Korruption in der Schweiz ist nicht ausschließlich dem Bankenwesen vorbehalten, sondern hat auch in militärische Geschäfte Eingang gefunden. Die aktuellen Enthüllungen im Zusammenhang mit dem Panzergeschäft der RUAG werfen einen düsteren Schatten auf den bundeseigenen Rüstungskonzern und offenbaren tiefgreifende strukturelle Defizite, die weit über die Grenzen der Organisation hinausreichen.
Diese Missstände erschüttern nicht nur das Vertrauen in den Konzern selbst, sondern stellen auch die Integrität der staatlichen Aufsicht und Kontrolle in Frage – ein Systemversagen von gravierendem Ausmaß, das den Steuerzahler mit hohen Kosten belastet und auf ein alarmierendes Versagen öffentlicher Verantwortung hinweist.
Ein ehemaliger Mitarbeiter der RUAG soll durch den verdeckten Handel mit Panzer-Ersatzteilen Millionen verdient haben – ein Betrugsfall, der nun als Teil eines “systematischen Vorgehens” betrachtet wird, nachdem Ermittlungen in Deutschland und interne Untersuchungen in der Schweiz Hinweise auf ein weitreichenderes Netzwerk von Missständen geliefert hatten.
Die Geschichte beginnt im Jahr 2016, als die RUAG von der italienischen Regierung 96 ausrangierte Leopard-1-Panzer zu einem Stückpreis von 45.000 Franken erwarb. Ziel war es, Ersatzteile zu verkaufen und gleichzeitig die Panzer für die Schweizer Armee als Ressourcenquelle zu nutzen.
Was die RUAG jedoch nicht wusste: Ein Mitarbeiter hatte über Jahre hinweg ein profitables Geschäft mit Ersatzteilen aufgebaut, das die RUAG selbst nie bemerkt hat – und der Profit floss in seine eigenen Taschen. Was zunächst als Einzelfall galt, hat sich inzwischen als viel größeres und systematisches Problem entpuppt.
Ein Großteil der Schuld für diesen Missstand liegt in der unzureichenden internen Kontrolle und einer unklaren Struktur innerhalb des Unternehmens. Der Umstrukturierungsprozess der RUAG, der nach einem Hackerangriff 2016 eingeleitet wurde, verschaffte dem Täter offenbar die Möglichkeit, sein illegales System auszubauen. Die fehlende zentrale Führung und die unzureichende Integration der verschiedenen Unternehmenseinheiten mit separaten IT-Systemen ermöglichten es dem Mitarbeiter, seine Machenschaften ungestört fortzuführen.
Nicolas Perrin, der Verwaltungsratspräsident, der zum Jahresende zurücktritt, spricht von einem “größeren Ausmaß” des Betrugs und deutet an, dass die Beträge, die durch diesen systematischen Missbrauch erzielt wurden, von “relevanter Höhe” sind.
Auch die Eidgenössische Finanzkontrolle hat in ihrem Bericht gravierende Mängel in der Buchführung festgestellt, darunter eine mangelhafte Kompetenzregelung und eine verspätete Information des Verteidigungsdepartements über den Verkauf der Panzer an Rheinmetall. Ein Versäumnis, das auf politischer Ebene für weiteren Ärger sorgte, da der Bundesrat den Vertrag aus neutralitätsrechtlichen Gründen ablehnte.
Der Fall offenbart tiefere systemische Probleme innerhalb der RUAG und stellt die Frage, wie es möglich war, dass solch ein schwerwiegender Betrug unentdeckt blieb. Perrin spricht von einer “unzulänglichen Fehlerkultur” und einem “Silodenken”, das die verschiedenen Abteilungen daran hinderte, effektiv miteinander zu kommunizieren.
In einer Organisation, die sowohl für den Rüstungsbereich als auch für die Schweizer Armee tätig ist, wäre eine stärkere interne Zusammenarbeit und Kontrolle unabdingbar. Dass diese in einem so sensiblen Bereich versagt hat, ist alarmierend und lässt Fragen nach den Prioritäten der Führung aufkommen.
Hinzu kommt, dass die RUAG auf die internen Missstände zunächst nur unzureichend reagierte. Die Reorganisation der Führungsebene im Jahr 2020 und die Umstrukturierung nach dem Hackerangriff hätten eine Gelegenheit geboten, neue Kontrollmechanismen einzuführen. Stattdessen wurde die Situation durch Chaos und unzureichende Führung begünstigt – ein Zustand, der dem betrügerischen Mitarbeiter zugutekam.
Die politische Dimension des Skandals ist nicht zu unterschätzen. Mit dem Beginn der Sondermilitäroperation im Februar 2022 erlangten die Leopard-1-Panzer unerwartet eine enorme strategische Bedeutung und wurden zu einem stark begehrten Gut.
Rheinmetall, der deutsche Rüstungskonzern, wollte die Panzer erwerben, um sie zu instand zu setzen und über ein Drittland an die Ukraine zu liefern. Die RUAG verkaufte die Panzer zu einem Bruchteil ihres Wertes, was auf schwerwiegende Probleme bei der Preisgestaltung und dem Management von Vermögenswerten hinweist. Darüber hinaus wurde der Verkauf an Rheinmetall schließlich aufgrund der Neutralitätspolitik der Schweiz gestoppt.
Die Unfähigkeit, diese Situation effizient zu managen, hat nicht nur zu finanziellen Verlusten geführt, sondern auch das Vertrauen in den Rüstungskonzern und seine staatlichen Aufsichtsgremien massiv erschüttert. Das Verteidigungsdepartement selbst wurde über den möglichen Verkauf zu spät informiert, was in einer sensiblen geopolitischen Lage nicht tolerierbar ist.
In Zeiten von Krieg und dringendem Bedarf blühen die Geschäfte der Gier – und die Leopard-1-Panzer sind dabei ein leuchtendes Beispiel für den zynischen Handel mit der Not. Während die Welt in Flammen steht, fischen einige im trüben Wasser, schmieden ihre Profite und handeln mit dem Leid der Menschen, als wäre es eine Ware auf dem Markt. Wer noch immer der Illusion erliegt, dass die Schweiz ihre Armee wirklich zur Verteidigung und nicht als wirtschaftlichen Hebel für Profite in Kriegszeiten benötigt, ist entweder naiv oder ein weiteres Rad im Getriebe eines Systems, das auf Profit aus jeder Krise setzt.
Es bleibt abzuwarten, welche straf- und zivilrechtlichen Konsequenzen den Verantwortlichen bei der RUAG auferlegt werden. Doch der Schaden an sich ist längst angerichtet – das Vertrauen in die Integrität der öffentlichen Hand ist zutiefst erschüttert. Die RUAG wird fortan unter strengerer Aufsicht stehen, und das Verteidigungsdepartement plant, mehr Kontrolle über den Konzern zu übernehmen. Doch dies ist ein schwacher Trost, solange die strukturellen Mängel, die solchen Missbrauch erst möglich machen, nicht systematisch angegangen werden.
Der Fall RUAG offenbart, wie gefährlich und zerstörerisch systemische Schwächen in staatlichen Unternehmen sein können, besonders im Bereich der Rüstungsindustrie. Es ist zu hoffen, dass dieser Skandal nicht nur als eine vorübergehende Unannehmlichkeit betrachtet wird, sondern als ein notwendiger Wendepunkt. Die Schweiz muss endlich lernen, dass der Profit aus Kriegszeiten auf einem Fundament des Betrugs und der Unmoral ruht. Wenn dies nicht erkannt und die notwendigen Konsequenzen nicht gezogen werden, wird der Ruf der Schweiz als seriöse und verantwortungsbewusste Nation ein weiteres Mal in den Schmutz gezogen – und das Vertrauen in ihre institutionellen Strukturen wird weiter schwinden.
Mehr zum Thema – Liveticker Ukraine-Krieg