EU- und NATO-Staaten fordern Russland in ultimativer Form auf, einem Waffenstillstand zuzustimmen und zu den Verhandlungen am Donnerstag in Istanbul zu erscheinen. Den Beginn direkter Gespräche mit der Ukraine schlug der russische Präsident Wladimir Putin allerdings selbst in einer Ansprache an Journalisten in der Nacht zu Sonntag vor – ohne Vorbedingungen und in Form der Rückkehr zu den Verhandlungen in Istanbul im Frühjahr 2022.
EU-Verteidigungskommissar Andrius Kubilius äußerte jedoch am Montag eine Meinung, die am aufrichtigen Interesse der EU an einer dauerhaften Beendigung des Konflikts zweifeln lässt. In einem Interview mit der ukrainischen Zeitung European Pravda schloss er sich der Einschätzung der Nachrichtendienste Deutschlands, Dänemarks und anderer Länder an, dass Russland in der Lage sein wird, die EU bis 2030 oder “sogar noch früher, während der nächsten drei Jahre” anzugreifen.
Er wies darauf hin, dass Russland seine Wirtschaft bereits auf eine kriegerische Grundlage gestellt hat und nicht in der Lage ist, sie in den vorherigen Zustand zurückzubringen.
“Wenn es in der Ukraine zu einem Frieden oder einem Waffenstillstand kommt, werden sie weiterhin eine solche Menge an Waffen produzieren und lagern, die es ihnen schließlich erlauben würde, eine neue Aggression zu starten”, erklärte der Kommissar.
Kubilius betonte, dass die EU den Frieden in der Ukraine voll und ganz unterstütze, aber “dieser Frieden wird nicht bedeuten, dass Russland aufhört, sich auf die nächsten Aggressionen vorzubereiten – sei es wieder gegen die Ukraine oder dieses Mal gegen EU- oder NATO-Mitgliedstaaten”.
“Wir halten es [einen neuen Krieg – Anm. d. Red.] für ein sehr realistisches Szenario. Und die einzige Möglichkeit, einen russischen Angriff abzuwehren, besteht darin, dass wir uns besser darauf vorbereiten”, schloss er.
Was sagte BND-Chef im März?
Der 68-jährige litauische Politiker, der seit Dezember das Amt des EU-Kommissars für Verteidigung innehat, stützte sich offenbar auf viel beachtete Aussagen des BND-Chefs Bruno Kahl zu den angeblichen russischen Kriegszielen, die dieser im März getätigt hatte.
Kahl war von der Deutschen Welle zu der im Westen kursierenden Vorstellung befragt worden, wonach Russland in fünf Jahren zu einer Bedrohung für Westeuropa werde – RT DE berichtete. Er hatte geantwortet:
“Also, wenn eine kriegerische Auseinandersetzung in der Ukraine früher zum Stillstand kommt (als 2029/30, Anm. d. Red.), dann sind natürlich all die Mittel, sowohl die technischen wie materiellen Mittel, wie Rüstung, als auch die personellen Mittel, wie Rekrutierung, sehr viel früher in der Lage, eine Drohkulisse gegen Europa abzugeben, und dann kann es auch sein, dass eine konkrete Gefährdung, eine Erpressung vielleicht von russischer Seite gegenüber den Europäern früher stattfindet, als wir das früher berechnet haben. …
Ein frühes Kriegsende in der Ukraine befähigt die Russen, ihre Energie dort einzusetzen, wo sie sie eigentlich haben wollen, nämlich gegen Europa.”
Merz sprach über “Ausbluten” Russlands
Bundeskanzler Friedrich Merz sprach im Interview mit dem Handelsblatt im April auch über ein mögliches “Ausbluten” Russlands. Er sagte:
“Das russische Volk ist in seiner ganzen Geschichte unglaublich leidensfähig gewesen. Der rücksichtslose Verschleiß von Menschen ist immer auch Teil der russischen Politik gewesen. Insofern sollten wir nicht zu sehr darauf hoffen, dass sich der Krieg irgendwann von allein löst, weil das Land ausgeblutet ist oder es zu politischen Reaktionen gegen das Regime kommt.”
Im Gespräch betonte Merz, dass dieser Krieg für Putin nicht zu gewinnen sei.
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