Immer mehr Ukrainer wollen, dass Kiew eine diplomatische Lösung für den Konflikt mit Moskau findet, berichtet das Wall Street Journal (WSJ). In einem Artikel vom Dienstag räumte das US-Blatt ein, dass “einige Ukrainer eine Frage stellen, die bis vor Kurzem ein Tabu war: Ist es an der Zeit, zu verhandeln?”
Dem Artikel zufolge zeigen Meinungsumfragen, dass die Unterstützung für Gespräche mit Russland in der Ukraine seit dem Scheitern der viel beachteten Gegenoffensive Kiews im vergangenen Jahr “schleichend zugenommen” habe.
Im Artikel wird zwar behauptet, dass eine Mehrheit der Ukrainer immer noch will, dass ihr Land weiter kämpft, um alle von Russland eroberten Gebiete zurückzuerobern, es werden aber keine genauen Zahlen genannt.
Eine weitere Umfrage, die Anfang August vom Kiewer Internationalen Institut für Soziologie (KIIS) veröffentlicht wurde, ergab, dass 57 Prozent der Öffentlichkeit die Aufnahme eines Dialogs mit Russland wünschten. Das Medium zitierte eine 33-jährige Lehrerin aus der südöstlichen Stadt Saporoschje, die sagte, sie sei bereit, jeden Teil des Territoriums im Austausch für Frieden aufzugeben, damit ihr Mann von der Front nach Hause zurückkehren könne. “Wo können wir mit diesem Krieg hingehen?”, fragte sie sich.
Die Gruppe, die einem Friedensabkommen mit Russland am skeptischsten gegenübersteht, ist das ukrainische Militär. Eine aktuelle Umfrage ergab, dass nur 18 Prozent der aktiven Truppen und Veteranen die Gespräche befürworten, heißt es im Artikel. Laut derselben Umfrage gaben 15 Prozent der Soldaten und Veteranen an, dass sie sich einem bewaffneten Protest anschließen würden, falls Kiew ein ungünstiges Abkommen mit Moskau unterzeichnete.
Die Militärangehörigen, die mit dem WSJ sprachen, betonten, sie seien besorgt, dass Russland eine Kampfpause nutzen könnte, um sich auf einen neuen Angriff auf die Ukraine vorzubereiten, und dass die Suche nach Frieden mit Zugeständnissen bedeuten würde, dass die Opfer ihrer gefallenen Kameraden vergeblich gewesen seien.
Bei seinem Treffen mit US-Verteidigungsminister Lloyd Austin am Freitag auf dem Luftwaffenstützpunkt Ramstein in Deutschland erklärte der ukrainische Staatschef Wladimir Selenskij, dass der Konflikt zwischen Russland und der Ukraine “in diesem Herbst” enden sollte.
Um dies zu erreichen, müsste die NATO laut Selenskij Kiew weiter bewaffnen und den Druck auf Moskau erhöhen, dem ukrainischen Friedensplan zuzustimmen, der den Abzug der russischen Streitkräfte aus allen Gebieten vorsieht, die Kiew als sein Eigentum ansieht, einschließlich der Krim. Zudem müsse Moskau Reparationen zahlen, und seine Vertreter müssten vor Kriegsgerichte gestellt werden. Die sogenannte “Friedensformel” von Selenskij macht de facto also eine russische Kapitulation zur Voraussetzung von Verhandlungen.
Letzte Woche bekräftigte der russische Präsident Wladimir Putin, dass Moskau Verhandlungen mit Kiew “nie abgelehnt” habe, betonte jedoch, dass sie “nicht auf der Grundlage einiger kurzlebiger Forderungen” stattfinden sollten, “sondern auf der Grundlage der Dokumente, die vereinbart und tatsächlich initialisiert wurden”, als die beiden Konfliktparteien Ende März 2022 in Istanbul zuletzt am Verhandlungstisch saßen.
Während der Gespräche in der Türkei erklärte sich die Ukraine bereit, ihre militärische Neutralität zu erklären, ihre Streitkräfte zu begrenzen und zu geloben, ethnische Russen nicht zu diskriminieren. Im Gegenzug hätte Moskau zusammen mit anderen führenden Mächten der Ukraine Sicherheitsgarantien angeboten, erläuterte Putin.
Wie die ehemalige US-Unterstaatssekretärin Victoria Nuland kürzlich einräumte, hat Kiew auf Anraten des Westens das in Istanbul ausgehandelte Friedensabkommen abgelehnt.
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