
Von Susan Bonath
Wer gegen Waffenlieferungen nach Israel protestiert und Menschenrechte für seit Jahrzehnten unterdrückte Palästinenser fordert, begibt sich in Deutschland bekanntlich auf dünnes Eis. Da prügelt die Polizei, fahren Medien Hetzkampagnen, drohen Jobverlust und Strafjustiz. Auch 30.000 zerbombte Kinder können der deutschen Staatsräson wohl nichts anhaben, die Bundeskanzler Friedrich Merz am Wochenende wieder zelebrierte. Dass er dem verantwortlichen israelischen Premier Benjamin Netanjahu die Hand schüttelte und dabei das, was Forscher längst als Völkermord bezeichnen, just als “gewisses Dilemma” abtat, ist monströs, doch nicht verwunderlich.
Die in Deutschland parteiübergreifend ritualisierte Besessenheit von Israel allein als (falsch verstandene) Lektion aus den Naziverbrechen an den europäischen Juden abzutun, verkennt sowohl das geostrategische Interesse des Westens an diesem kleinen Militärstaat als auch den Einfluss millionenschwerer Propaganda. Gesponserte Israel-Reisen für deutsche Führungskräfte und ihren Nachwuchs gehören dazu. Doch eine PR-Show dieser Art lief Mitte November wohl so sehr aus dem Ruder, dass sich Teilnehmer beschwerten und die israelische Zeitung Haaretz berichtete.
PR-Tour für German Young Leaders
Demnach reisten vor knapp einem Monat “rund 160 junge Deutsche, die als auserwählte künftige Führungskräfte gelten und jedes deutsche Bundesland repräsentieren” nach Israel, vollumfänglich finanziert und orchestriert vom israelischen Staat und seiner Botschaft in Berlin. Deklariert war das Event für “German Young Leaders” dieses Mal als “Feier zum 60-jährigen Bestehen der diplomatischen Beziehungen”. Von der Botschaft gab’s kürzlich einen Werbeclip dazu.
Vertriebene und verstümmelte Palästinenser oder Angehörige getöteter Opfer bekam die Gruppe dabei freilich nicht zu sehen. Man zeigte ihnen weder Aufnahmen zerfetzter Kinderleichen im zertrümmerten Gazastreifen noch bot man den “Delegierten” Gespräche mit Überlebenden aus den Foltergefängnissen der israelischen Besatzungsmacht an.
Stattdessen stand minutiös organisierte PR auf dem Programm: Empfänge und Briefings mit führenden israelischen Politikern vor hübscher Kulisse, ein Besuch beim Rüstungskonzern Rafael, Treffen mit ausgewählten Überlebenden des Hamas-Anschlags vor zwei Jahren und “Ausflüge” an davon betroffene Orte nahe der Grenze zum Freiluftgefängnis Gaza, das man heute eher als Todeslager bezeichnen muss.
Mit den Namen der Teilnehmer geht Israel nicht hausieren. Laut Haaretz und der israelischen Website Ynet war zum Beispiel die neue Tagesschau-Sprecherin Anina Pommerenke mit dabei. Auch der rheinland-pfälzische CDU-Nachwuchspolitiker Niklas Dejung sowie Bo Müller, Hamburger Landeschef der FDP-Jugend “Junge Liberale”, nahmen teil. Zu den älteren Semestern gehörte die Berliner Integrationsbeauftragte und Journalistin Güner Balci (ARD, ZDF, ZEIT und Spiegel).
“Antideutsche” made in Israel?
Das zeigt sehr deutlich, dass Israels PR-Maschine sich intensiv um deutschen Führungskräftenachwuchs kümmert. Einen besonderen Fokus scheint der nahöstliche Militärstaat dabei auf die “Antideutschen” zu legen – ein deutsches Phänomen, über das sich viele Außenstehende nur die Augen reiben.
Diese uneinheitliche Bewegung ging 1990 aus linken Splittergruppen hervor, die vor einem “Vierten Reich” warnten, das aus dem frisch “vereinten” Deutschland hervorzugehen drohe. Als das nicht eintrat, reduzierten die “Antideutschen” die Nazis auf Antisemitismus und fixierten sich auf Israel. Sie verklärten die USA zum Alleinbefreier Nazideutschlands und deuteten sogar den Imperialismus zum “antifaschistischen Schutzwall” um. Heute sind sie so prowestlich wie die Grünen, antikommunistisch wie Union, FDP und AfD zusammen und pflegen antiarabischen Rassismus, der dem von Rechtsaußen nicht nachsteht. Seit Jahren kleben einige von ihnen auf Führungsposten der Linkspartei. Andere haben sich bei Axel Springer eingenistet.
Für den Nachwuchs dieser irren Strömung sorgt nicht allein das deutsche Bildungssystem, sondern auch Israel selbst. So nahmen beispielsweise Kai Beitelmann vom Linke-Jugendverband Solid in Aurich, führend in der einschlägigen Bundesarbeitsgemeinschaft der Partei “BAG Shalom” aktiv, sowie Jessica Ramszik, die unter anderem für das “antideutsche” Szene-Wochenblatt Jungle World schreibt, zugleich für die vermeintlich “linken” Medien taz und Freitag schreibt, als Delegierte an der PR-Fahrt teil.
Ein alter Hase aus der Antideutschen-Szene leistete den beiden auf der Tour Gesellschaft: Stephan Grigat vom äußersten rechten Rand der Truppen. In Szeneblättern wie Bahamas hetzt der “Antisemitismusprofessor” an der Katholischen Hochschule NRW schon mal ausgiebig gegen Muslime, die er gar als “neue Nazis” ansieht. Grigat ist Mitbegründer der Vernichtungskampagne “Stop the Bomb” gegen den Iran und hat diesbezüglich auch allerlei Verschwörungstheorien auf Lager, um den Völkermord an Palästinensern zu rechtfertigen.
Israel als “einzige Demokratie in Nahost”; Palästinenser als “neue Nazis”, die man auf ewig unterdrücken oder gar ausrotten dürfe; Araber, Perser und Muslime allgemein als angebliche Gefahr für “westliche Werte”: Damit liegt Grigat auf einer Linie mit der rechtsextremen israelischen Führung, die derlei Positionen seit spätestens Oktober 2023 tagein, tagaus verkündet. Mit politisch “linker” Haltung hat das nicht einmal entfernt zu tun, im Gegenteil. Da darf man schon mal fragen: Antideutsche made in Israel?
“Reisespaß” mit Rechtsextremen
Der israelische Botschafter in Deutschland, Ron Prosor, ließ es sich nicht nehmen, die “Reisegruppe” höchstpersönlich zu begleiten. Das laute Sprachrohr von Netanjahu, der keinen Hehl aus seinen Großisrael-Plänen ohne Palästinenser macht, ist bekannt dafür, Journalisten wegen unliebsamer Israel-Berichte übel anzugehen und öffentliche Hetzkampagnen gegen Privatpersonen vom Zaun zu brechen. Jüngst attackierte er die ARD-Korrespondentin Sophie von der Tann. Sogar der jüdisch-israelische Philosoph Omri Boehm geriet schon mal auf seine “Feindesliste”.
Der Reiseleiter an Prosors Seite, Stas Eytan Sternberg, erregte dann doch ein wenig Unmut bei einigen Teilnehmern. Es sei “beunruhigend” gewesen, dass er gegenüber einigen Teilnehmern “offen seine rechtsextremen Ansichten” geäußert habe. Gesagt habe er, dass er in einer illegalen Siedlung nahe Hebron im Westjordanland lebe, den israelischen Finanzminister Bezalel Smotrich unterstütze und enttäuscht über “das Ende des Gazakrieges” sei. Smotrich bezeichnete sich selbst als “Faschist” und forderte unter anderem öffentlich, alle im Gazastreifen eingesperrten Bewohner verhungern zu lassen. Sternberg plädierte demnach in sozialen Medien für eine vollständige Säuberung ganz Palästinas von Palästinensern.
Auf Kritik sei überdies gestoßen, dass der Reiseorganisator versucht haben soll, die Berichterstattung von Teilnehmern über die Fahrt zu unterbinden. Auch habe man den Delegierten den zuvor versprochenen Zutritt zu Gebieten nahe der Gaza-Grenze verweigert und sie unter Druck gesetzt, keine kritischen Fragen zu stellen. Einige hätten sich überwacht gefühlt. “Das Ganze erweckte den Eindruck einer inszenierten PR-Aktion”, so die Journalistin Jessica Ramczik gegenüber Haaretz. Da könnte man ihr glatt mit “guten Morgen” antworten.
Lobbyismus und Maulkörbe
Was klingen mag wie ein Eklat, ist aber Israels Alltagsgeschäft. Der Staat “organisiert solche Reisen bereits seit Jahrzehnten”, schrieb der Verein “Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost” auf Facebook. Mal organisiere er das selbst, mal lasse er es von Dritten übernehmen. Dafür weitet Israel sein Lobbynetzwerk zunehmend auch in Deutschland aus.
So gründete ein ehemaliger Mitarbeiter des US-amerikanischen Thinktanks AIPAC 2007 in Deutschland die Organisation ELNET. AIPAC nimmt in den USA einen riesigen, auch finanziellen Einfluss sowohl auf demokratische als auch auf republikanische Politiker. Als deutsches Pendant dazu organisiert und finanziert auch ELNET Propagandareisen nach Israel für deutsche Parlamentarier und andere staatliche Führungskräfte. Leitende Mitarbeiter des Lobbyvereins sollen der Netanjahu-Regierung und der kriminellen Siedlerbewegung nahe stehen.
Das ist nicht verwunderlich. Es gilt, die Staatsräson auch weiter durchzudrücken und die deutsche Bevölkerung auf Linie zu bringen – trotz grausamer Verbrechen und praktiziertem Völkermord, all das unter dem vorgeschobenen Deckmantel “Kampf gegen Antisemitismus”. In Wahrheit geht es dabei vor allem um etwas Anderes: Der imperialistische “Wertewesten” hat wirtschaftliche und politische Interessen in Nahost und lässt Israel, um es mit den Worten von Kanzler Merz zu sagen, “die Drecksarbeit” dafür erledigen. Dafür braucht es eine Menge Propaganda. Und wer darauf nicht hereinfällt, wird eben diszipliniert.
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