Zum Vortrag “Russland und Ukraine – und wie weiter?” mit der Journalistin und Buchautorin Gabriele Krone-Schmalz kamen am Donnerstag ungefähr fünfhundert Zuschauer in den voll besetzten Brunosaal in Köln. Die Veranstaltung wurde vom Städtepartnerschaftsverein Köln-Wolgograd e.V. in Kooperation mit dem Kölner Friedensforum und dem Friedensbildungswerk Köln e.V. durchgeführt.
Im Vorfeld gab es eine Auseinandersetzung mit der Kölner Volkshochschule, dessen Direktor die Ankündigung der Veranstaltung aus dem städtischen VHS-Kalender zurückzog. Eva Arras vom Städtepartnerschaftsverein Köln-Wolgograd e.V. sprach in ihrer Begrüßung über die Schwierigkeiten bei einer öffentlichen Debatte über den Krieg in der Ukraine. Obwohl nach Umfragen sechzig Prozent der Deutschen für eine friedliche Lösung des Russland-Ukraine-Konflikts plädieren, gehe es in den Medien hauptsächlich nur noch um mehr westliche Waffenlieferungen für die Ukraine. Hinsichtlich einer zunehmend aggressiver werdenden Debattenkultur wünschte sie für die Veranstaltung eine faire und zivilisierte Debatte. Dafür erntete sie vom Publikum großen Applaus.
Die Ideologisierung einer Debatte führt zu Radikalisierung
Mit einer Bewertung der Debattenkultur begann Krone-Schmalz auch ihren Vortrag. In einer immer schmaler werdenden Debattenkultur laufe man Gefahr, dass die Demokratie zunichtegemacht wird:
“Man muss die Argumente ja nicht teilen, aber sie nicht zuzulassen, schadet der Demokratie.”
Schließlich führten die Ideologisierung und das moralische Aufladen von Debatten zu einer Radikalisierung. Dabei fühlten sich diejenigen, die sich von Medien und Politik vertreten sähen, immer mehr berufen, ihren Standpunkt mit allen Mitteln durchzusetzen. Es komme schließlich nicht nur beim Thema Russland dazu, dass Andersdenkende zu Störfaktoren oder Feinden würden, die es auszugrenzen gelte. Man müsse aber bedenken: “Moral kann niemals politische Analyse und politisch kluges Handeln” ersetzen.
Außerdem sei Realität immer ein Prozess und hätte eine Chronologie und eine Vorgeschichte. Man möge sie keinesfalls missverstehen, betonte die Journalistin, es gehe ihr bei der Darstellung der Vorgeschichte, die zu diesem Krieg geführt habe, keinesfalls um die Rechtfertigung des russischen Einmarschs in die Ukraine. Sie habe sich das nicht vorstellen können und lehne dieses Vorgehen der russischen Regierung ab.
Dabei lasse es sicher darüber streiten, ob es gerechtfertigte Kriege gäbe oder nicht, erklärte Krone-Schmalz. Sie wolle an dieser Stelle betonen, dass sie ganz grundsätzlich jeden Krieg ablehne.
Stationen auf dem Weg von der Entspannungspolitik zur Eskalation
Als Nächstes stellte sie ausführlich dar, wie der Westen, primär die USA und die NATO, nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und der daraus folgenden großen Chance auf Frieden und Kooperation zwischen dem Westen und Russland das Friedenspotenzial sukzessive zunichtemachten. Russland sei nach der NATO-Osterweiterung von US-Militärbasen eingekreist worden. Es sei sogar ein weiterer US-Militärstützpunkt mit einer Radaranlage in der Arktis eingerichtet worden.
Die Journalistin schilderte detailreich, wie sich die ukrainische Aggression gegenüber der russischen Bevölkerung, insbesondere in der Ostukraine, steigerte. Dies beinhaltete neben militärischen Angriffen auf die Zivilbevölkerung auch die Unterbrechung von Infrastruktur und die Einstellung von Sozialhilfen und Renten in der Donbass-Region.
Besonders fatal sei gewesen, dass die USA alle Abrüstungs- und Rüstungskontrollverträge aufgekündigt hätten. Aus dem im Jahr 1972 abgeschlossenen ABM-Vertrag zur Begrenzung der Raketenabwehrsysteme – die sich leicht in Angriffssysteme umwandeln ließen – zogen sich die USA im Jahr 2002 zurück.
Im Dezember 1987 schlossen Ronald Reagan und Michail Gorbatschow den INF-Vertrag. Demnach sollten alle Atomraketen und die diesbezügliche Infrastruktur innerhalb von drei Jahren vernichtet werden. Nachdem dies im Mai 1991 umgesetzt worden war, wurden anschließend die mit dem Vertrag einhergehenden gegenseitigen Inspektionen eingestellt. Im Jahr 2018 kündigte Donald Trump den INF-Vertrag, der 2019 offiziell außer Kraft gesetzt wurde.
Der im November 1990 zwischen der NATO und dem Warschauer Pakt unterzeichnete Vertrag über Konventionelle Streitkräfte (KSE) legte eine Obergrenze für konventionelle Waffen fest. Im Jahr 2004 wurde von den Nachfolgestaaten des Warschauer Pakts die angepasste Version ratifiziert. Die NATO-Staaten nahmen diese nicht an und errichteten stattdessen rund um Russland NATO-Stützpunkte.
In den ersten Jahren seiner Amtsführung habe sich der russische Präsident Wladimir Putin vielfach für eine friedliche Kooperation auf Augenhöhe mit dem Westen eingesetzt. Doch er habe erkennen müssen, wie russische Interessen vom Westen nicht ernst genommen wurden. Gleichzeitig habe man in westlichen Medien schon frühzeitig angefangen, das Bild eines russischen Aggressors zu zeichnen. Als Beispiel nannte Krone-Schmalz den Georgienkrieg, bei dem Russland beschuldigt worden sei, obwohl Georgien angegriffen hat. Auch die Rolle Russlands in Syrien sei völlig verdreht dargestellt worden.
Bei den Auseinandersetzungen innerhalb der Ukraine spielten viele Faktoren eine Rolle. Aufgrund ihrer Geschichte fehle der Ukraine grundsätzlich die historische Kontinuität der Staatlichkeit.
“Die Ukraine ist per se kein monolither Block ohne Fliehkräfte”,
beschrieb Krone-Schmalz die komplizierte Zusammensetzung des Landes. Dabei gebe es in ihren Augen durchaus eine Rolle, die die Ukraine international spielen könnte: Sie könne als Vermittlerin zwischen Ost und West fungieren.
Friedensstrategien: Persönliche Treffen und Aktivierung aller Dialogforen
Für die EU sei es unter anderem deshalb so schwer, sich als Vermittlerin im Konflikt zwischen Russland und der Ukraine zu betätigen, weil die neu aufgenommenen osteuropäischen Länder und hier ganz besonders Polen aufgrund ihrer Geschichte Russland zutiefst misstrauen würden. Als Merkel und Macron vorgeschlagen hätten, sich auf EU-Ebene mit Putin zu treffen, habe eine kleine östliche Minderheit dies verhindert. Man habe sich mit der Aufnahme dieser Länder in die EU keinen Gefallen getan. Die Mitverantwortung dieser osteuropäischen Länder für das Scheitern von Verhandlungen hinterfrage diesbezüglich niemand.
Die dringend notwendige Entspannungspolitik wird Krone-Schmalz zufolge ein harter Kampf. Das zeige sich schon allein daran, wie Bundespräsident Steinmeier bereits für kleinste Schritte in dieser Richtung angegriffen wird. So ergehe es fast jedem, der sich im Westen für eine Entspannungspolitik mit Russland einsetzt.
Sanktionen würden schon deshalb nicht helfen, weil sanktionierte Staaten sich erfahrungsgemäß nicht so verhalten, wie der Sanktionierer dies beabsichtige. Im aktuellen Fall hätten die Sanktionen den europäischen Staaten mehr geschadet als Russland.
Grundsätzlich sei nichts wichtiger als persönliche Treffen unter den Konfliktpartnern. Krone-Schmalz wurde an dieser Stelle konkret:
“Alles was es an Dialogforen zwischen Russland und dem Westen gibt, soll wieder aktiviert werden.”
Allerdings würde der Dialog zur Leerformel, wenn die Interessen des Gegenübers nicht anerkannt würden. Die Minsker Vereinbarungen müssten wieder ins Spiel gebracht werden. Auch wenn es anders dargestellt würde, in einem Krieg gehe es immer um Interessen. Eine besondere Verantwortung käme dem Journalismus zu, der die moralischen Deckmäntel und falschen Vorwände aufdecken müsse:
“Es geht nicht um Moral, es geht um Interessen. Interessen sehen besser aus, wenn sie moralische Deckmäntelchen haben. Diese Deckmäntelchen zu lüften ist die Aufgabe der Journalisten.”
Eine Voraussetzung für eine schnelle Beendigung dieses Stellvertreterkriegs zwischen dem Westen und Russland sei, Sorge für die Gesichtswahrung aller Beteiligten zu tragen. Keine Seite dürfe vorhaben, der anderen Seite eine Lektion zu erteilen. Und obwohl Krone-Schmalz grundsätzlich Transparenz bevorzuge, hoffe sie in diesem Krieg auch auf eine funktionierende Geheimdiplomatie bei der Umsetzung gesichtswahrender Lösungen. Bei geheimdiplomatischem Vorgehen unter Ausschluss der Öffentlichkeit könne die Presse auch nicht jeden Satz zerreißen.
Es gebe ihr daher Hoffnung, dass der US-amerikanische Verteidigungsminister Lloyd Austin und der russische Verteidigungsminister Sergei Schoigu am vergangenen Sonntag unter Ausschluss der Öffentlichkeit telefoniert haben. Sie wolle an dieser Stelle daran erinnern, dass auch die Entspannungspolitik nach 1968 unter Ausschluss der Öffentlichkeit begonnen habe.
In der aktuellen Lage helfe es nicht, einander vorzuhalten, welche Fehler die andere Seite sich in der Vergangenheit habe zuschulden kommen lassen. Eines stehe aber fest, eine Friedensarchitektur, die wir im Jahr 1991 leicht hätten haben können, müssten wir jetzt mühsam nachholen.
Vorbild für eine friedliche Debattenkultur
Für die nachfolgende Diskussion wünschte sich die Journalistin: “Lassen Sie uns kontrovers und respektvoll miteinander streiten.” In der Diskussion im Kölner Brunosaal wurde deutlich, dass zwar eine große Publikumsmehrheit die Auffassung der Journalistin teilte, ein Teil der Zuschauer aber dem offiziellen Narrativ folgte und mit dem Vortrag nicht einverstanden war.
Bei den teilweise auch provokativ vorgetragenen Fragen der Kritiker ihrer Auffassung ging die Journalistin mit gutem Beispiel voran. Geduldig und ruhig zeigte sie Verständnis für unterschiedlichste Positionen. Dabei begegnete sie Vorwürfen und auch zornigen Beiträgen aus dem Publikum mit sachlichen Argumenten. Eindrucksvoll lebte sie vor, wie man sich in einer kontroversen Debatte friedlich auseinandersetzen kann. Am Ende erhielt Krone-Schmalz stehenden Applaus.
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