Ende April hatte Dow Chemical bei der Präsentation der Quartalszahlen angekündigt, mehrere Anlagen in Deutschland zu schließen. Es ist noch unklar, wie viele Arbeitsplätze betroffen sind.
Vor einigen Tagen fand eine Betriebsversammlung in Schkopau statt, auf der auch der Wirtschaftsminister von Sachsen-Anhalt, Sven Schulze, sowie Ministerpräsident Reiner Haseloff anwesend waren. Schulze ließ dabei bereits deutlich erkennen, dass es um eine staatliche Unterstützung gehen wird:
“Wir haben heute nicht von Dow Chemical gehört, das war es jetzt und jetzt seht zu, sondern die haben sich jetzt klare Konzepte überlegt, aber auch aufgezeigt, wo wir als Politik unterstützen können.”
Versuche, mit der Berliner Politik ins Gespräch zu kommen, habe es, so Gesamtbetriebsratschef Dieter Macke, bereits unter der alten Bundesregierung gegeben, ein Treffen mit dem Bundeskanzler eingeschlossen. “Es wurde immer verstanden, aber nicht immer reagiert, eigentlich gar nicht reagiert. Und das hat uns betrübt und auch sehr mutlos gemacht.”
Nach Angaben Mackes sind die Probleme existenziell: “Das Geschäftsfeld ist praktisch nicht mehr da. Die letzten großen Kunden in Europa sind nicht mehr da, das ist die schlechteste Nachricht dabei.” Viele der großen Kunden seien in Europa inzwischen pleitegegangen. “Im Moment müssen wir weit nach Asien hinein, nach Ägypten und in ähnliche Länder exportieren.” Der Aufwand dafür mache jeden Gewinn unmöglich. Macke meint, den Standort mit “grüner” Produktion retten zu können. Allerdings würde das eine massive Stützung mit Steuermitteln erfordern.
Die Chemieproduktion in Sachsen-Anhalt und Sachsen besteht seit Anfang des 20. Jahrhunderts und entwickelte sich parallel zu den großen Standorten im Westen, wie beispielsweise in Leverkusen. Wie dort handelt es sich um Standorte, an denen die verschiedensten Phasen der Petro- und Kunststoffchemie miteinander vernetzt sind und an den großen Werken noch unzählige kleinere Firmen hängen; im Chemiestandort Leuna sind das etwa hundert verschiedene Unternehmen.
Seit der Verhängung der Sanktionen gegen russische Energieträger und dem darauf folgenden massiven Anstieg der Strom- wie auch der Öl- und Erdgaspreise ist die gesamte chemische Industrie in Deutschland in einer Krise, wie alle energieintensiven Branchen. Andere Teile der Branche sind bedroht, weil ihre Anlagen auf russisches Erdöl ausgerichtet sind, wie die Raffinerie in Schwedt.
Nicht nur Dow Chemical will Produktion in Deutschland abbauen; auch die Chemieunternehmen, die in Leverkusen und Ludwigshafen dominieren, verlagern Produktion und legen ganze Werke still. Damit ist eine Branche bedroht, in der Deutschland über Jahrzehnte weltweit führend war. Im Frühjahr vergangenen Jahres hatte BASF zusammen mit anderen Unternehmen versucht, über die Antwerpener Erklärung Druck auf die Regierung auszuüben, um die hohen Energiekosten und die steigenden Rohstoffpreise anzugehen, allerdings ohne Erfolg.
“Wir können relativ einfach aufzeigen, wenn die chemische Industrie nicht mehr da wäre, was das für Deutschland insgesamt bedeutet. Das sind Entscheidungen, die wollen wir hier nicht nur, sondern die können wir auch nicht zulassen”, erklärte Schulze am vergangenen Montag.
Das Handelsblatt meldet nun, Bundeskanzler Friedrich Merz habe sich eingeschaltet und bereits ein Gespräch mit dem Konzernchef von Dow Chemical, Jim Fitterling, geführt. Auch das Unternehmen bestätigte Kontakte auf Bundes- wie Landesebene, um über die Standortbedingungen zu verhandeln.
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