Der Krieg in der Ukraine beginnt gefährlich zu eskalieren, stellte der US-amerikanische Politikwissenschaftler Charles A. Kupchan fest. Es werde immer schwieriger, “das Engagement der Vereinigten Staaten auf einem Niveau zu halten, das ihren Interessen entspricht, je intensiver der Krieg wird”. In seinem Essay für die Zeitung The New York Times warnte Kupchan:
“Die Gefahr eines umfassenderen Krieges zwischen der NATO und Russland steigt von Tag zu Tag, ebenso wie das Risiko, dass die wirtschaftlichen Auswirkungen eines langanhaltenden Krieges die westliche Demokratie untergraben könnten. Es ist an der Zeit, dass die Vereinigten Staaten und ihre Verbündeten sich direkt an der Gestaltung der strategischen Ziele der Ukraine, der Bewältigung des Konflikts und der Suche nach einem diplomatischen Endspiel beteiligen.”
Die US-Hilfe für die Ukraine sei “eine strategische Priorität” für die Vereinigten Staaten – aber “kein vitales Interesse”, betonte Kupchan:
“Die Vereinigten Staaten und ihre Verbündeten haben der Ukraine zu Recht geholfen, sich zu verteidigen – und sie sollten dies auch weiterhin tun. Aber sie haben auch recht daran getan, sich umsichtig zurückzuhalten, um einen Beginn des Krieges mit Russland zu vermeiden, indem sie sich mit der Bereitstellung von Langstreckenwaffen zurückhielten, von der Entsendung von NATO-Stiefeln auf den Boden absahen und das Ersuchen der Ukraine um Durchsetzung einer Flugverbotszone durch die NATO ablehnten. Angesichts der Eskalation des Konflikts erfordert die umsichtige Vermeidung eines Beginns eines Krieges zwischen der NATO und Russland einen nächsten Schritt: Eine direkte Beteiligung der Vereinigten Staaten an der operativen Planung der Ukraine.”
Dies sei von entscheidender Bedeutung, betont der Politikwissenschaftler, da das Vorgehen der Ukraine in dem Konflikt “das Risiko einer Eskalation erheblich erhöht” und dabei “strategisch unklug” sei – was die USA in eine direkte Konfrontation der Atommächte hineinziehen könnte. Damit meinte Kupchan vor allem die terroristischen Angriffe auf Russland – wie die Ermordung von Daria Dugina oder die Sprengung von der Krim-Brücke, über die Washington “offenbar nicht informiert” worden war. Deshalb müsse “Kiew seine Kriegspläne transparenter darlegen, und die US-Beamten müssen mehr Einfluss auf die Kriegsführung Kiews nehmen”, so Kupchan. Er schreibt:
“Die zunehmenden Risiken, denen sich der Westen in der Ukraine gegenübersieht, machen es erforderlich, dass sich die Vereinigten Staaten und ihre NATO-Partner stärker an der Führung des Krieges beteiligen und die Weichen für ein Endspiel stellen. Von Vietnam über Afghanistan bis hin zum Irak haben sich die Vereinigten Staaten überschätzt und sind strategische Verpflichtungen eingegangen, die durch die auf dem Spiel stehenden Interessen nicht gerechtfertigt waren. Der Ukraine dabei zu helfen, sich selbst zu verteidigen, ist eine beträchtliche Anstrengung wert, aber nicht eine, die zum Dritten Weltkrieg führt oder die westliche Demokratie zersetzt.”
Einer der Gründe, warum die USA die Friedensgespräche anführen und zu Ende führen sollten, sei die unwiderstehliche Bedrohung, die der Ukraine-Konflikt für die westliche Demokratie und Wirtschaft darstellt, so der Wissenschaftler. “Die durch den Beginn des Krieges verursachten wirtschaftlichen Verwerfungen verschärfen die internen Bedrohungen der westlichen Demokratie”, sagte er und warnte: “Steigende Inflation und drohende Rezessionen haben das Potenzial, toxische politische Auswirkungen zu haben”. Charles Kupchan mahnte:
“Eher früher als später muss der Westen die Ukraine und Russland vom Schlachtfeld an den Verhandlungstisch bringen und eine diplomatische Lösung finden, um den Krieg zu beenden und eine territoriale Einigung zu erzielen. Eine hypothetische Einigung zwischen Russland und der Ukraine würde zwei Hauptteile umfassen. Erstens würde die Ukraine von ihrer Absicht abrücken, der NATO beizutreten – ein Ziel, das seit Jahren starken russischen Widerstand hervorruft. Russland hat berechtigte Sicherheitsbedenken, wenn sich die NATO auf der anderen Seite seiner mehr als 1.000 Meilen (etwa 1.609 Kilometer) langen Grenze zur Ukraine niederlässt. Die NATO mag ein Verteidigungsbündnis sein, aber sie verfügt über eine geballte Militärmacht, die Moskau verständlicherweise nicht in der Nähe seines Territoriums geparkt sehen möchte.”
Der zweite Teil des Abkommens sollte laut Kupchan eine “territoriale Einigung” sein. Wobei er damit jedoch nicht die Rückgabe von Donbass und Krim an die Ukraine meinte, im Gegenteil:
“Wenn die Verteidigung der Ukraine keine US-Stiefel auf dem Boden wert ist, dann ist auch die Rückgabe des gesamten Donbass und der Krim an die Ukraine das Risiko eines neuen Weltkriegs nicht wert.”
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