Fußballpartien, die von der Polizei als Hochrisikospiele eingestuft werden, sind aufgrund des erforderlichen Sicherheitsaufgebots mit hohen zusätzlichen Personalkosten verbunden. Als Hochrisikospiele werden Partien bezeichnet, bei denen mit gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen den Fanlagern gerechnet wird.
Seit Jahren tobt ein Streit darum, wer die zusätzlichen Kosten zu tragen hat. Viele Kommunen möchten die Deutsche Fußball Liga (DFL) dafür in Haftung nehmen. In der DFL sind die 36 Fußballvereine der Bundesliga und der 2. Liga der Männer organisiert. Der Verband weist die Forderungen jedoch mit dem Argument zurück, dass die Polizei nun mal für die Sicherung der öffentlichen Ordnung zuständig sei und beispielsweise auch die Organisatoren von Protestdemos nicht für den erforderlichen Polizeieinsatz bezahlen müssten.
Die Stadt Bremen wollte dieser Argumentation aber nicht folgen. Nachdem es im April 2015 zu einem Hochrisikospiel im Weser-Stadion gegen den Hamburger SV gekommen war, erließ die Stadt einen Gebührenbescheid von über 425.000 Euro an die DFL für die zusätzlichen Polizeikosten, die rund um das Spiel entstanden waren.
Grundlage für die Rechnungsstellung ist das Gebühren- und Beitragsgesetz Bremens, das es der Stadt seit 2014 erlaubt, bei gewinnorientierten und erwartungsgemäß gewaltgeneigten Veranstaltungen mit mehr als 5.000 Personen Gebühren für polizeiliche Mehrkosten zu erheben.
Die DFL weigerte sich jedoch, die Kosten zu übernehmen. Und so ging die Angelegenheit vor das Verwaltungsgericht, und schließlich durch alle Instanzen bis zum Bundesverwaltungsgericht. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde ist die DFL nun aber gescheitert. Denn das Gericht in Karlsruhe entschied am Dienstag, dass Vereine an den Kosten des Polizeieinsatzes beteiligt werden können.
Die angegriffene Norm sei mit dem Grundgesetz vereinbar, erklärte Gerichtspräsident Stephan Harbarth in der Urteilsverkündung. Ziel der Regelung sei es, die Kosten auf denjenigen zu verlagern, der sie zurechenbar veranlasst habe und bei dem die Gewinne anfallen. Das sei ein verfassungsrechtlich legitimes Ziel.
Die DFL hatte zuvor argumentiert, es mangele an einer abgrenzbaren, ihr zurechenbaren Leistung der Stadt Bremen. Das sei aber verfassungsrechtliche Voraussetzung für eine rechtmäßige Gebührenerhebung. Zudem seien nicht die Organisatoren, sondern einzelne Störer für den erforderlichen Polizeieinsatz verantwortlich.
Wegweisendes Urteil mit ungeahnten Folgen
In einer ersten Reaktion auf das wegweisende Urteil erklärte das Land Berlin, zurzeit keine Kostenbeteiligung der Fußballvereine an Polizeieinsätzen bei Hochrisikospielen zu erwägen. “Wir werden das Urteil des Bundesverfassungsgerichts und seine Begründung bewerten, sobald sie vorliegt. Es gilt aber auch weiterhin meine Position, dass das Land Berlin keine Kostenbeteiligung für Vereine an Zusatzausgaben bei Polizeieinsätzen im Hinblick auf Hochrisikospiele plant”, sagte die Innen- und Sportsenatorin Iris Spranger gegenüber der dpa.
Das Fanbündnis ‘Unsere Kurve’ nahm das Karlsruher Urteil indes “fassungslos zur Kenntnis”. “Es ist zu befürchten, dass damit der staatlichen Ordnung der Bundesrepublik Deutschland langfristig schwerer Schaden zugefügt wird”, heißt es in einer Erklärung.
“Nach unserer Auffassung und im Einklang mit den Ansichten unzähliger Fachleute ist die Gewährleistung öffentlicher Sicherheit und Ordnung eine Kernaufgabe des Staates”, heißt es darin weiter. Und diese Gewährleistung habe gemäß dem Steuerstaatsprinzip aus Steuermitteln zu erfolgen, so der Verband, der darauf hinweist, dass der deutsche Profifußball dem Staat jährlich Steuern in Höhe von ca. 1,6 Milliarden Euro einbringt.
Laut Thomas Kessen, Sprecher des Fanverbands, müsse das Urteil dann auch “fair und gleich” auf alle öffentlichen Großveranstaltungen angewendet werden:
“Wir erwarten nun vom Freistaat Bremen jährliche Rechnungen an die Veranstalter des Bremer Freimarkts. Auch das Münchner Oktoberfest, der Kölner Karneval und die Silvesterpartys am Brandenburger Tor müssen den Veranstaltern in Rechnung gestellt werden. Ob wir als Gesellschaft das allerdings wollen, darf bezweifelt werden – und ebenso zweifelhaft ist das heutige Urteil.”
Durch das Urteil verkomme die Polizeiarbeit zur “simplen Dienstleistung”, gibt der erste Vorsitzende von ‘Unsere Kurve’ zu bedenken. “Es ist nun unabdingbar, dass den Klubs Entscheidungsgewalt in der polizeilichen Einsatzplanung eingeräumt wird und überdimensionierte Polizeieinsätze endlich ein Ende haben”, so Jost Peters.
Auch Linda Röttig, Mitglied im Vorstand des Dachverbands der Fanhilfen, kritisierte den Richterspruch:
“Das heutige Urteil des Bundesverfassungsgerichts ist ein Freifahrtschein für einen immer aggressiver und martialischer auftretenden Polizeiapparat.”
Die DFL selbst hält die Konsequenzen des Urteils für noch nicht absehbar. Diese würden sich erst in den kommenden Wochen und Monaten zeigen, so der Verband.
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