Von Felicitas Rabe
Vor rund zwei Jahren, am 7. Dezember 2022, veranlasste die Generalbundesanwaltschaft in Karlsruhe die Festnahme von “25 mutmaßlichen Mitgliedern und Unterstützern einer terroristischen Vereinigung” sowie Durchsuchungsmaßnahmen “in elf Bundesländern bei insgesamt 52 Beschuldigten”. Den Verhafteten aus der sogenannten “Reichsbürgerszene” wurde die Planung eines Staatsstreichs und die Bildung einer terroristischen Vereinigung vorgeworfen.
Angeblich hätten sie einen gewaltsamen Angriff auf das Reichstagsgebäude in Berlin geplant und dafür rund eine halbe Million Euro eingesammelt und ein “massives Waffenarsenal” angelegt, so eine Sprecherin der Bundesanwaltschaft. Laut Generalbundesanwalt Peter Frank wollte die Gruppe die “bestehende staatliche Ordnung in Deutschland, die freiheitlich-demokratische Grundordnung, unter Einsatz von Gewalt und militärischen Mitteln zu beseitigen”.
Allen Angeklagten drohen im Verurteilungsfall langjährige Haftstrafen. Insgesamt wurde Anklage gegen 27 Männer und Frauen erhoben. Angeblich aus Gründen der “Prozessökonomie” wurde das Verfahren in drei Prozesse vor unterschiedlichen Oberlandesgerichten aufgeteilt. In Frankfurt am Main stehen die mutmaßlichen Rädelsführer vor Gericht – darunter auch der angebliche Kopf der Organisation und Hauptangeklagter, der sich selbst als Heinrich XIII. Prinz Reuß bezeichnet. Dort begann der Teilprozess am 21. Mai 2024.
Das juristische Fachportal Legal Tribune Online bezeichnete den Prozess in Frankfurt in einem Beitrag vom 16. Mai 2024 als Mammutprozess. In Sossenheim, am Stadtrand von Frankfurt, wurde dafür als Gerichtsaußenstelle extra eine neue Halle gebaut, die rund 1.300 Quadratmeter Platz bietet. Laut Gerichtsprecherin Gundula Fehns-Böer hat es am Frankfurter OLG noch kein Verfahren in dieser Größenordnung gegeben. Von Beginn an stürzten sich Medien auf das Verfahren. Dazu verlautbarte der Bayerische Rundfunk im Mai 2024:
“Es dürfte wohl einer der spannendsten Prozesse werden, der in den vergangenen Jahren in Deutschland verhandelt wurde, geht es doch um nichts Geringeres als den geplanten gewaltsamen Sturz der Bundesregierung.”
Der Kölner Rechtsanwalt Dirk Sattelmaier ist als Verteidiger gemeinsam mit rund 20 weiteren Anwälten im Prozess in Frankfurt beteiligt. Im Interview mit RT kommentiert er das Strafverfahren in Frankfurt.
RT: Herr Sattelmaier, worin besteht der Verhandlungsschwerpunkt in Frankfurt?
Sattelmaier: Vor dem Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt steht der sogenannte. “Politische Arm” der vermeintlichen Vereinigung vor Gericht. Das bedeutet, dass hier die neun Personen auf der Anklagebank sitzen, die nach dem von der Generalbundesanwaltschaft (GBA) vorgeworfenen Umsturz durch die Gruppierung das Land gewissermaßen regieren sollten. So sollte laut Anklageschrift beispielsweise Prinz Reuß als neues Staatsoberhaupt installiert werden. Im Gegensatz dazu steht z. B. in Stuttgart der sogenannte “Militärische Arm” vor Gericht. Im Wesentlichen geht es aber in allen drei Verfahren um die eine Kernfrage: Bildeten die Angeklagten eine terroristische Vereinigung im Sinne des § 129a Strafgesetzbuch?
Gibt es bisher tatsächliche Anhaltspunkte, die den Vorwurf einer terroristischen Vereinigung und Planung eines Staatsstreichs rechtfertigen?
Durch die – im Übrigen rechtsstaatlich fragwürdige – Dreiteilung des Verfahrens kann ich lediglich die bisherige Beweisaufnahme in Frankfurt bewerten. Diese ergab im Hinblick auf Kernfrage bezüglich der Bildung einer terroristischen Vereinigung nach nunmehr 47 Verhandlungstagen ein chaotisches Bild mit sehr dünnen Erkenntnissen. Hiernach scheint jedoch eines klar zu sein: Es gab die übereinstimmende Überzeugung der allermeisten Angeklagten, dass allein die sogenannte “Allianz” die Machtergreifung ausführen sollte.
“Diese von den Angeklagten zwischen ‘irdischen’ und außerirdischen Mächten definierten ‘Allianz’ würde die Machtergreifung nach deren Auffassung vollkommen unabhängig vom Willen und Einfluss der Gruppierung vornehmen.”
Es wäre nach Vorstellung der Angeklagten “sowieso” zu einem Eingreifen dieser “Allianz” gekommen. Die Gruppe wollte sich gewissermaßen bei der “Allianz” als die “Auserwählten” “bewerben”, die dann das aufkommende Chaos als Entscheidungsträger ordnen würden. Klingt skurril, und das ist es auch. Denn hinzu kommt, dass einige Angeklagte nicht nur an eine “irdische” – also aus ausländischen Truppen bestehende – Allianz glaubten, sondern sogar von eine Beteiligung “galaktischer” Wesen ausgingen. In Bezug auf den Vorwurf eines “Reichstagssturmes” haben wir hierzu in der bisherigen Beweisaufnahme noch so gut wie gar keine Erkenntnisse gewonnen.
Wie bewerten Sie die Prozesstage am Dienstag und Mittwoch in Frankfurt am Main?
An diesen Prozesstagen berichteten sogenannte Zeugen vom Hörensagen, was ihnen von Angeklagten mitgeteilt wurde. Beispielsweise wurde am Dienstag ein Vernehmungsbeamter vernommen, der über die Aussagen einer Angeklagten im Ermittlungsverfahren berichtete. Spannend wurde es am Mittwoch: Dort wurde ein Mithäftling eines Angeklagten vernommen. Dieser habe sich nach eigenen Angaben und Vorspiegelung von Verständnis für den Angeklagten dessen Vertrauen erschlichen. Inhalte der gemeinsamen Gespräche habe er dann akribisch protokolliert. In der Hoffnung, Vorteile für sein eigenes Strafverfahren zu erhalten, habe er seine Gesprächsprotokolle den Ermittlungsbehörden übergeben. Inwieweit die Aussagen dieses wegen Betruges vorbestraften Zeugen glaubhaft sind, werden die kommenden Tage zeigen.
Wie bewerten Sie als Verteidiger dieses Gerichtsverfahren ganz grundsätzlich?
Das Verfahren verliert sich nach 47 Tagen in einer gewissen Detailverliebtheit. Die andauernde Inhaftierung der Angeklagten lässt Zweifel an der Einhaltung des sogenannten Beschleunigungsgebotes aufkommen. Das Gericht befragte die Zeugen sehr ausführlich und führte Asservate ein, die stellenweise in Spamordnern oder in Papierkörben auf den Computern der Angeklagten gefunden wurden. Dies führt dazu, dass das Verfahren wohl noch sehr lange andauern wird.
Letztlich handelt es sich um eines der umfangreichsten Terrorverfahren in der Geschichte der BRD. Die vermeintliche Gefährlichkeit der Gruppierung wurde ja medial auch von Beginn an ordentlich befeuert. Mit Blick auf die tatsächlich vorgeworfen Straftaten verbieten sich jedoch Vergleiche mit den RAF- oder NSU-Prozessen.
“Denn die Angeklagten in Frankfurt haben – so stellte es die bekannte Gerichtsreporterin Gisela Friedrichsen zutreffend fest – noch nicht einmal ‘eine Fensterscheibe’ eingeschlagen.”
Bei der RAF und dem NSU ging es knallhart um Mord und Totschlag. Doch während die RAF-Mitglieder ihre Verachtung dem Staat gegenüber auch vor Gericht deutlich machten, verhalten sich die Angeklagten in Frankfurt gewissermaßen vorbildlich gegenüber den staatlichen Institutionen. Da fällt kein böses Wort, man steht brav auf, wenn der Senat den Saal bestritt, und auch aus den Justizvollzugsanstalten kommen keine Klagen über ungebührliches Verhalten. Bereits bei den Festnahmen verhielten sich die in Frankfurt Angeklagten allesamt kooperativ und ruhig. Insofern ist eine objektiv feststellbare Gefährlichkeit der Angeklagten nach wie vor nicht erkennbar. Wenn dieser Nachweis nicht gelänge, so wäre dies eine heftige Schlappe für die Generalbundesanwaltschaft (GBA).
Handelt es sich bei dieser Verhandlung um ein juristisch korrektes Ringen um Recht und Gerechtigkeit zwischen Staatsanwaltschaft und Verteidigung in Bezug auf die mutmaßlichen Täter und den Tatvorwurf?
Die Beantwortung dieser Frage würde den Rahmen des Interviews sprengen. Der Senat ist sichtlich darum bemüht, ein faires Verfahren nach außen zu suggerieren. Gleichzeitig sind nahezu sämtliche Anträge der Verteidigung bisher abgelehnt worden. Wir Anwälte haben von Beginn an auf so viele Widersprüche des Verfahrens und auch der vorgeworfenen Anklage hingewiesen, ohne damit durchzudringen.
Inwieweit die starke mediale Vorverurteilung sowie der große Verfahrensaufwand oder die Tatsache, dass an noch zwei anderen Orten gegen die Gruppierung verhandelt wird, Einfluss auf eine Unbefangenheit des Senats haben, ist nicht absehbar. Es steht aber zu befürchten, dass diese Umstände durchaus eine Rolle spielen. Dies sage ich ganz ohne Verurteilungsabsicht. Aber niemand ist frei von Beeinflussung, und am Ende müssen sich die Mitglieder des Senates selbst hinterfragen, ob und inwieweit ihnen noch eine unabhängige Entscheidung möglich ist. Wir Anwälte haben es da zugegebenermaßen natürlich einfacher.
Wie bewerten Sie das Verfahren in Bezug auf die aktuelle Rechtsstaatlichkeit des deutschen Justizsystems?
Natürlich handelt es sich um ein politisiertes Verfahren, in dem auch die politischen Ansichten der Angeklagten von Relevanz sind. Aber die Rechtsstaatlichkeit gebietet, dass ohne Ansehen der Person zu entscheiden ist. Schließlich wird stets die Frage bleiben, ob Menschen, die objektiv gar nicht in der Lage waren, ihre vorgeworfene Planung in die Tat umzusetzen, mit so einem Verfahren überzogen werden über zwei Jahre in Untersuchungshaft bleiben können. Mit zunehmender Dauer wird das Gericht hier Rechtfertigungsprobleme bekommen. Vor allem dann, wenn die Erkenntnislage weiterhin so dünn bleibt und sich immer mehr Fragen dazu ergeben, inwieweit die allermeisten Angeklagten dem Glauben an eine irdische bzw. sogar galaktische Allianz regelrecht verfallen konnten. Dem sollte das Gericht im Rahmen einer ihm obliegenden Sachaufklärungspflicht endlich einmal nachgehen.
Nachdem die Mainstream-Medien zu Beginn des Verfahrens größtenteils bereits im Sinne einer Vorverurteilung der mutmaßlichen Staatsumstürzler berichtet hatten, ist es in den Medien zuletzt erstaunlich ruhig um diesen Prozess geworden.
Das ist sicherlich der Länge und der sehr akribischen Verhandlung geschuldet. Es ist eben für Außenstehende nicht spannend, Vermerke von Ermittlungsbeamten zur Auffindesituation von Computern oder Schriftstücken zu verlesen. Wirkliche Tatzeugen im engeren Sinne oder gar Videos gibt es ja nicht.
Noch mal, es geht um die Frage, ob und inwieweit die Angeklagten eine Vereinigung geründet bzw. unterstützt haben, deren Zweck die Begehung schwerer Straftaten war. Das derartige Straftaten bis zur Verhaftung im Dezember 2022 nicht durchgeführt wurden, erschwert den Tatnachweis. So handelt es sich hier vor allem um die innere Ausrichtung der Angeklagten, deren Nachweis nur sehr eingeschränkt zu führen ist.
Die Strafbarkeit ist bei den Angeklagten in Frankfurt also vorverlegt und spielt sich gewissermaßen zwischen “Stammtischgehabe” und zum Beispiel einem Tötungsdelikt ab. Ein Mord hingegen kann durch Zeugen gesehen worden sein oder wird anhand forensischer Spuren nachgewiesen. All das gibt es hier ja nicht. Die Angeklagten haben sich in der Hauptsache ja lediglich getroffen und miteinander geredet. Dabei hatte jeder so seine eigene Vorstellung, was der Sinn und Zweck derartiger Treffen sein soll.
“Am Ende verfestigt sich der Eindruck, dass es sich eher um einen ‘Chaosclub’ als um eine strukturierte Terrorgruppierung handelte, in dem die Mitglieder teils abenteuerliche Vorstellungen hatten.”
Der Kölner Rechtsanwalt Dirk Sattelmaier ist als Strafverteidiger am Strafprozess gegen die in Frankfurt angeklagten Reichsbürger beteiligt. Beim Radiosender Kontrafunk moderiert er regelmäßig die Sendung “Der Rechtsstaat”, in der aktuelle und umstrittene rechtliche Themen mit kompetenten Gästen diskutiert werden.
Mehr zum Thema – Gedanken des Balkonisten: Rollator-Putsch und Taurus-Leak – finde den klärenden Unterschied