Das im Grundgesetz garantierte Recht auf freie Meinungsäußerung – Artikel fünf – ist bedroht, und die politisch-mediale Debatte in Deutschland weist stark freiheitsfeindliche Züge auf. So lässt sich ein Gastbeitrag des Hamburger Medienrechtlers Joachim Steinhöfel in der Berliner Zeitung zusammenfassen. Steinhöfel weiß, wovon er spricht, hat er doch allein im letzten Jahr eine Serie von Prozessen vor Zivil- und Verwaltungsgerichten bis hin zum Bundesverfassungsgericht gewonnen.
Einengung des Sagbaren
In den letzten Monaten und Jahren ist die Tendenz unverkennbar geworden, die Äußerung missliebiger politischer Meinungen zu kriminalisieren – nicht nur die Grünen, sondern Vertreter aller etablierten Parteien sind mit Strafanzeigen gegen polemische Postings in sozialen Netzwerken, aber auch Forderungen an die Öffentlichkeit gegangen, “Hass und Hetze”, etwa auf Online-Plattformen, “auch unterhalb der Strafbarkeitsgrenze” zu verfolgen, so beispielsweise Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Bündnis 90/Die Grünen). Als weiteres Beispiel führt Steinhöfel die Forderung von Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) an, die staatliche Verfolgung gegen diejenigen verlangt, “die den Staat verhöhnen”. Und Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (ebenfalls Grüne) versteht kritische Äußerungen als “Angriff auf die Demokratie” – wegen einer “politischen Polemisierung”, die er darin zu erkennen glaubt.
So nimmt es auch nicht Wunder, dass nachgeordnete Behörden wie der “Verfassungsschutz” des Bundes – im Verantwortungsbereich von Innenministerin Faeser – dazu beitragen, missliebige Meinungsäußerungen zu kriminalisieren. Steinhöfel führt als Beispiel Verfassungsschutzpräsident Haldenwang an, der vor “verbaler und mentaler Grenzverschiebung” gewarnt habe. “Entsprechende Denk- und Sprachmuster” dürften sich “nicht in unsere Sprache einnisten”.
Überwachung und Steuerung der Meinungsbildung
Steinhöfel beharrt jedoch darauf, dass Meinungen grundsätzlich frei sind und den Verfassungsschutz Gedanken nichts angehen. Allerdings stünden das “Netzwerkdurchsetzungsgesetz, das Demokratiefördergesetz, der Digital Services Act, Trusted Flagger, Meldestellen für antimuslimischen Rassismus, Meldestellen zu queerfeindlichen und rassistischen Vorfällen” sowie die unzähligen Strafanzeigen von Politikern “wegen oft banaler Äußerungen” für das “Bild eines völlig übergriffigen Staates”. Bezeichnenderweise habe Robert Habeck
“seinen Strafantrag in Sachen ‘Schwachkopf-Gate’ bis heute nicht zurückgenommen. Er legt also trotz der öffentlichen Debatte über diesen Fall weiter Wert darauf, dass ein Rentner aus Bayern von der Strafjustiz wegen einer nicht strafbaren Lappalie zur Verantwortung gezogen wird.”
Mit seiner Forderung nach Offenlegung der Algorithmen sozialer Medien sowie deren Regulierung habe sich Habeck blamiert:
“Ob Habeck weiß, dass ausgerechnet Elon Musk den Quellcode des Algorithmus von X (Twitter), der zuvor ein streng gehütetes Geheimnis war, bereits veröffentlicht hat und die von Habeck als so wichtig erachtete Transparenz bereits existiert? Was Habeck an diesen Algorithmen gfs. stört, hat der grüne Kanzlerkandidat bislang nicht mitgeteilt.”
Genüsslich fügt Steinhöfel hinzu:
“Ob er Sachkunde besitzt, zur komplexen Frage der Programmierung von Algorithmen Kritik oder gar verfassungsrechtlich haltbare Änderungswünsche zu formulieren, ist ebenfalls unklar.”
So steht für den erfolgreichen Medienrechtler denn auch fest:
“Habecks Wunsch allerdings, dass der Staat durch Eingriffe in die Programmierung der sozialen Medien die Meinungsbildung steuern soll, ist in seinem Wesen totalitär.”
Abwehrrechte gegen den Staat
Der Hamburger Anwalt konstatiert ein allgemein zu gering ausgeprägtes Verständnis dafür, “was Meinungsfreiheit bedeutet”. Dazu zitiert er Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts von 2018, die zeigen, welch weiten Rahmen eigentlich die Meinungsfreiheit als Abwehrrecht des Bürgers gegen den Staat genießt. Diese habe “in der elementaren Bedeutung der freien Machtkritik ihre wesentliche Grundlage”.
Durch Verwendung “trivialer Floskeln” – wie beispielsweise der bereits oben erwähnten Rede von “Hass und Hetze” – werde die öffentliche Debatte “kontaminiert” und der Rahmen der Meinungsfreiheit “immer weiter eingeengt”, so Steinhöfel:
“Denn der Staat hat kein Interesse an Meinungsfreiheit. Frau Paus, Frau Faeser und Herr Habeck, Frau Baerbock und Frau Strack-Zimmermann stehen nicht auf der Seite der Freiheit, sie stehen auf der anderen Seite.”
Entsprechend hätten der Bundeswirtschaftsminister und auch Bundespräsident Steinmeier in die Diskussion um den Meinungsartikel von Elon Musk in der Welt eingegriffen und “im medialen Kulturkampf die Richtung vorgegeben”.
Zweierlei Maß
Allerdings offenbare die Intervention von Habeck gegen Musk ein “höchst problematisches Demokratieverständnis”, so Steinhöfel. Anders als von Habeck behauptet, könne Musk weder mit einem Tweet noch einem Meinungsartikel “den Diskurs in Europa definieren”. Eine solche Behauptung sei “natürlich Unsinn”. Denn die Medienlandschaft werde “zu einem erheblichen Teil” vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk geprägt, aber auch von Tageszeitungen, die der SPD-nahen Madsack-Gruppe gehören. Nicht zuletzt der Staat selbst habe
“mit der Auslagerung und Millionenförderung von weltanschaulichen Erfüllungsgehilfen von Correctiv bis HateAid oder Trusted Flaggern in verfassungsrechtlich problematischer Weise und mit dem Geld der Steuerzahler Dinge tun” lassen, “die ihm selbst von Verfassungs wegen verboten sind”.
Aus Habecks Äußerungen über Musk könne man schlussfolgern, dass der Minister mit Musk “kein Problem hätte, wenn dessen Vermögen kleiner und er Anhänger der US-Demokraten wäre”. In einem freien Land dürften jedoch die Meinungsfreiheit und auch das “Eigentum an sozialen Plattformen” nun einmal “nicht von den Vermögensverhältnissen oder der politischen Einstellung abhängen”. Dieser Schluss müsse “für einen Politiker, der sich selbst die Befähigung zum Bundeskanzler attestiert, offensichtlich sein”.
Dass Habeck doppelte Standards anlegt, werde aus seiner Haltung zu Mark Zuckerberg und dessen Plattform Facebook deutlich: “Zu Facebook, dessen Löschpraxis ein deutsches Oberlandesgericht als vorsätzlichen serienmäßigen Rechtsbruch einordnete, hört man von Habeck nichts.” Zuckerberg besitze über 200 Milliarden US-Dollar. Selbst von der Washington Post sei die gerichtliche Auseinandersetzung gegen Facebook “mit dem Kampf gegen die Organisierte Kriminalität verglichen” worden. Dieser “Einschätzung”, meint Steinhöfel, könne er sich “aus sehr umfangreicher eigener prozessualer Erfahrung anschließen”.
Heuchelei und Drohungen
Sollte bis hierhin der Eindruck entstanden sein, Steinhöfel arbeite sich in seinem Gastbeitrag allein an Robert Habeck ab, so wäre dies eine Täuschung. Denn der Jurist nimmt sich auch die Einmischung des deutschen Polit-Establishments in den US-Wahlkampf und weitere aktuelle Beispiele vor. So hatte Bundespräsident Steinmeier vor einer “Einflussnahme von außen” als einer “Gefahr für die Demokratie” unter Verweis auf Rumänien gewarnt – und dabei eine “Parallele zwischen der Annullierung der Wahlen in Rumänien wegen angeblicher Wahlbeeinflussung durch TikTok-Profile und der kommenden Bundestagswahl” gezogen, wie Steinhöfel feststellt.
Der Medienanwalt stellt vor diesem Hintergrund klar:
“Das Kommentieren der Politik in anderen Ländern ist Alltag in unseren und in ausländischen Medien und keine ‘Einflussnahme von außen’. Es ist Bestandteil eines vitalen, politischen Diskurses, der in einer globalisierten Welt natürlich nicht an den territorialen Grenzen des jeweiligen Staates endet.”
Versagen der etablierten Medien
Zu den Defiziten des politischen Personals und seinen teils verfassungswidrigen Vorstellungen komme jedoch ein weiteres Problem hinzu: “Wenn aber die Medien, deren durch die Pressefreiheit grundgesetzlich garantierte Sonderstellung insbesondere in der Bedeutung der unbeeinträchtigten Machtkritik ihre Grundlage findet, in ihrer Kontrollfunktion ausfallen, hat Deutschland ein Problem. Dieses Versagen war in der Debatte um den Tweet und den Artikel von Musk greifbar.”
Schon allein die Tatsache, dass die Welt einen Artikel von Elon Musk brachte, habe für Erregung in Politik und Medien gesorgt. Die Auseinandersetzung mit dessen Inhalt wurde nachrangig. Dabei müsse es doch für eine “absolute Selbstverständlichkeit und eine journalistische Errungenschaft der Welt” gehalten werden, “dass Musk Gelegenheit gegeben wurde, seine Position in einem Kommentar zu veröffentlichen”. Wer aber die Tatsache der Veröffentlichung als solche kritisiere, zähle zu den Feinden der Freiheit: “Denn das ist Kritik an der Meinungsfreiheit selbst.” Zu einer demokratischen Auseinandersetzung gehöre die Veröffentlichung der Gegenposition.
Steinhöfels Diagnose lautet denn auch:
“Es ist der Tiefpunkt des Journalismus, wenn man sich nicht mit aller argumentativer Überzeugung, über die man verfügt, gegen eine Position in Stellung bringt, sondern dem weltanschaulichen Gegner bereits das Recht absprechen will, sich überhaupt zu äußern.”
Und er fragt, wie man, “erst recht als Journalist”, auf den Gedanken verfallen könne, “Kritik an der Veröffentlichung eines Artikels zu üben, der keine Gesetze verletzt, sondern den Schutz unseres Grundgesetzes genießt”. Eine besondere Ironie besteht darin, dass viele deutsche Kritiker Elon Musks ihre Ansichten eben auf X (Twitter) weitgehend ungehindert veröffentlichen können. Es handle sich dabei um ein “Privileg, das sie intensiv nutzen, demjenigen, der es ihnen einräumt, aber selbst nicht gewähren wollen”.
Steinhöfels Fazit
Nach dem bisher Gesagten verwundert das wenig schmeichelhafte Verdikt des Erfolgsanwalts nicht:
“Es ist die pure Angst vieler Akteure aus Politik und Medien, Angst davor, dass sich der Wind im weltweiten medialen Kulturkampf dreht, dass die politische Korrektheit als Disziplinierungsverfahren ihre Wirksamkeit verlieren wird.”
Überraschend sind daher seine anerkennenden Worte für Noch-Bundeskanzler Olaf Scholz: Der habe sich “in dieser fiebrigen Debatte vorbildlich gelassen und souverän gegeben und gezeigt, wie es auch geht”. Scholz habe auf die Meinungsfreiheit verwiesen, “die auch für Milliardäre gelte”, und hinzugefügt: “‘Das Urteil (Musks) ist nicht so abgewogen, wie der ökonomische Erfolg des Unternehmens groß ist.'”
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