Von Wladimir Kornilow
Viele hatten den Eindruck, dass Donald Trumps extravagante Idee, Kanada zum 51. Bundesstaat der USA zu machen, verschwunden sei. Nach dem jüngsten freundlichen Treffen zwischen dem Herrn des Weißen Hauses mit dem soeben gewählten Ministerpräsidenten des Nachbarlandes, Mark Carney, brachte der Großteil der westlichen Medien Carneys Äußerung in den Titel: “Kanada steht nicht zum Verkauf. Und es wird niemals zum Verkauf stehen.” Die Sache schien erledigt zu sein.
Viele achteten indes nicht auf Trumps friedliebendes Grinsen und seine sofortige Reaktion auf Carneys Aussage: “Sage niemals nie.” Der US-Präsident fügte hinzu, dass “für einen Tango zwei benötigt werden.” Viele werteten dies als ein Eingeständnis, dass in Trumps kompliziertem politischem Tanz der Partner fehle. Doch wer sagt, dass er ausschließlich Ottawa meinte? Heute treten die Konturen eines anderen Schemas immer deutlicher zum Vorschein. Als Partner der USA bei der Umsetzung des Plans zum Erwerb des “51. Bundesstaates” kann die kanadische Provinz Alberta auftreten.
Amüsanterweise bezog sich Carney in seiner Tirade über die Unmöglichkeit eines Verkaufs Kanadas auf Trumps Buch “Die Kunst des Geschäfts”. Hätte Carney es aufmerksamer gelesen, dann wüsste er, dass eines der wichtigsten Postulate des Autors ist, sich bei der Wahl der Optionen flexibel zu zeigen. Der damals noch nicht zum Politiker aufgestiegene Milliardär schrieb:
“Ich hänge niemals an einem Geschäft oder einer Option zu sehr fest. Wenn ich ein Geschäft abschließe, komme ich mit mindestens einem halben Dutzend Herangehensweisen daher, denn selbst bei den detailliertesten Plänen kann alles Mögliche passieren.”
Selbstverständlich war Trump und seinem Team bewusst, dass die Mehrheit der Kanadier nicht zu einem Teil des unter ihnen nicht besonders beliebten Staates werden wollen. Doch noch vor einigen Monaten hatten MAGA-Aktivisten begonnen, den aufstrebenden Separatismus von Alberta zu unterstützen. Charlie Kirk, ein populärer US-amerikanischer Blogger, schrieb im März:
“Okay, wenn Alberta zum 51. Bundesstaat werden will, ist das eine vernünftige Idee.”
Auch Elon Musk unterstützte diese Aussage.
Praktisch gleich darauf veröffentlichte die als Sprachrohr von MAGA geltende Nachrichtenwebseite Breitbart ein Interview mit Albertas Ministerpräsidentin Danielle Smith, die betonte, mit dem Anti-US-Kurs der kanadischen Bundesregierung nicht einverstanden zu sein. Darüber hinaus publizierte die Zeitung New York Post, die ebenfalls Trumps Kampagne unterstützte, einen Artikel über Bewohner Albertas, die davon träumten, “zum 51. Stern” auf der Flagge der USA zu werden. All das sind wohl kaum Zufälle.
In den letzten zwei Wochen erhielten die Nachrichten über Albertas Separatismus immer deutlichere Konturen. Smith hat inzwischen begonnen, offen von einem Referendum über eine Loslösung von Kanada zu sprechen. Sie versprach, die Schwelle für die Unterschriftensammlung, die für ein solches Referendum benötigt wird, von 20 auf zehn Prozent der Wählerstimmen herabzusetzen. Somit würde es für die Veranstalter des Referendums ausreichen, 180.000 Unterschriften zu sammeln, was als eine durchaus zu bewältigende Aufgabe erscheint. Daher erklingen bereits Behauptungen, dass die Abstimmung bis zum Ende des laufenden Jahres durchgeführt werden könnte.
Um Separatismusvorwürfe zu vermeiden, behauptet Smith, all das nur zu tun, um die Anhänger der Unabhängigkeit Albertas zu entwaffnen und in der Sezessionsfrage einen Punkt zu setzen. Doch Smiths Kritiker ahnen Böses und vergleichen sie mit dem britischen Ministerpräsidenten David Cameron, der seinerzeit mit ebensolchen Begründungen eine Abstimmung zum Brexit organisiert hatte – in dem festen Glauben, dass die Gegner des EU-Austritts sie verlieren würden.
Für all jene, die denken, dass eine von zehn kanadischen Provinzen keine große Bedeutung habe, sei erklärt: Alberta ist keine unbedeutende Region. Der Löwenanteil des kanadischen BIP und Staatshaushalts wird gerade durch diese öl- und gasreiche Provinz erwirtschaftet. Dabei taten sich die Bewohner dieser Region schon immer schwer mit der aus ihrer Sicht ungerechten Verteilung der Einkünfte und Präferenzen zwischen den Provinzen. Losungen von der Art “Wir haben Quebec lange genug durchgefüttert” genießen in diesem Gebiet seit langem Popularität. Nicht umsonst stellte Albertas Regierungschefin zeitgleich mit ihren Ankündigungen über die Möglichkeit eines Referendums Forderungen an die Regierung Carney, die Schranken für die Entwicklung der Öl- und Gasindustrie aufzuheben und die Einkünfte gerechter umzuverteilen.
Heute zeigen sämtliche Umfragen, dass eine recht beständige Mehrheit der Bewohner Albertas, 60 Prozent, dazu neigt, in Kanada zu verbleiben. Doch mit 36 Prozent gibt es auch recht viele Befürworter eines Austritts. Berücksichtigt man, dass diese letztere Zahl in der jüngsten Vergangenheit noch zwischen vier und 14 Prozent schwankte, ist dieser Trend für die Anhänger eines einheitlichen Kanadas besorgniserregend. Zumal Albertas Einwohner bei den jüngsten Bundeswahlen mit überwiegender Mehrheit für die Konservativen gestimmt haben und mit einem Sieg der Liberalen sehr unzufrieden sind.
Mit der richtigen Zielsetzung und einer starken Propagandakampagne ließe sich der Anteil der Befürworter einer Sezession durchaus steigern. Kanadische Medien äußern bereits ihre Besorgnis darüber, dass nach dem Treffen zwischen Trump und Carney bei den Medien der US-Republikaner, insbesondere Fox News, ein beträchtliches Interesse am Thema der Abspaltung Albertas von Kanada erwacht sei. Das ist auch die Antwort auf die Frage, woher Trump einen Partner für seinen kanadischen Tango bekommen könnte.
Anscheinend erhält der US-Präsident mit der Entwicklung der Ereignisse neue Optionen, darunter die Möglichkeit, Kanada nicht am Stück, sondern portionsweise an die USA anzuschließen. Schließlich schrieb Trump in seinem Buch:
“Ihr Druckmittel ist das, worauf die andere Seite nicht verzichten kann.”
Die Eifrigkeit, mit der Trumps Anhänger die Idee eines Referendums in Alberta zu unterstützen begonnen haben, zeugt davon, dass sie verstehen: ohne diese Provinz wird Kanada als einheitlicher Staat nicht überleben können. Und Carney wird sich noch öfter an Trumps stille Replik bei ihrem ersten Treffen in Weißen Haus erinnern können: “Sag niemals nie.” Schade, dass die Weltmedien sie ignoriert haben.
Übersetzt aus dem Russischen. Zuerst erschienen bei “RIA Nowosti” am 19. Mai.
Wladimir Kornilow ist ein sowjetischer, ukrainischer und russischer Politologe, Geschichtswissenschaftler, Journalist, Schriftsteller und gesellschaftlicher Aktivist. Er ist der ehemalige Leiter der ukrainischen Filiale des Instituts der GUS-Staaten in Kiew und Leiter des Zentrums für Eurasische Studien in Den Haag. Nach seiner scharfen Kritik am Euromaidan musste er aus der Ukraine flüchten und arbeitet seit 2017 als Kolumnist bei “Rossija Sewodnja”. Er führt eine Telegram-Kolumne zu aktuellen politischen Themen.
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