Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Bündnis 90/Die Grünen) gehörte zusammen mit ihrem französischen Amtskollegen zu den ersten hohen ausländischen Gästen, die dem neuen syrischen Machthaber Ahmed Al-Scharaa (Kampfname Al-Dschaulani) nach dem Sturz der Assad-Regierung in Damaskus einen Besuch abgestattet haben. Die Visite fand am 3. Januar statt, knapp vier Wochen nach dem Regimewechsel. Noch am 8. Dezember formulierte Baerbock ihr Verhältnis zu den islamistischen Machthabern aus den Reihen der Terrormiliz HTS so:
“Das Land darf jetzt nicht in die Hände anderer Radikaler fallen – egal in welchem Gewand”, schrieb sie auf X. Man rufe die Konfliktparteien daher auf, ihrer Verantwortung für alle Syrer gerecht zu werden. “Dazu gehört der umfassende Schutz von ethnischen und religiösen Minderheiten wie Kurden, Alawiten oder Christen und ein inklusiver politischer Prozess, der einen Ausgleich zwischen den Gruppen schafft.” Deutschland wolle Syrien bei einem “inklusiven friedlichen Machtübergang, bei der Versöhnung der Gesellschaft, beim Wiederaufbau” helfen, erklärte Baerbock während ihres Besuchs im Januar.
Nun findet in der syrischen Küstenregion seit Tagen eine ethnische Säuberung statt, ein blutiges Massaker mit allen Merkmalen eines Völkermordes, bei dem Zivilisten aufgrund ihrer ethnisch-religiösen Zugehörigkeit wahllos von bewaffneten Banden getötet werden. Die Zahl der bislang erfassten Opfer beläuft sich nach einer Schätzung der alawitischen Gemeinde inzwischen auf 5.000, weitere 15.000 werden vermisst. Die Angreifer prahlen mit ihren Untaten in unzähligen Videos, was die Beweislast erheblich erleichtert – RT DE berichtet über die Verbrechen seit ihrem ersten Bekanntwerden am 7. März.
Am 9. März hat das Auswärtige Amt dazu eine Stellungnahme veröffentlicht und den “Ausbruch der Gewalt” verurteilt. Die Berichte über die Ermordung von Zivilisten und Gefangenen seien schockierend. Mit Schuldzuweisungen hielt sich das Ministerium auffallend zurück, das ansonsten dafür bekannt ist, Schuldige sehr schnell und teils auch auf bloßen Verdacht hin zu benennen, wenn es politisch nützlich erscheint. Deutsche Außenpolitiker mahnten die syrische Übergangsregierung zu ihrer Verantwortung, weitere Übergriffe zu verhindern, die Vorfälle aufzuklären und die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen. “Wir fordern alle Seiten nachdrücklich zu einem Ende der Gewalt auf.”
Am selben Tag forderten Politiker mehrerer deutscher Parteien im Hinblick auf die “Gewaltausbrüche” Einschränkungen bei der Entwicklungshilfe für Syrien. Laut dem CDU-Außenpolitiker Jürgen Hardt müsse die Entwicklungshilfe für Syrien “an strikte Bedingungen geknüpft und jederzeit wieder rückfahrbar sein”. Nötig sei vor allem ein Frieden im Land, an dem sich alle Akteure beteiligen, auch als Grundlage für eine neue Migrationspartnerschaft.
Clara Bünger, Innenpolitikerin der Linken, forderte, die zukünftige Bundesregierung müsse die Entwicklungshilfe für Syrien “gezielt einsetzen, um den demokratischen Aufbau und rechtsstaatliche Strukturen zu stärken”. Gelder dürften nicht in korrupte Netzwerke oder autoritäre Strukturen fließen, sondern müssten der Zivilgesellschaft und humanitären Projekten direkt zugutekommen. Jenseits davon blieb es in den Reihen der Politiker der regierenden Parteien jedoch auffallend ruhig.
Deutliche Kritik kam lediglich vonseiten der Opposition. Das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) nannte es “geradezu kriminell”, dass die Bundesregierung die islamistischen Machthaber in Damaskus politisch und finanziell unterstütze. Markus Frohnmaier, AfD-Politiker im Auswärtigen Ausschuss, forderte, sämtliche Hilfszahlungen nach Syrien “sofort zu stoppen”.
Syrien. Die Zahl der vom HTS-Schreckensregime ermordeten Alewiten und Christen geht auf Zehntausende. Chef der Kopfabscheider und seit Dezember “Interimspräsident” Ahmed al-Scharaa wird von Berlin und Brüssel umgarnt und reist bald nach Europa um einer Geldgeber-Konferenz… pic.twitter.com/sruInmmjuC
— Wlad Sankin (@wladsan) March 12, 2025
Während der AfD-Co-Vorsitzende Tino Chrupalla auf X schärfere Töne mied und in den schrecklichen Nachrichten nur ein “Scheitern des Friedensprozesses” sah, sprach der EU-Abgeordnete Tomasz Froelich Klartext:
“EU stellt sich auf die Seite der Schlächter! Die EU stellt sich derweil hinter das islamistische Terrorregime, das vor den Augen der Weltöffentlichkeit Alawiten und Christen schlachtet. ‘Wertebasierte Außenpolitik’ bei der Arbeit – pure Heuchelei! Unerträglich”, schrieb er auf Telegram.
Damit ging er auf die offizielle Bewertung der Ereignisse durch den Auswärtigen Dienst der EU ein, der die angebliche Pro-Assad-Kräfte der Eskalation in der syrischen Küstenregion beschuldigte.
Der BSW-Europaabgeordnete Fabio De Masi ging in seinem kurzen Statement während der Plenarsitzung darauf ein und nannte diese Anschuldigungen “groteske Fake-News”. “Eine Mehrheit des EU-Parlaments lehnte eine Debatte dazu ab!”, beschwerte sich der Politiker auf X.
Gestern habe ich bei Eröffnung der Plenarsitzung in Straßburg das groteske Pressestatement des Europäischen Auswärtigen Dienstes kritisiert, dass die Wahrheit über die dschihadistischen Gräuel gegen Alawiten und Christen in Syrien 🇸🇾 verdrehte! Kritik daran gab es ua selbst aus… pic.twitter.com/BS5KS4qJu7
— Fabio De Masi 🦩 (@FabioDeMasi) March 11, 2025
Die AfD Wolfsburg erinnerte an die Reisen der Außenministerin nach Damaskus. “Wo ist Frau Baerbock heute, nachdem sich bewahrheitet hat, dass die religiösen Fanatiker ethnische Säuberungen durchführen und die Alewiten abschlachten? Hat Sie dazu nichts zu sagen?”, hieß es am Mittwoch in einem Posting auf Facebook. “Es war sowas von zu erwarten, dass das passieren würde”, war in einem weiteren Text zu lesen. “Trotzdem kümmert es offenbar keinen der europäischen Politiker von CDU/ SPD oder Grünen. Man hört nichts von unserer Außenministerin, Annalena Baerbock. Für Assad hatten sie alle harte Worte, Sanktionen, Waffen und Gelder für seine Gegner – die besagten Terroristen vom IS. Für diese Schlächter im religiösen Wahn haben sie nichts zu sagen.” Die Verfasser schlugen für religiöse Minderheiten in Syrien Asyl in Deutschland vor. “Verfolgte Christen hätten unseren Schutz verdient.”
Am Dienstag meldete sich der außenpolitische Sprecher der AfD-Fraktion im Bundestag, Matthias Moosdorf, zu Wort. “Tausende getötete Alawiten und Christen sind ein makabres Zeugnis dafür, dass die neuen islamistischen Machthaber vom Al-Qaida-Ableger HTS, welche in den Jahren des Bürgerkriegs von Großbritannien, den USA, Frankreich, Deutschland, Saudi-Arabien und Katar kräftig gefördert wurden, keine lupenreinen Demokraten sind”, hieß es in seinem Statement auf der Webseite der Fraktion.
“Wir begrüßen die amerikanisch-russische Kooperation bei der Einberufung einer dringenden Sitzung des UN-Sicherheitsrats, die am Montag erfolgt ist. Deutschland sollte sich auf Ebene der Vereinten Nationen dafür einsetzen, dass es eine unabhängige UN-Untersuchung der Massaker in Latakia, Homs und anderen Regionen Syriens gibt.
Den syrischen Machthabern muss klar gemacht werden: Kooperation gibt es nur bei einer Gegenleistung. Sanktionen gegen den HTS sollen weiter in Kraft bleiben, bis jegliche Unterstützung und Duldung von Dschihadismus aufhört und die Minderheiten in Syrien frei leben können. Frau Baerbock, wo bleibt eigentlich ihre wertegeleitete Außenpolitik, wenn man sie braucht?”
Der Berichterstatter für Syrien im Arbeitskreis Auswärtige Angelegenheiten der AfD-Fraktion, Steffen Kotré, wies darauf hin, dass Christen und Alawiten vor dem Bürgerkrieg zusammen fast ein Viertel der syrischen Bevölkerung ausgemacht hatten. Auch er schlug Asylschutz in Deutschland für die Angehörigen dieser Minderheiten vor:
“Die AfD-Fraktion fordert die Bundesregierung auf, zusammen mit Ungarn und seinem Hungary Helps Programm für verfolgte Christen und andere Minderheiten im Nahen Osten bei der Hilfe und Unterstützung für verfolgte Christen und Alawiten zusammenzuarbeiten. Während sunnitische Syrer – die große Mehrheit der syrischen Asylbewerber in Deutschland – über den Regime Change in Syrien in Jubel ausbrachen und schnellstmöglich in ihre Heimat zwecks ihres Aufbaus zurückgeführt werden sollten, sollte die Bundesregierung alles daransetzen, die Christen und Alawiten in Syrien vor Ort und in den Anrainerstaaten bestmöglich humanitär zu unterstützen. Christen und Alawiten sollten bis zur Klärung der Situation in Syrien weiterhin Asyl in Deutschland genießen.”
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