
Von Alexej Danckwardt
Gleich zwei Gerichte in zwei EU-Ländern, Polen und Italien, haben im Laufe der vergangenen Woche beschlossen, die mutmaßlich an der Sprengung der Nord-Stream-Gaspipelines im Herbst 2022 beteiligten Ukrainer nicht an Deutschland auszuliefern. Mehr noch: Die Verdächtigen wurden in beiden Fällen sofort auf freien Fuß gesetzt und sind inzwischen mit Sicherheit von dannen.
Dass es ein Schlag ins Gesicht Deutschlands ist, dessen Justiz (wenn auch wenig enthusiastisch) um die Auslieferung ersucht hat und dessen strategische Infrastruktur und Zukunftssicherung die Pipelines in erster Linie waren, liegt auf der Hand. Ein Verstoß gegen EU-Recht ist es auch, denn gesucht wurden die beiden Männer mit EU-Haftbefehl. Und bei den Tatbeständen, die ihnen zur Last gelegt wurden, verbietet das EU-Recht den Gerichten des ersuchten Vertragsstaates jede Prüfung der Rechtslage: Sie haben u. a. Terrorverdächtige auszuliefern, selbst wenn nach ihrer Rechtsauffassung und dem Recht des ausliefernden Staates die Tat nicht strafbar sein sollte. Die Prüfung des in Deutschland anwendbaren Rechts ist wiederum deutschen Gerichten überlassen, die polnischen und italienischen Richter haben allein deshalb schon willkürlich gehandelt und Recht gebeugt. Zum Katalog der Straftaten, bei denen die Auslieferung ohne jede inhaltliche Prüfung Pflicht ist, zählen unter anderem auch Sabotage und Terrorismus.
Doch das ist bei Weitem nicht das Skandalöseste an diesen Entscheidungen: Beide Gerichte hebeln mit ihren Begründungen das internationale humanitäre Kriegsrecht nahezu vollständig aus und schaffen gefährliche Präzedenzfälle. Sie ermutigen die ukrainischen Staatsterroristen geradezu, weitere Terror- und Sabotageakte in Europa zu begehen. Das hat schon jetzt Folgen: Explosionen der letzten Tage in Erdölraffinerien in Bulgarien, Ungarn und Rumänien gehen mit hoher Wahrscheinlichkeit auf das Konto des ukrainischen Staatsterrorismus, und sie werden nicht die letzten gewesen sein.
Die Argumentation der polnischen und italienischen Richter (und der Politiker, die die Gerichtsbeschlüsse verteidigen und loben) ist nur auf einen sehr oberflächlichen Blick schlüssig: Die Ukraine befindet sich, heißt es darin, in einem Selbstverteidigungskrieg, und in diesem sind auch Sabotageakte gegen Infrastruktur und Wirtschaft erlaubt.
Lassen wir für die Zwecke dieses Artikels beiseite, dass nach meiner völkerrechtlichen Überzeugung Russland in diesem Krieg in der Ukraine im Recht ist: Es übt, erstens, seinerseits kollektiv mit dem von der Ukraine seit 2014 rechtswidrig angegriffenen Donbass dessen Selbstverteidigungsrecht aus; es kommt, zweitens, seiner völkervertraglichen Pflicht nach, einen Genozid zu verhindern; sein präemptives Selbstverteidigungsrecht gegen die NATO-Aggression aus der Ukraine heraus ist, drittens, jedenfalls naheliegender als das der USA und ihrer willigen Konsorten gegen den Irak, selbst wenn Saddam Hussein Massenvernichtungswaffen gehabt hätte. Lassen wir auch beiseite, dass nicht polnische und nicht italienische Gerichte (deutsche übrigens auch nicht) das letzte Wort über die Völkerrechtmäßigkeit der russischen Intervention haben.
Eines ist selbst dann unbestreitbar, wenn jemand sich tatsächlich gegen eine völkerrechtswidrige Aggression verteidigt – auch in der Selbstverteidigung ist nicht alles erlaubt. Grenzen setzt auch der Kriegspartei, die sich auf Selbstverteidigung beruft, das humanitäre Kriegsvölkerrecht. Dieses hat sich über Jahrhunderte entwickelt und speist sich aus einer Vielzahl an Quellen, deren Darstellung den Rahmen dieses Artikels sprengen würde. Wer sich damit genauer befassen will, kann sich diese 120 Seiten umfassende Darstellung des Bundesministeriums für Verteidigung ansehen, die zugleich Allgemeine Dienstanweisung für die Bundeswehr ist.
Klar ist, und das ist ein universell, auch für Polen, Italien und die Ukraine, geltender Grundsatz, dass zivile Objekte keine legitimen Ziele von Kriegshandlungen sind. Wer sie angreift, begeht ein Kriegsverbrechen. Wirtschaftsziele sind grundsätzlich zivile Ziele, es sei denn, sie tragen wirksam und unmittelbar zu militärischen Handlungen des Gegners bei, wie beispielsweise Rüstungsfabriken, Verkehrseinrichtungen, Industrieanlagen oder Telekommunikationsanlagen. Aber stets eben unter der Bedingung, dass sie zu militärischen Handlungen wirksam und unmittelbar beitragen (Seite 46 in der oben verlinkten Abhandlung des BMfV).
Über die Nord-Stream-Pipeline floss das Erdgas nicht in russische Rüstungsfabriken, sondern nach Deutschland und über Deutschland in andere europäische Länder. Es leistete somit, und das war und ist auch polnischen und italienischen Richtern ohne Zweifel bekannt, selbst keinen unmittelbaren und wirksamen Beitrag zur russischen Rüstungsproduktion. Was die Richter konstruieren, ist, dass die Verkaufserlöse für das transportierte Gas zum Teil in den Haushalt der Russischen Föderation fließen und damit die Finanzierung der Kriegsführung ermöglichen. Doch das ist eine Frage der allgemeinen Wirtschaftskraft. Wäre die allgemeine Wirtschaftskraft des kriegsführenden Landes legitimes Kriegsobjekt, würde die Unterscheidung ziviler und militärischer Ziele schlicht keinen Sinn mehr ergeben: Jedes Wirtschaftsobjekt wäre legitimes militärisches Ziel, was dem Anliegen des humanitären Kriegsvölkerrechts klar zuwiderläuft.
So formuliert es das Bundesverteidigungsministerium:
“Im Zweifel wird vermutet, dass ein Objekt, das in der Regel für zivile Zwecke bestimmt ist, nicht dazu verwendet wird, wirksam zu militärischen Handlungen beizutragen (5 52 Abs. 3). Es ist daher als ziviles Objekt zu behandeln.”
Indem die Gerichte in Polen und Italien nun die Infrastruktur, die dem allgemeinen Wirtschaften (und nur indirekt auch der Kriegsfinanzierung) dienen, zum legitimen Angriffsziel erklärten, haben sie somit Jahrhunderte Rechtsentwicklung und faktisch die gesamte Unterscheidung zwischen zivilen und militärischen Zielen über Bord geworden. Setzte sich dieser Unfug durch, bedeutete dies, dass in Zukunft unterschiedslos alles bombardiert, angegriffen, sabotiert und zerstört werden darf, was dem Staatshaushalt des Gegners Einnahmen verschafft: vom Kuhstall bis zur Spielzeugfabrik.
Und es gibt noch andere Gründe, aus denen die polnisch-italienischen Entscheidungen gröbste Rechtsbeugung sind. Mit den Nord-Stream-Pipelines wurden Ziele angegriffen, die (a) nicht im Eigentum des kriegführenden Staates stehen und (b) weder im Kriegsgebiet noch überhaupt auf dessen Territorium liegen. Was kann unter dieser Prämisse noch alles in die Luft gesprengt werden? Häfen in Drittstaaten, über die der Export von Waren aus dem kriegführenden Staat läuft? Eisenbahnlinien in Drittstaaten, die demselben Zweck dienen? Flughäfen neutraler Länder mit regelmäßigen Verbindungen in den kriegführenden Staat? Banken auf anderen Kontinenten, die den Zahlungsverkehr abwickeln?
Im Grunde haben die der Russophobie frönenden Polen und Italiener da die Büchse der Pandora geöffnet: Nichts und niemand wird künftig vor Sabotage- und Terrorakten sicher sein. Niemand kann sein privates Eigentum in Sicherheit wähnen, selbst wenn er und es Tausende Kilometer von einem Kriegsschauplatz entfernt sind.
Nebenbei sei erwähnt, dass die Sprengung von Nord Stream auch noch gegen das Verbot der Umweltkriegführung verstoßen hat: Der Schaden für Klima und Umwelt durch den Austritt derart großer Mengen Erdgases in Wasser und Luft verursachen der natürlichen Umwelt ausgedehnte, lang anhaltende und schwere Schäden, sodass der Akt nicht anders denn als strafbares Umweltkriegsverbrechen gewertet werden kann.
Zu guter Letzt wurde die Tat auch nicht von ukrainischen Soldaten in Uniform begangen, sondern von zivil gekleideten Personen, die in diesem Fall nicht einmal irgendwie gearteten Status geschützter Kombattanten beanspruchen können: Wertet man sie als Spione, so agierten sie nicht auf feindlichem Territorium. Aktionen von Kommandoeinheiten sind ebenfalls nur im vom Gegner kontrollierten Gebiet zulässig, nicht in Drittstaaten, die nicht unmittelbar Kriegspartei sind, oder in internationalen Gewässern. Der ukrainische Staat bekennt sich ja nicht einmal zur Nord-Stream-Sprengung. Soll künftig also jede Privatperson ohne Uniform und ohne Befehl sprengen, was ihr beliebt, weil sie meint, damit die Wirtschaftskraft eines “Angreifers” schwächen zu können?
Wie man es dreht und wendet: Dem Völkerrecht wurde durch die polnisch-italienische Rechtsbeugung ein schwerer Schaden mit noch unabsehbaren Folgen zugefügt. Das vom Russenhasser Friedrich Merz geführte Deutschland wird die ihm zugefügte Schmach ohne Zweifel schlucken, und deshalb wird es mit Sicherheit nicht die letzte sein.
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