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EU: Wie Menschenrechte und Demokratie schwinden

rtnews by rtnews
21/12/2025
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Diesmal haben die Sanktionen den Schweizer Oberst Jacques Baud erwischt. Recht ist in der EU zunehmend ein Produkt der Willkür. Das zeigt sich an diesen nach innen gerichteten Sanktionen ebenso wie an Notstandsbeschlüssen, um Minderheitsvoten zu verhindern.

Von Dagmar Henn

Wird das irgendwann von alleine enden, wie ein Ouroboros, der sich vollständig selbst verschlungen hat? Die neueste Sanktionsliste der EU knüpft mit ihrer Sanktionierung des Schweizer Obersts a.D. Jacques Baud dort an, wo bereits die letzte mit der erstmaligen Sanktionierung von Unionsbürgern an Kernpunkten des bürgerlichen Rechts zu graben begonnen hatte. Baud soll übrigens nicht in der Schweiz, sondern in einem EU-Land leben ‒ zumindest war das der Stand vor der Verhängung der Sanktion. Kaum anzunehmen, dass es dabei bleibt.

War es die französische Regierung, die ihn auf die Sanktionsliste setzte, oder doch die deutsche, die als erste diese Grenze überschritt? Der französische Außenminister pries sich für zwei weitere Sanktionierte, aber nannte Baud nicht persönlich. Andererseits fand sich im letzten Sanktionspaket auch eine frankophone afrikanische Journalistin (und Schweizer Staatsbürgerin), der vorgeworfen worden war, den Einfluss Frankreichs in Afrika zu untergraben…

Wie auch immer. Klar ist jedenfalls, der besondere Rechtscharakter dieser Sanktionen wird weiter verstärkt. Und auf juristischem Wege dürfte sich daran wenig ändern. Die Europaabgeordneten des BSW, Michael Schulenburg und Ruth Firmenich, hatten schon nach den Sanktionen gegen Röper, Lipp und Dogru ein Rechtsgutachten beauftragt, um die Rechtmäßigkeit dieser Sanktionen überprüfen zu lassen, aber das Ergebnis ist finster.

Ja, das Gutachten kommt zu dem Schluss, dass die Maßnahmen wahrscheinlich rechtswidrig sind. Allerdings vor allem aus einem formalen Grund: weil weder eine Anhörung noch ein Rechtsweg vorgesehen sind. Tatsächlich gibt es nicht einmal einen etablierten Mechanismus dafür, eine klare Zuständigkeit, und gewürzt wird das Ganze dadurch, dass schließlich eine der Kernmaßnahmen die Beschlagnahme des gesamten Vermögens ist, und Gelder für die Finanzierung eines Anwalts zwar freigegeben werden können, aber nicht müssen.

“Laut Artikel 215 (3) des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) sollten die Akte, um die es in diesem Artikel geht, die nötigen Maßgaben zum Rechtsschutz beinhalten. Angesichts der massiven Eingriffe, ohne jede vorhergehende Beteiligung eines Richters, der restriktiven Maßnahmen in Bezug auf das Leben der betroffenen Personen, muss die Formulierung ‘notwendige Vorkehrungen zum Rechtsschutz’ so gedeutet werden, dass sie die Informationen über den möglichen rechtlichen Schutz umfasst. Derartige Informationen fehlen in der Verordnung des Rats 2024/2642.”

Im gewöhnlichen deutschen Verwaltungsleben kennt man das so: Ein Bescheid ist ungültig, wenn die Rechtsbehelfsbelehrung am Ende fehlt. Während das im deutschen Verwaltungsrecht allerdings eine fest etablierte Tatsache ist, ist das im europäischen Recht eher so ein Gedanke. Man kann auf dieser Grundlage eine Anfechtung versuchen, es ist aber nicht sicher, dass man damit Erfolg hat…

Ratsbeschluss und Verordnung kollidieren an sich auch “mit dem Recht, das in Artikel 11 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union festgeschrieben ist, da sie eine hinderliche Wirkung auf die Ausübung der Freiheit des Ausdrucks und der Information haben. Sie wirken nicht nur auf Personen, die Desinformation verbreiten. Das Sanktionsregime […] macht es gefährlich, Themen anzufassen, die Gegenstand öffentlicher Kontroverse sind, weil Information als Desinformation etikettiert werden könnte. Fehler bei der Aufnahme von Personen auf die Listen wegen vermeintlicher Desinformation ‒ ob sie nun durch unsachgemäße Anwendung des Rechts oder durch Verwechslung von Personen entstehen ‒ wirken beängstigend. Das Sanktionsregime ist also schuld daran, Journalisten und andere von der Ausübung ihres Rechts auf Freiheit der Meinungsäußerung und Informationsfreiheit abzuschrecken, wenn es bestimmte Themen betrifft.”

Das ist eine zutreffende Beschreibung. Derartige Maßnahmen richten sich, wie alle anderen Formen der Kriminalisierung von Meinung, nicht nur gegen die einzelne betroffene Person, sondern gegen die Gesamtheit, pars pro toto also, und während nur das Recht eines Einzelnen ausgelöscht wird, wird doch das Recht aller anderen vermindert.

Doch auch wenn die beiden Juristen, die dieses Gutachten verfasst haben, diese Position vertreten, findet sich in diesem und anderen Zusammenhängen immer wieder der ernüchternde Hinweis darauf, dass die möglichen rechtlichen Instanzen, der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte wie der Europäische Gerichtshof, stark dazu neigen, den rechtsschaffenden Gremien, hier also dem Europäischen Rat, einen großen Spielraum einzuräumen. Was unter dem Gesichtspunkt, dass die Interessen vieler verschiedener Länder zu bündeln sind und auch die Interpretation einzelner Bestimmungen dadurch sehr wechselhaft sein kann, durchaus Sinn macht, aber sehr problematisch wird, wenn die existenziellen Rechte Einzelner in einem Ausmaß negiert werden, wie das diese Sanktionen tun.

In den bisher entschiedenen Fällen von Sanktionen gegen Personen ging es, das lässt sich aus dem Gutachten entnehmen, vor allem um Terrorismus. Es wird gerade ein Fall zitiert, in dem die Zielperson einer dieser Sanktionen tatsächlich im Geltungsraum dieser Sanktionen lebte. Insofern wundert es nicht, dass es keine Musterentscheidungen gibt; aber das, was diese Entscheidungen, soweit sie angeführt werden, andeuten, ist, dass die Rechte des betroffenen Einzelnen in diesem Zusammenhang kein großes Gewicht haben.

So heißt es im Gutachten beispielsweise, die Sanktionsmaßnahmen beschränkten (für jene Betroffenen, die in der EU leben) die Rechte bezogen auf das Privat- und Familienleben beträchtlich, da “ihnen nicht mehr Mittel oder wirtschaftliche Ressourcen als zur Befriedigung der grundlegendsten Bedürfnisse erlaubt sind” ‒ was noch untertreibt, denn das ist in den Sanktionsregeln eine Kann-, aber keine Muss-Bestimmung. Aber “es ist unwahrscheinlich, dass der Europäische Gerichtshof zu dem Schluss käme, dass die betreffenden Beschlüsse das Recht auf Privat- und Familienleben als solches verletzen”.

Die EU, so die abschließende Schlussfolgerung in diesem Gutachten, “entfernt sich immer weiter vom traditionellen liberalen Konzept der Grundfreiheiten. Wenn bisher individuelle Sanktionen vor allem das Recht auf Eigentum und die Bewegungsfreiheit eingeschränkt haben, hat die EU mit diesen Maßnahmen, die die Freiheit der Meinungsäußerung beschränken, den Rubicon überschritten, indem sie eine Freiheit beschränkt, die für ihre Identität unverzichtbar war.”

Ein Fazit kann man aus dieser doch recht pessimistischen Bewertung ziehen: Die Grundrechte, die in der EU vermeintlich garantiert werden, sind vielleicht hilfreich in der Auseinandersetzung mit einem der Mitgliedsstaaten; aber in dem Moment, in dem die EU als feindselig handelnder Apparat gegenübertritt, sind die Schutzmechanismen ausgesprochen schwach und unzuverlässig.

Nun, das Rechtsgutachten ist auf einen praktischen Zweck ausgerichtet, nämlich die Aussichten für bestimmte juristische Handlungen zu klären. Es behandelt nicht die Frage, womit man es hier zu tun hat, und was diese Schritte, die die EU-Spitze vornimmt, eigentlich bedeuten. Da allerdings wird es deutlich finsterer.

Was wird Jacques Baud vorgeworfen? “Er fungiert als Sprachrohr für prorussische Propaganda und verbreitet Verschwörungstheorien, indem er beispielsweise die Ukraine bezichtigt, ihre eigene Invasion herbeigeführt zu haben, um der NATO beizutreten.” Dadurch sei er im Interesse Russlands an der Schädigung der Ukraine beteiligt. Erinnern wir uns, bei Hüseyin Dogru war es vor allem Berichterstattung über Palästina-Proteste…

Klar ist, es handelt sich zum einen um eine Ausübung der Meinungsfreiheit (die, das hat für Deutschland das Bundesverfassungsgericht explizit geurteilt, keine Wahrheitsfreiheit ist), und zum anderen handelt es sich um Handlungen, die nicht strafbar sind. Der ganze Komplex, der um den Begriff Desinformation geschaffen wird, betrifft nicht strafbare Aussagen.

Gleichzeitig ist allerdings die Eingriffstiefe, die diese Sanktionen erreichen, gerade bei Menschen, die in der EU leben, tiefer, als sie selbst das Strafrecht zulassen würde. Auch das eine Tendenz, die nicht nur auf diesen Bereich begrenzt ist ‒ im Zusammenhang mit den Sanktionen, die jetzt in der Grundsicherung in Deutschland wieder eingeführt werden sollen, stellt sich dieselbe Frage: Wenn es nicht zulässig ist, einem Gefängnisinsassen das Essen zu entziehen, oder das Bett, wie kann es dann rechtens sein, das bei Menschen zu tun, denen nicht einmal eine strafbare Handlung vorgeworfen werden kann, geschweige denn, dass sie wegen einer solchen verurteilt worden wären?

Bauds Bücher erscheinen in Deutschland. Dürfen sie jetzt noch verkauft werden? Oder heißt das, der Verlag darf ihm nichts mehr dafür zahlen, weil jeder wirtschaftliche Kontakt mit einem Sanktionierten strafbar ist? Als die erste Runde derartiger Sanktionen erging, habe ich sie mit der Reichsacht verglichen, denn im Grunde dürfte den Opfern dieser Schritte nicht einmal eine Semmel verkauft werden. Wenn überhaupt, hat sich dieser Eindruck noch verstärkt.

Da reden wir durchaus von einer Aufhebung des Bürger-Seins an sich, des gesamten Pakets der Menschenrechte, die, bezogen auf einige Personen, völlig negiert werden. Was eine ganz grundsätzliche Frage aufwirft: Wenn es möglich ist, in der EU jemanden zum Nicht-Menschen zu machen, zu einer Person, die nicht länger Träger irgendeines Rechts ist, gibt es dann noch Menschenrechte in der EU? Oder ist es nicht vielmehr so, dass die Qualität des Menschenrechts gerade darauf beruht, dass es als unaufhebbar angesehen wird?

Was diese Frage besonders beunruhigend macht, ist, dass gleichzeitig innerhalb der Entscheidungsgremien der EU ein Putsch stattfand ‒ bezogen auf die Entscheidung über eingefrorene russische Vermögen, aber im Kern ist es egal, worum es ging: Bedeutend ist, dass die Notwendigkeit der Einstimmigkeit durch einen Trick umgangen wurde, indem man einen wirtschaftlichen Notstand nach Artikel 122 des EU-Vertrags erklärte. Danach genügte eine einfache Mehrheit.

Nun ist die gesamte Struktur der EU eine Bürokratie mit einer sehr schwachen demokratischen Legitimation. Und je mehr staatliche Eigenschaften sich das Brüsseler Monster zulegt, desto schwächer wird der demokratische Anspruch selbst bei den Entscheidungsverfahren. Diese Berufung auf den Artikel 122, die zuletzt im Zusammenhang mit Corona stattfand (und auch da höchst kritische Ergebnisse zeitigte), ermöglicht es, Mitgliedsländer zu politischen Positionen zu zwingen, die sie aus freier Entscheidung nicht einnehmen würden. Dabei sind die Regierungen der Mitgliedsländer die letzten Instanzen, die noch demokratisch legitimiert sein können ‒ die Kommission ist es nicht.

Also womit haben wir es zu tun, wenn auf der einen Seite im Verhältnis zwischen den Ländern der Anteil des Zwangs immer stärker wird und demokratische Entscheidung nur solange gefragt ist, solange das gewünschte Ergebnis geliefert wird, und auf der anderen Seite, im Umgang mit dem Einzelnen, Bürgern wie Dogru oder Migranten wie Baud, die Menschenrechte annulliert werden können?

Das ist kein zufälliges Aufeinandertreffen. Die beiden Entwicklungen ergänzen und bedingen sich. Und es ist unverzichtbar, sie gemeinsam zu betrachten. Denn dieser ungebändigte, durch keinerlei Gewaltenteilung im Zaum gehaltene Metastaat verfolgt mit beiden grundlegenden Rechtsbrüchen ein Ziel: die Bevölkerungen der EU-Länder in einen Krieg zu treiben. Und sei es, um die eigene Verstrickung in den ukrainischen Korruptionssumpf zu verdecken. Spätestens dieses völlig rücksichtslose, opportunistische Verhältnis zum Recht müsste selbst bei jenen, die die Geschichte der russischen Bedrohung glauben, Zweifel wecken und zumindest die Frage aufkommen lassen, ob nicht auch in diesem Fall die Kur deutlich gefährlicher ist als die Krankheit.

Aber um zum Bild des Anfangs zurückzukehren: Nein, dieses Gewürm wird nicht den Gefallen tun, sich selbst zu verschlingen, so sehr der Nihilismus, mit dem im Grunde jeder rechtliche Fortschritt seit dem 18. Jahrhundert behandelt wird, durchaus die Frage aufwirft, ob und ‒ falls ja ‒ unter welchen Bedingungen dieses Zwangskonstrukt EU noch Bestand haben kann. Es geht nicht nur für Einzelne, die auf Sanktionslisten stehen, um die Existenz. Diese Brüsseler Macht wird langsam, aber sicher lebensbedrohlich für alle, die unter ihr sein müssen.

Mehr zum Thema ‒ Keine Einstimmigkeit mehr nötig: EU beschlagnahmt russische Vermögen mit “qualifizierter Mehrheit”



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Tags: DemokratieMenschenrechteschwindenundWie
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