Eine Filmkritik von Elem Chintsky
Ende des letzten Jahres wurden die englischsprachigen Mainstream-Medien mit Meldungen über einen “extrem geheimen”, privaten Elite-Bunker des Facebook-Gründers Mark Zuckerberg geflutet, den dieser aus philanthropisch-selbsterhaltenden Motiven auf Hawaii bauen ließ. Unter anderen berichteten WIRED, TIME wie auch The Guardian über den luxuriösen Anti-Katastrophenbau des von der CIA preisgekrönten IT-Oligarchen. Letzteres Medium titelte diese Neuigkeit folgendermaßen: “Warum baut Mark Zuckerberg einen privaten Apokalypse-Bunker auf Hawaii?” Ausgezeichnete Frage. Vielleicht weiß Zuckerberg doch noch etwas mehr als der Rest von uns. Jedenfalls sagte kürzlich auch der renommierte Trendforscher Gerald Celente, dass “niemand bereit ist für das, was 2024 kommen wird” – außer Zuckerberg und zwei Hand voll anderer versteht sich. Celentes hohe Erfolgsbilanz, mit seinen Prognosen richtig zu liegen, sollte Sorge bereiten. Vor allem, wenn der Inhalt seiner Vorhersagen einen düsteren und launischen Ausblick bietet – wie für das nun angebrochene neue Jahr. Im Bereich der militärischen Flashpoints und weltweiten Konfliktherde sieht er jedenfalls Eskalation, nicht deren Schlichtung. Andererseits muss man dafür mittlerweile auch kein professioneller Prognostiker mehr sein.
Fast zeitgleich zu der Info-Streuung über den verzuckerten Meta-Geheimbunker feierte der Spielfilm “Leave the World Behind” (zu Deutsch: Lass die Welt hinter dir) auf der Streaming-Plattform Netflix im Dezember 2023 TV-Premiere.
Was den Film von anderen Katastrophenfilmen etwas unterscheidet, ist bereits der Fakt, dass der ehemalige US-Präsident Barack Obama (2009–2017) und seine Ehefrau Michelle die ausführenden Produzenten sind. Jeder weiß, dass der geistige Besitzanspruch eines Filmes als erstes bei den Regisseuren, Drehbuchautoren und Produzenten liegt. Sehr dicht gefolgt werden diese Gewerke aber vom ausführenden Produzenten, der entscheidenden Einfluss auf die restlichen Schaffensprozesse des Films haben kann. Deshalb sollte man durchaus von “Barack Obamas” Film sprechen. Aufgrund seiner Erfahrungen als Staatsoberhaupt und Oberbefehlshaber der dynamisch “Demokratie” exportierenden Weltpolizei, sind einige Dinge, die im Film geäußert und gezeigt werden, mit besonderer Aufmerksamkeit zu betrachten.
Kurze Synopsis
Eine vierköpfige New Yorker Familie in traditioneller Konstellation entscheidet sich, sich außerhalb der stressigen Windungen der großen Stadt in einem Airbnb-vermieteten Anwesen auf dem Land ein Urlaubswochenende zu gönnen. Bereits in der ersten Nacht kommt der Hausbesitzer mit seiner Tochter unangekündigt vorbei und bittet um Verständnis für die Unannehmlichkeit, aber auch darum, sie in das eigene Haus einzulassen. Überrascht und anfangs skeptisch gewährt ihnen die Kurzurlauber-Familie Einlass. Ab diesem Punkt verknoten sich die beiden Familienschicksale unwiderruflich.
So stellt sich später heraus, dass dieser mysteriöse Hausbesitzer namens George ein finanzieller Berater und Trend-Analytiker ist, der seit 20 Jahren mit sehr wohlhabenden Klienten arbeitet. In diesem Sinne gibt es große Ähnlichkeiten zum erwähnten realen Herrn Celente aus der echten Welt. Jedenfalls wird nach den ersten 24 Stunden ziemlich klar, dass ein Hackerangriff zumindest große Teile der USA lahmgelegt hat: Kein Internet. Kein Fernsehen. Kein Fest- oder Mobilnetz. Sehr begrenzter Strom. Wie sterbende Vögel abstürzende Passagierflugzeuge. Große Frachter, die ohne Navigation direkt und ungebremst in die Touristenstrände der US-amerikanischen Ostküste hineinfahren. Selbstfahrende Tesla-Autos, die “ganz von alleine” kilometerlange Unfall-Ketten bilden.
Dialoge, wie unter Querdenkern in den neuen Bundesländern
Aber wenn es Hollywood-Schauspieler sind, die diese nonkonformen Gedanken äußern, kann es als globale Unterhaltung quittiert werden. Die Zuschauer, welche auf unterschwellige Botschaften bereits sensibilisiert sind, verstehen allerdings, dass hier kontroverser, aber vitaler Inhalt kommuniziert wird.
Was genau wird also gesagt?
Als den beiden Familien diese ganzen zufälligen Vorkommnisse zu Indikatoren einer großen, in Verbindung stehenden Kausalkette zusammenwachsen, stellt sich heraus, dass der Finanzanalytiker bereits viel mehr weiß, als er den Rest vermuten ließ. Nicht einmal seine Tochter, Mittzwanzigerin, war George bereit, mit diesem besorgniserregenden Wissen vorzubelasten. Der größtenteils als Kammerspiel gehaltene Film zeigt daraufhin ein erstes, tieferes Gespräch der Familienmutter mit ihrem mysteriösen Vermieter. George vertraut ihr mit schwerer Seele Folgendes an:
“Ich habe es gesehen, wissen Sie? Vor einer Weile, bevor das alles passiert ist. Ich beobachtete den Markt. Und ich wusste, dass etwas kommen würde.”
Woraufhin die Frau ihn perplex darum bittet, sich klarer und genauer auszudrücken.
“In meinem Beruf muss man die Muster verstehen, die die Welt regieren. Man muss lernen, die Kurve zu lesen. Wenn man sich so lange damit beschäftigt, wie ich es getan habe, kann es einem helfen, die Zukunft zu sehen. Wenn sie [die Kurve] stabil bleibt, verspricht sie Harmonie. Wenn sie steigt oder fällt, wissen Sie, dass das etwas bedeutet”, erklärt George weiter.
Die Filmhandlung spielt jetzt offensichtlich in jener Phase, als sich diese besagte “Kurve” bereits im freien Fall befindet.
George erhöht den Einsatz der emotionalen Situation, als er der ratlosen Familienmutter erklärt, dass einer seiner reichsten und einflussreichsten Klienten ihm die Existenz einer internationalen, “bösen Kabale”, welche sich einmal jährlich trifft, um die Geschicke der Erde zu lenken, attestierte. Sicherlich sind hier die Ähnlichkeiten zu den historischen Bilderberg-Treffen oder zu den Konferenzen des Weltwirtschaftsforums WEF purer Zufall. Jedenfalls nimmt der mächtige Klient von George an diesen Treffen teil. Erst galt dies als spaßiger Running Gag. Als der Klient aber kurz vor dem Blackout-Ereignis nochmals George bittet, enorme Geldmengen in Sicherheit zu bringen, witzelt dieser gar nicht mehr, als sein Finanzberater ihn neckend fragt: “Machst du dich wieder auf zu einem Treffen mit deiner bösen Kabale?”
Ein fiktiver Kanal, Verschwörungstheorien unverbindlich zu rehabilitieren
Der Film lässt seine fiktiven Charaktere – besonders den mit Insiderwissen belasteten Analytiker George – Dinge und Konzepte formulieren, die in unserer Realität nur den Querdenkern, undankbaren Staatsfeinden, nicht belesenen Impfgegnern, griesgrämigen Anti-Amerikanisten reserviert bleiben. Im öffentlich-rechtlichen Rundfunk sind diese Art Ausführungen vollkommen blockiert und werden auf die Unterhaltungsmedien umgeleitet. Auf diese Weise können die Filmemacher und die “ausführenden Produzenten” immer auf ihr Künstlermandat verweisen und sich auf das Genre der Fiktion berufen, falls ihnen vorgeworfen wird, sie würden echte Sachverhalte und authentische Szenarien darstellen, propagieren oder prophezeien. In den sich der Systemzensur weitestgehend entziehenden Alternativmedien wird das Konzept der “prädiktiven Programmierung” diskutiert. Die Fähigkeit, elitär-oligarchisches Vorwissen über Ereignisse und Prozesse, die noch in der Zukunft liegen – aber bereits geplant oder von den Eliten erstrebt werden – in die fiktiven Welten der Unterhaltungsmedien einzuspeisen. Aus Sicht menschlicher Psychologie sollen diese Art Inhalte in der breiten Masse an Konsumenten die nötige Akzeptanz sowie Ohnmacht für oft dystopische, freiheitsfeindliche Gesellschaftsentwicklung generieren.
“Jegliche Ähnlichkeit mit echten Personen oder Ereignissen ist zufällig” heißt es ja meist. Dabei ist der Film um eine hohe Authentizität bemüht, die mit allen ästhetischen Mitteln des Filmhandwerks effektiv untermauert wird. Dem Zuschauer soll das Gefühl vermittelt werden, dass ein Prozess, in dem die USA auf mehreren Ebenen – multidisziplinär und “multipolar” – angegriffen werden, tatsächlich ungefähr so aussehen könnte. Man kann sich darüber streiten, ob der Film das Verhältnis zwischen “fremden Einwirkungen” und “inneren Unzulänglichkeiten” der Nation richtig ausbalanciert hat – wenn der eigentliche US-Kollaps stattgefunden hat, kann man ja einen gründlicheren Vergleich zwischen der “Filmprognose” und den dann, zu jenem Zeitpunkt, zugänglichen Fakten anstellen.
Mehrere, über die ersten zwei Akte des Films verteilte Momente eines industriellen Dröhnens, das offensichtlich allen Protagonisten großen Schmerz bereitet, lässt den Zuschauer im Unklaren über die Herkunft des unheimlichen Geräusches.
Die Handlung führt zum nächsten Tag, an dem es eines der beiden Kinder der zugereisten Familie, nämlich den älteren Sohn, gesundheitlich am stärksten trifft. Zwar ist es noch unklar, dass das mit dem geheimnisvollen Dröhnen zu tun haben könnte, aber zumindest verliert der Jugendliche die meisten seiner Zähne und erbricht mehrere Male – damit macht das Genre des Films einen kurzzeitigen Abstecher vom Endzeit-Thriller zum Body-Horror. So brechen daraufhin der Vater mit seinem Sohn und George auf zu Georges Nachbarn, von dem George weiß, dass dieser sich mit allergrößter Wahrscheinlichkeit in paranoider Voraussicht auf solch einen Ausnahmezustand vorbereitet hat.
Dort werden sie trotz großer Verzweiflung und Bedürftigkeit nicht besonders freundlich empfangen. Erste Hilfe wird ihnen erst einmal kurzerhand verwehrt. Dann kommt es beinahe zu einer Schusswaffen-Eskalation, bevor der skeptische Nachbar doch noch einwilligt, dem Jungen zu helfen. Während dieser Begegnung erklärt der Nachbar, dass es sich bei diesem Blackout um einen Angriff auf die USA durch “die Koreaner oder Chinesen” handele und, dass “die Russen ihre Botschafter aus Washington” vor nicht allzu langer Zeit zurückgerufen hätten. Nachdem ihm unsere Filmhelden einen politischen Flyer zeigen, auf dem auf Arabisch “Amerika den Tod” stehen soll, fasst der abgeklärte “Truther”-Nachbar, mit seiner Flinte in der Hand, sein Fazit so zusammen: “Wir haben uns viele Feinde in der Welt gemacht. Vielleicht bedeutet das, dass sich ein paar von ihnen zusammengetan haben.”
In unserer deutschen Realität wäre dieser Nachbar von George ein sogenannter Verschwörungstheoretiker der ersten Stunde. Doch weder der Film mit seinen Autoren generell noch seine Protagonisten individuell geben solch eine Wertung von sich. Zu den krassen körperlichen Beeinträchtigungen des Sohnes sagt er nämlich, dass diese durch das mehrmals auftretende Dröhnen in der Gegend verursacht worden seien. Es sei ein Angriff durch eine Art Mikrowellen-Waffe, “durch Schall ausgestrahlt”, wie sie in den letzten Jahren sporadisch und etwas peripher in der Fachliteratur behandelt wird.
Das letzte der drei großen Gespräche, die der besorgte Analytiker und Trendforscher führt, ist mit dem Familienvater aus New York, und zwar unmittelbar, nachdem sie den besorgniserregenden Austausch mit dem Prepper-Nachbarn geführt haben und die nötigen Medikamente für den erkrankten Sohn erhalten haben.
Die Stärke des Films ist wohl, dass er sich über lediglich behauptete Sachverhalte und Floskeln hinwegsetzt – in dem Sinne, als dass der Trend-Analytiker plötzlich beginnt, von einer Systematisierung zu sprechen – von einer, die er von einem seiner Klienten anvertraut bekommen hat: über ein sogenanntes “Drei-Stufen-Manöver, das eine Regierung von innen stürzen kann”. Dieser Klient erhält in dieser Filmwelt zusätzliche Legitimation, denn er entstammt dem militärisch-industriellen Komplex – der im Film artig als “Verteidigungssektor” bezeichnet wird.
Als erste Stufe findet die – wie es im Film heißt – “Isolation” einer Nation statt, wie sie die desorientierende Cyber-Attacke am Anfang des Filmes ermöglicht hat: “Ausschalten der Kommunikation und des Transports. Das Objekt muss so taub, stumm und gelähmt wie möglich sein, um es für die zweite Phase vorzubereiten.”
Diese folgt dann sogleich mit der Einspeisung von “synchronisiertem Chaos”, erläutert George: “Man terrorisiert sie mit verdeckten Angriffen und Fehlinformationen, überwältigt ihre Verteidigungskapazitäten und macht ihre Waffensysteme anfällig für Extremisten im eigenen Militär. Ohne einen klaren Feind oder ein klares Motiv würden die Menschen anfangen, sich gegeneinander zu wenden.”
Sofern das gelingt, ist das Finale in dieser 3-Stufen-Kriegsführung “der Coup d’État, Bürgerkrieg, Kollaps”, welchen George mit folgender Bedingung versieht: “Wenn die Zielnation ausreichend dysfunktional ist, würde sie im Grunde genommen selbst die Arbeit für Sie erledigen.” Ob die Kategorie der sogenannten “Dysfunktionalität” – soziologisch, wirtschaftlich, politisch – im Falle der Vereinigten Staaten von Amerika bereits gegeben ist, kann jeder für sich entscheiden. Unter eingeweihten Zuschauern trägt die recht glaubhafte Auslegung dieses Prozesses im besagten Film dazu bei, die Rolle des höchsten US-Staatsbediensteten Obama als ausführenden Filmproduzenten bei der spielerischen Wechselwirkung zwischen Fiktion und Wirklichkeit nicht zu unterschätzen.
Diese drei von George beschriebenen Stufen der Kriegsführung sind eine komprimierte und vereinfachende Darstellung der “fünften Generation der Kriegsführung”, wie wir sie Ende 2023 in einem Zweiteiler vertieft haben.
In diesem zwar weitestgehend cineastischen Kammerspiel in einem grünen Vorort New Yorks wird ausgesprochen oft der Blick auf den langsam rotierenden Erdball aus dem Weltall dazwischen geschnitten, um in eben diesem galaktischen Kontrast die Wichtigkeit dessen zu markieren, was der Film so bemüht war, ziemlich nachvollziehbar und glaubhaft zu zeigen: Den baldigen Kollaps der Vereinigten Staaten von Amerika. Wer, wenn nicht der betroffene Hegemon selbst, ist befähigt und befugt, ein Spektakel daraus zu machen?
Elem Chintsky ist ein deutsch-polnischer Journalist, der zu geopolitischen, historischen, finanziellen und kulturellen Themen schreibt. Die fruchtbare Zusammenarbeit mit RT DE besteht seit 2017. Seit Anfang 2020 lebt und arbeitet der freischaffende Autor im russischen Sankt Petersburg. Der ursprünglich als Filmregisseur und Drehbuchautor ausgebildete Chintsky betreibt außerdem einen eigenen Kanal auf Telegram, auf dem man noch mehr von ihm lesen kann.
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