Von Wladimir Dobrynin
Risikofreunden auf den internationalen Finanzmärkten eröffnet sich eine gefährliche, aber lukrative Chance. Die westliche Presse sieht Anzeichen dafür, dass der Druck der US-Sanktionen gegen Russland bald gelockert werden könnte. Ende Februar wurde berichtet, dass Banken in der Türkei mit entsprechenden Schritten rechnen; später wurde zudem über die mögliche Wiederaufnahme der Nord Stream 2-Gaspipeline mithilfe US-amerikanischer Investoren berichtet. Die Aussichten auf eine Aufhebung der Sanktionen werden bereits zwischen der Russischen Union der Industriellen und Unternehmer (RSPP) und der US-Handelskammer diskutiert.
Vor dem Hintergrund dieser Berichte haben sich einige Investoren bereits beeilt, auf den internationalen Märkten Vermögenswerte mit Moskau-Bezug zu kaufen, berichtete die spanische Zeitung El Economista. Gleichzeitig wird behauptet, dass solche Aktionen ihren Teilnehmern weitaus größere Gewinne versprechen als “kleine Preisschwankungen bei verschiedenen Vermögenswerten auf begrenzten lokalen Märkten”.
Das auffälligste Beispiel sind die Händler, die ihre Aufmerksamkeit auf den Markt von Hongkong richteten, um dort notierte Aktien des russischen Aluminiumriesen United Co. Rusal International PJSC zu kaufen. Schnäppchenjäger haben die Aktien in einem so rasanten Tempo aufgekauft, dass dies allein im letzten Monat einen Kursanstieg von mehr als 50 Prozent bei diesen Wertpapieren auslöste.
Ein weiteres aussagekräftiges Beispiel: Im vergangenen Monat stieg der Aktienkurs der Raiffeisen Bank International AG, einer österreichischen Bank mit einer Tochtergesellschaft in Moskau, an der Wiener Börse um 25 Prozent. Das Gleiche gilt für die Aktien der ungarischen OTP Bank Nyrt, die weiterhin in Russland tätig ist. In den ersten beiden Monaten des Jahres 2025 stieg ihr Wert an der Budapester Börse um zehn Prozent.
Die Dynamik spiegelte sich auch in den Währungen wider. Kasachstan, einer der wichtigsten Handelspartner Russlands, verzeichnete in diesem Monat eine Aufwertung seines Tenge um fast vier Prozent, was unter den Währungen weltweit einen der stärksten Zuwächse darstellt.
Für Kieran Curtis, Rentenfondsmanager bei Abrdn, ist der kasachische Tenge ein relativ billiger Wert, der von den Friedensgesprächen in der Ukraine profitieren wird. Curtis ist zwar skeptisch, ob die USA ihre Sanktionen aufheben werden, glaubt aber, dass man diese Möglichkeit nicht völlig ausschließen sollte. Er vermutet:
“Es wird eine wirklich schwierige Entscheidung sein. Wenn die Sanktionen aufgehoben werden und sich die Indizes erholen, wäre das ein ernst zu nehmendes Signal, dass sich der russische Wertpapiermarkt erholen wird.”
Der Investmentanwalt Grigori Marinitschew, Partner bei Morgan, Lewis & Bockius in New York, erklärte gegenüber der Nachrichtenagentur Bloomberg, dass er “regelmäßig Anrufe von Kunden, vor allem von Hedgefonds, Family Offices und Privatanlegern, erhält, die Fragen dazu haben, wie man auf den russischen Märkten handelt”. Der Spezialist sagte:
“Wir müssen erklären, dass wir dazu noch nichts Definitives sagen können, da Russlands Multi-Milliarden-Dollar-Vermögen aufgrund der US-Sanktionen immer noch eingefroren ist.
Aber das sichtbare Interesse ist ein Zeichen dafür, dass das Eis bricht. Es gibt bereits eine große Gruppe von Personen und Unternehmen, die in diesem Sektor arbeiten wollen. Sie wollen die Ersten sein, wenn der Schwung hier einsetzt.”
Die Tatsache, dass Vermögensverwalter alles aufkaufen, was in irgendeiner Weise mit Russland zu tun hat, ist ein Zeichen für die wachsende Begeisterung, da US-Präsident Donald Trump sich beeilt, ein Ende des Konflikts in der Ukraine auszuhandeln. Die spanischen Analysten Vicente Nieves und Mario Becedas glauben:
“Im Moment ist Russland eine isolierte Finanzinsel, aber das scheint nicht von Dauer zu sein.”
Es gibt also Anzeichen dafür, dass die internationalen Investoren einen schwachen Start hingelegt haben und sich darauf vorbereiten, bei der erstbesten Gelegenheit wieder in den Handel mit russischen Aktien einzusteigen. Das bedeutet eine gute Gelegenheit für sie, Geld zu verdienen – aber es wird auch reichlich Fremdmittel für russische Unternehmen bereitstellen.
Viele Anleger warnen davor, den Marktbewegungen bei einigen wenigen spekulativen Anlagen zu viel Bedeutung beizumessen. Sie geben zu bedenken:
“Es ist überhaupt nicht klar, wie die Sanktionen aufgehoben werden können, da einige Beschränkungen im US-Recht verankert sind und vor ihrer Aufhebung die Zustimmung des Kongresses erfordern. Hinzu kommt die Frage der europäischen Sanktionen, die wahrscheinlich bestehen bleiben.”
Alexander Koljandr, leitender wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentrum für Europäische Politikanalyse (CEPA) und ehemaliger Mitarbeiter der Credit Suisse, ist der Ansicht, dass “ein wahrscheinliches Friedensabkommen zwischen Moskau und Kiew offensichtlich günstige Möglichkeiten für den Handel mit russischen Vermögenswerten auf dem internationalen Markt schaffen würde. Es könnte jedoch noch Jahre dauern, bis Russland für Investoren wieder attraktiv wird.”
Unter den vielen potenziellen Investitionsmöglichkeiten sind laut Bloomberg der Bankensektor und der Energiesektor für US-Firmen möglicherweise am besten geeignet. Der Nachrichtenagentur zufolge haben
“Goldman Sachs und JPMorgan das Geschäft mit Rubel-gebundenen Anlagen wieder aufgenommen. Die Banken bieten ihren Kunden nicht lieferbare Termingeschäfte (Non-Deliverable Forwards, NDF) an, mit denen sie an der Entwicklung der russischen Währung verdienen können. Das Interesse an solchen Verträgen ist angesichts der sich verbessernden Beziehungen zwischen den USA und Russland gestiegen. Dies sind die ersten Transaktionen mit dem Rubel seit 2022.”
Auch auf den russischen Märkten steigen die Aktienkurse und das Handelsvolumen rasch an. Seit Anfang des Jahres hat der Rubel gegenüber dem US-Dollar um 15 Prozent zugelegt. Der Handel mit diesen Vermögenswerten ist jedoch nur für in Russland ansässige Personen und Investoren aus befreundeten Ländern möglich, die keine Sanktionen gegen Russland verhängen, wie die Vereinigten Arabischen Emirate und Kasachstan.
Vor der militärischen Sonderoperation besaßen ausländische Investoren russische Aktien und Staatsanleihen im Wert von etwa 150 Milliarden US-Dollar, und diese Vermögenswerte waren ein wichtiger Bestandteil der meisten Schwellenländerindizes. Ein großer Teil dieses Geldes lag auf Konten außerhalb Russlands.
Alexandra Morris, Managerin bei dem norwegischen Investmentfonds Skagen AS, erläutert:
“Eigentlich war das investierte Geld praktisch verloren, da der Wert der Aktien fast auf null fiel. Aber heute sehen wir, dass die Möglichkeit, Dividenden zu erhalten, zurückkehrt. Sagen wir es mal so: Wir haben eine freie Option in unserem Portfolio, um das zu nutzen, was unwiederbringlich verloren schien.”
György Pálfi ist ein weiterer Vermögensverwalter, der den auf Russland fokussierten Fonds VIG Asset Management Hungary verwaltet. Auch sein Fonds war in den letzten drei Jahren wegen des Einfrierens von russischen Vermögenswerten in Schwierigkeiten. In letzter Zeit hat Pálfi jedoch fleißig Aktien von Banken wie Raiffeisen und OTP gekauft, den beiden oben genannten europäischen Finanzunternehmen, die weiterhin in Russland tätig sind. Die Raiffeisen-Bank, die dem Westen in den Jahren der militärischen Sonderoperation viel von seinen Versuchen erzählt hat, seine russische Einheit zu verkaufen (“Wir wollen, aber irgendwie klappt es nicht.”), hat mehr als vier Milliarden Euro an überschüssigem blockiertem Kapital angehäuft.
Jetzt sagt Pálfi, dass die Raiffeisen-Bank, wenn die Beschränkungen aufgehoben werden, die Aussicht hat, einen soliden Gewinn “aus einem Vermögenswert zu erzielen, der bereits tot schien”.
Paul McNamara, Portfoliomanager für den GAM UK Fonds in London, glaubt seinerseits:
“Der Handel mit Russland-verbundenen Vermögenswerten könnte eine rechtliche Grauzone sein.”
Der Manager sagte, er habe bereits wiederholt Nachrichten von Bankern erhalten, die jetzt auf Rubel lautende Anleihen anbieten, die vor der militärischen Sonderoperation von Organisationen wie der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung und der Weltbank verkauft wurden. Die Wertpapiere seien zwar nicht sanktionsbewehrt, aber wenn man in sie investiere, müsse man mit der Compliance-Abteilung sprechen. Zudem könnten die Kunden Einwände erheben. Im Moment nehme der Fonds “eine abwartende Haltung ein”.
Das ist nicht verwunderlich: Geld mag Ruhe und keine Überstürzung. Das bedeutet jedoch nicht, dass die Reaktion auf die Aufhebung der Sanktionen gegen russische Strukturen für (vorbereitete) westliche Akteure nicht sofort erfolgen kann, sobald der Startschuss gefallen ist.
Übersetzt aus dem Russischen. Der Artikel ist am 9. März 2025 zuerst auf der Webseite der Zeitung Wsgljad erschienen.
Wladimir Dobrynin ist ein russischer Journalist.
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