Eine Analyse von Ilja Kramnik
Die Antwort auf die Frage, wozu die ukrainischen F-16 in ukrainischer Hand fähig sein werden, hängt von sehr vielen Parametern ab. Und einer der wichtigsten dabei ist die Anzahl der aus dem Westen übergebenen Kampfflugzeuge. Wenn es sich um 20–30 Maschinen handelt (und in der ersten Phase werden es wohl kaum mehr werden), dann werden sich die Fähigkeiten dieser Flotte nicht von denen der für Kiew heute verfügbaren sowjetischen Su-27 und MiG-29 unterscheiden: Seltene Flugeinsätze von einzelnen Maschinen, manchmal auch von Paaren, für Angriffe auf Bodenziele unter Verwendung von Lenkwaffen – Lenkflugkörper JASSM und HARM, JDAM-ER-Bomben und dergleichen.
Natürlich wird die F-16-Flotte bei solchen Flügen Verluste erleiden, aber sie werden nicht allzu kritisch sein: Um immer mal wieder eine Maschine oder ein Flugzeugpaar in den Einsatz zu schicken, dafür wird die Flotte in der oben umrissenen Größe lange reichen.
Ein Kampf um die Luftherrschaft hingegen ist mit einer solchen Formation schon aufgrund der Anzahl unmöglich. Ständige Luftpräsenz lässt sich mit 20–30 Flugzeugen nicht aufrechterhalten, insbesondere angesichts der Ausdehnung der Front. Und selbst wenn Kiew dies versucht, dann bedeutet jeder Verlust eine ernsthafte Schwächung eines solchen ohnehin schon kleinen Aufgebots.
Auch können die transferierten F-16A, die in den 1980er Jahren gebaut und teilweise modernisiert wurden, nicht um die Lufthoheit gegen Russlands Suchoi Su-30SM und Su-35 kämpfen: Diese sind ihnen in Bezug auf Reichweite ihrer Radare und Schussweite mit Luft-Luft-Lenkraketen überlegen, zumal es in den russischen Streitkräften eine kleine, aber einsatzbereite Gruppe von Spezialflugzeugen gibt, vor allem fliegende Luftgefechtsstände – und der ukrainischen Luftwaffe solche Maschinen fehlen.
Unterstützung der ukrainischen F-16 durch fliegende Luftgefechtsstände der NATO-Luftstreitkräfte kann wiederum nur in sehr begrenztem Maße hilfreich sein: Die Radarreichweite der E-3 Sentry-Flugzeuge reicht nicht aus, um ein vollwertiges Gefechtsmanagement über der Ostukraine zu gewährleisten. Indes darf man den NATO-Verband solcher Maschinen nicht völlig abschreiben: Seine Fähigkeiten zur elektronischen Aufklärung sind sehr groß – und gerade in Verbindung mit der Satellitenaufklärung in ihren verschiedenen Formen, die ja nirgendwohin verschwunden ist, sehr nützlich. Doch um Kiew eine “Informationsüberlegenheit” im Luftkampf zu verschaffen, wären Flüge der Radar-Fernaufklärung direkt über ukrainischem Gebiet erforderlich, und zwar mindestens irgendwo ziemlich nah am Dnjepr. (Falls es ausgesprochen werden muss: Dort wären sie für Russlands Jagdflugzeuge und Luftabwehr vogelfrei und ein dickes, fettes Ziel; Anm. der Redaktion)
Die Antwort auf die Frage, welche Flugzeuge die ukrainische Luftwaffe einsetzen könnte, um der russischen Luftwaffe die Lufthoheit streitig zu machen, ist also recht einfach: nur zahlreiche. Genaugenommen braucht es ab einhundert Kampfflugzeuge aufwärts, und zwar in moderner Ausführung – und diese müssen, wie gesagt, auch von einer Gruppe von Flugzeugen zur Fernaufklärung mittels Radar direkt über ukrainischem Gebiet unterstützt werden. Die ukrainischen Luftstreitkräfte können einen solchen Verband allerdings nicht aufstellen. Und zwar noch nicht einmal dann, falls ihnen die Flugzeuge und überhaupt die gesamte Ausrüstung aus dem Ausland geliefert werden: Dazu wären sehr viel mehr Leute und eine lange Zeit – Jahre – erforderlich. Was in dieser Zeit aus den ukrainischen Landstreitkräften wird, drängt sich in diesem Zusammenhang als eine andere Frage auf.
Aber selbst wenn man von der hypothetischen Möglichkeit einer solchen Formation ausgeht, bietet sie keine Erfolgsgarantie: Die russischen Luft- und Weltraumkräfte könnten in Reaktion darauf ihre eigene an der militärischen Sonderoperation teilnehmende Gruppierung aufstocken. Daraufhin müsste, wenn man weiterhin nach derselben Eskalationslogik verfährt, die Frage nach dem Einsatz der gesamten NATO-Luftwaffe im Krieg in der Ukraine gestellt werden.
Übersetzt aus dem Russischen.
Ilja Kramnik ist wissenschaftlicher Mitarbeiter des Zentrums für Studien der strategischen Planung des Instituts für Weltwirtschaft und internationale Beziehungen der Russischen Akademie der Wissenschaften. Man kann ihm auf seinem Telegram-Kanal folgen.
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