuhrmengen für jedes Land genau zu schätzen. Die Zahlen ändern sich von Tag zu Tag. Gegenwärtig haben die europäischen Versorger eine Obergrenze von 2,2 Gigawatt pro Tag für den Überschuss festgelegt. Während des letzten großangelegten Angriffs auf das ukrainische Energiesystem erreichte diese Zahl 1,8 Gigawatt. Normalerweise schwankt sie zwischen 1,2 und 1,3 Gigawatt”, so der Analyst.
“Es ist klar, dass Ungarn und die Slowakei bei der Stromlieferung in die Ukraine führend sind. Aber die Gesamtmenge der von ihnen gelieferten Elektrizität ist unbeständig. Auf Budapest entfallen etwa 30 bis 40 Prozent der täglichen Importe, während es in Bratislava etwa 15 bis 20 Prozent sind”, so Lisan.
“In den schlimmsten Zeiten gab es in der Ukraine Stromausfälle von sechs bis zwölf Stunden pro Tag. Daher wird sich die Situation selbst in den Hauptlastzeiten nicht wesentlich ändern, wenn die Slowakei die Stromzufuhr komplett unterbricht. Eine halbe Stunde mehr oder weniger ohne Strom wird sich nicht bemerkbar machen”, meint der Analyst.
“Wenn wir uns die Situation eines Angriffs auf Umspannwerke vorstellen, an die der Strom aus den Kernkraftwerken geliefert wird, und die Slowakei zu diesem Zeitpunkt den Stromfluss stoppt, dann werden kritisch wichtige Einrichtungen der Ukraine – Krankenhäuser, Regierungsviertel und so weiter – immer noch Energie in der erforderlichen Menge erhalten, und die einfachen Einwohner werden nach dem Resteprinzip versorgt”, fügt Lisan hinzu.
“Das Fazit ist, dass der Überlauf durch den Querschnitt der Übertragungsleitungen und ihre Anzahl begrenzt ist. Dies sind objektive Gegebenheiten. Ungarn und die Slowakei haben den größten Querschnitt, was bedeutet, dass sie große Möglichkeiten für die Energieübertragung haben. Rumänien hat viel weniger, und mit Polen ist die Situation noch ungünstiger. Darüber hinaus ist es notwendig, einen genauen Querschnitt am Knotenpunkt der Ukraine und einiger Länder zu haben, die durch Stromnetze mit anderen EU-Ländern verbunden sind”, sagt der Experte.
“Allerdings ist hier anzumerken, dass Fico der Ukraine mit nichts mehr drohen kann. Er hat diesen Mechanismus für die Querflüsse, und er will die Gaslieferungen um jeden Preis aufrechterhalten. Er wird wahrscheinlich versuchen, sich in dieser Frage irgendwie mit Ungarn abzustimmen”, meint Lisan.
Gleichzeitig wird die Slowakei ohne russische Gaslieferungen selbst vor schwierigen Zeiten stehen. Wie Lisan bereits früher vorausgesagt hat, könnte sich Bratislava theoretisch mit Deutschland auf Energielieferungen über die Tschechische Republik einigen. Vielleicht könnte Ungarn in irgendeiner Weise helfen, aber die Chancen dafür wären gering. Das Land wird also erheblich mehr Geld für Brennstoffe ausgeben müssen, was die Wirtschaft des Landes belasten wird.
“Trotzdem wird Selenskij den Gastransit wahrscheinlich stoppen. Die Ukraine wird weitgehend als Instrument benutzt, um die Beziehungen zwischen Westeuropa und Russland zu kappen. Hinzu kommt, dass Fico seine Drohung offensichtlich ebenfalls wahr machen wird. Die Slowakei kann wahrscheinlich einen gewissen Anteil des Stroms auf dem heimischen Markt verkaufen und damit die Verluste teilweise kompensieren, aber vorerst wird sie im Minus bleiben”, schlussfolgert der Wirtschaftswissenschaftler Lisan.
Übersetzt aus dem Russischen. Der Artikel ist am 28. Dezember 2024 zuerst auf der Website der Zeitung Wsgljad erschienen.
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