Die Vereinigten Staaten und China ringen um die Führungsposition bei der Entwicklung der Künstlichen Intelligenz. Wenn man der westlichen Presse glaubt, ist China in diesem Spiel der Schurke – weil es sich bemüht, die Sanktionen der USA zu umgehen und dabei “auch vor äußerst fragwürdigen Methoden” nicht zurückschrecke, wie die Welt schreibt.
Was eine interessante Sicht ist, denn die Sanktionen selbst sind, gerade im Bereich der Computertechnik, eindeutig ein Versuch, einen technologischen Vorsprung gegen Konkurrenz abzusichern, indem die Regeln des Marktes durch politischen Druck aufgehoben werden. So beispielsweise bei den Sanktionen, die es dem niederländischen Hersteller ASML untersagen, seine Belichtungsmaschinen zur Herstellung moderner Computerchips nach China zu exportieren. Ein Verbot, das nur durch politischen Druck auf Dritte funktioniert, denn einen originären Grund, seine Anlagen nur in den Westen und nicht nach China zu liefern, gibt es für ASML nicht.
An diesem Beispiel lässt sich auch gut erkennen, dass eine solche Vorgehensweise nur etwas Zeit herausschinden kann – inzwischen ist China bei der Entwicklung eigener derartiger Technologien weit vorangekommen, was für ASML schlicht bedeutet, den chinesischen Markt im US-Interesse verloren zu haben. Ein weiterer Kernpunkt ist das Verbot, Chips von Nvidia nach China zu exportieren.
“Das Embargo ist die wichtigste Waffe der Regierung unter Noch-Präsident Joe Biden in ihrem anhaltenden Versuch, die Techkonzerne und das Militär Chinas bei der Entwicklung leistungsfähiger künstlicher Intelligenz auszubremsen.”
China, so der Welt-Bericht, habe inzwischen eigene Chips gebaut, deren Leistung vergleichbar sei, aber westliche Experten hätten im Inneren dieses Chips mikroskopische Bauteile aus der Fertigung der taiwanesischen Chipproduktion von TSMC, dem weltgrößten Chipproduzenten, gefunden.
Die bösen Chinesen hätten die Sanktionen umgangen, indem sie über Drittländer geordert hätten. Also in etwa das Gleiche gemacht, wie die westeuropäischen Länder, die jetzt ihr russisches Öl von indischen Raffinerien beziehen …
KI-Technologie sei, so die Grundthese, die im Westen kaum infrage gestellt wird, eine strategisch wichtige Fähigkeit, die man so weit wie möglich von Konkurrenten fernhalten solle. Als Begründung dient, auch in diesem konkreten Fall bei der Welt, die Möglichkeit, diese Fähigkeit auch militärisch zu nutzen.
“Erstmals gibt es stichhaltige Beweise dafür, dass Militärexperten der Volksbefreiungsarmee in China systematisch die Leistungsfähigkeit von Open-Source-LLMs (LLM = language learning modules, Sprachlernmodule), insbesondere von Meta, erforschen und versucht haben, diese für militärische Zwecke zu nutzen”, zitiert die Welt einen Analytiker der amerikanischen Jamestown Foundation.
Allerdings: Die militärische Nutzung ist für China sicher nur ein Nebenaspekt, selbst wenn KI-gelenkte Drohnenschwärme durchaus ein aktuelles Thema der militärischen Technik sind. Der Schwerpunkt dürfte in einem ganz anderen Bereich liegen. Hier die Global Times:
“Am 31. Oktober dieses Jahres, teilte der Chinesische Organisationsdatendienst der Staatsverwaltung für Marktregulierung mit, hat die Zahl der Organisationen Künstlicher Intelligenz in China bereits die Zahl von 1,9 Millionen erreicht, wobei landesweit mehr als 60.000 Unternehmen der Industrie eine Transformation zur Künstlichen Intelligenz vollzogen haben.”
Hier ist das Stichwort, das die chinesische Entwicklung in einen ganz anderen Zusammenhang versetzt als die US-amerikanische. Wenn Google Künstliche Intelligenz nutzt, um aus den weltweit abgefischten Daten Informationen zu ziehen, die sich zu Geld machen lassen (oder die dem US-Machtstreben nützen), ist das ein grundsätzlich anderer Ansatz. Ziel ist eben nicht, reale Abläufe in Produktion oder Logistik zu optimieren; das fällt bestenfalls als Kollateralnutzen ab, wie einst die Teflonpfanne.
“Die KI-Transformation im Produktionssektor wird die Präzision beim Einsatz von industriellen Ressourcen erhöhen und den Verbrauch von Ressourcen verringern, sagte Pan, und merkte an, Chinas technologische Stärke habe günstige industrielle und technologische Bedingungen für die Transformation und Erneuerung chinesischer Unternehmen geschaffen.”
Der Nutzen ist weitaus pragmatischer. Das ergibt auch einen Sinn; Produktionsabläufe waren schon immer der Motor derartiger Entwicklungen, das galt schon für die Lochkarten; andere Nutzungen kamen erst später hinzu.
Selbst der Bericht der Welt musste eingestehen, dass die Dynamik in China längst stärker ist als in den USA:
“Laut der Datenbank LexisNexis Patent Sight halten die beiden chinesischen Techkonzerne Tencent und Baidu mehr KI-Patente als Microsoft, Google und IBM zusammen. Zwischen 2014 und 2023 kamen mehr als 38.000 KI-Erfindungen aus China, sechsmal mehr als aus dem zweitplatzierten Land, den USA, wie eine aktuelle Analyse der World Intellectual Property Organisation aufzeigt.”
Das belegt zwei Dinge. Zum einen: Es ist erst die Anwendung in der Praxis, die belegt, was wie funktioniert, und womöglich auf entscheidende Schwächen aufmerksam macht, aber Praxis im Sinne industrieller Produktion gibt es in China weit mehr als in den USA. Zudem sind dort die großen Konzerne, die die materielle Kontrolle über große Teile dieser Entwicklung ausüben, gerade keine Produktionsunternehmen, sondern bestenfalls Dienstleister für dieselben. Gerade einmal IBM stellt noch Dinge her, die man anfassen kann, der Rest ist gänzlich virtuell, und betreibt Großrechenanlagen und Datenfischerei. Wenn man abstrakt überlegt, in welcher Umgebung nennenswerte technologische Fortschritte wahrscheinlicher sind, dann ist das weit eher in China. Zumal der wirkliche Schlüssel die Kombination von KI und Robotik ist, ein Sektor, in dem China klar vor den USA liegt (nebenbei, Deutschland auch, soweit in den nächsten Jahren davon noch etwas übrig ist).
Das Zweite ist: Die USA sind auf diesem Feld klar zu einem Hindernis der Entwicklung geworden. Das, was momentan geboten scheint, um einen vorübergehenden Vorsprung zu halten, hat, wie jede solche Sanktionspolitik, auch eine Rückwirkung. Nicht nur, dass China ziemlich gut darin ist, die wunden Punkte herauszufinden, an denen es seinerseits durch Gegensanktionen wirken kann; das Stichwort seltene Erden ist im Zusammenhang mit integrierten Schaltkreisen nicht ganz unerheblich. Nein, vor allem, weil die konkreten praktischen Erfahrungen, die in China mit dieser Technologie gemacht werden, nur noch sehr begrenzt in die Entwicklung in den USA einfließen können.
Zu guter Letzt ist von vorneherein absehbar, dass der Zeitgewinn, der durch die verschiedensten Sanktionen erzielt wird, notwendigerweise begrenzt ist, denn beim nächsten Schritt in der Rechnertechnologie, dem Quantencomputer, haben die Chinesen jetzt schon die Nase vorn. Nur ein Glück, dass sie traditionell nicht zur Kanonenbootpolitik neigen – so, wie die Briten einstmals einen vergleichsweise kleinen technologischen Vorsprung nutzten, um in den Opiumkriegen China zu unterwerfen, wird sich China nicht in den amerikanischen Markt drängen, wenn er erst einmal durch die von ihm selbst betriebene Abschottung abgehängt ist.
Allerdings verbirgt sich hinter der Frage, welche der beiden Seiten sich durchsetzt, noch ein ganz anderes Problem. Gerade Google illustriert es. Je mehr Wissen, je mehr Entscheidungen unter Einbeziehung von KIs getroffen werden, desto bedeutender wird es, wer die Kontrolle über die Daten ausübt. Google ist bekannt dafür, zu zensieren. Was bedeutet, zwischen den Informationen aus der realen Welt und der Künstlichen Intelligenz steht ein Filter, der ein ausgesprochen verzerrtes Bild entstehen lassen kann. Jeder kennt Beispiele, wie Suchen bei Google sehr einseitige Ergebnisse auswerfen. Dazu kommt noch die Verquickung mit den US-Machtinteressen. Kann es im Interesse der Menschheit sein, technologische Entwicklungen, die die Lebensqualität von Millionen beeinflussen können, als Spielzeug in den Händen einer Firma zu belassen, deren Haupteinnahmen aus dem Weiterverkauf von Daten stammen?
Für China ist KI ein Werkzeug für die wirtschaftliche Planung, im Großen wie im Kleinen. Es ist kein Zufall, dass es die Staatsverwaltung für Marktregulierung ist, die die Verbreitung künstlicher Intelligenz im Blick hat. Wobei, wenn man die Risiken betrachtet, die in dieser Technologie liegen, wäre es eigentlich erforderlich, dass weit mehr Länder als nur die USA und China Zugriff darauf haben, und zwar Zugriff im Sinne eigener Kontrolle und nicht nur einer Nutzung gegen Entgelt. Bei China kann man zumindest darauf hoffen. Die USA haben bereits mehr als deutlich signalisiert, dass für sie der Sektor der Künstlichen Intelligenz vor allem ein Herrschaftsinstrument ist und kein Werkzeug, um, wie es der chinesische Forscher Wang Peng formulierte, “vor allem die Hoffnung der Menschen auf ein besseres Leben zu erfüllen”.
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