
Weder die Anordnung noch das Verfahren selbst fanden größere Öffentlichkeit, aber das Urteil des Bundesverfassungsgerichts dann doch: Die Karlsruher Richter untersagten es, einen Telekommunikationsanbieter zu verpflichten, die Daten sämtlicher Nutzer herauszufiltern, zu sammeln und samt “der zu Identifizierung der Anschlussinhaber erforderlichen Kundendaten” zu übergeben.
Das Amtsgericht Oldenburg hatte zuvor bereits mehrfach einen Beschluss gefasst, der genau dazu verpflichtete. Der Telekommunikationsanbieter, ebensowenig genannt wie die Webseite, zu der diese Daten gesammelt werden sollten, hatte dagegen einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung beim Bundesverfassungsgericht gestellt, dem bereits am 25. November stattgegeben wurde. Das Urteil wurde allerdings erst jetzt veröffentlicht.
Der Anbieter trug vor Gericht vor, um die Anforderung des Gerichts zu erfüllen, müssten sie alle an ihre DNS-Server gerichteten Anfragen ihrer 40 Millionen Kunden auf die Adresse des inkriminierten Servers hin abfragen. Durchschnittlich gäbe es fünf Millionen derartige Anfragen in der Sekunde, also rund 12,96 Billionen Anfragen im Zeitraum eines Monats. Solange sollte die Überwachung laufen.
Die DNS-Server sind Adressverzeichnisse, die die aus Begriffen bestehenden Bezeichnungen von Webadressen, die die Nutzer eingeben (z.B. www. bundesverfassungsgericht.de), in die Zahlenfolge der IP-Adresse umwandeln. Eine Überwachung aller DNS-Anfragen sei, so der Anbieter, neuartig und sei “so in der Vergangenheit nicht angeordnet worden”.
Sollte er verpflichtet werden, diese Anweisung umzusetzen, und wäre eine Verfassungsbeschwerde dagegen erfolgreich, wäre ein “irreversibler Reputationsverlust zu befürchten, weil sie eine später als verfassungswidrig erkannte Anordnung umgesetzt hätten”. Außerdem würden massenhaft Eingriffe in das Fernmeldegeheimnis aller anderen Kunden stattfinden, die Anfragen an die DNS-Server richteten.
Das niedersächsische Justizministerium trug beim Amtsgericht offenkundig keine Argumente vor, die das Ermittlungsinteresse der Strafverfolgung schwerer wiegen ließen. Das Bundesverfassungsgericht urteilte, der Schutz der betroffenen Kunden vor “drohenden massenhaften und irreversiblen Eingriffe[n] in das Fernmeldegeheimnis” sei wichtiger; auch, “da die betroffenen Kundinnen und Kunden aufgrund der Heimlichkeit der Maßnahe keinen vorbeugenden oder abwehrenden Rechtsschutz gegen die angegriffene Anordnung haben dürften und auch ihre spätere Benachrichtigung angesichts ihrer schieren Zahl praktisch ausgeschlossen sein dürfte”. Auch künftige inhaltsgleiche Anordnungen wurden mit dieser Entscheidung zurückgewiesen.
Der auf IT-Recht spezialisierte Rechtsanwalt Jens Ferner, der von Heise dazu befragt wurde, erklärte diese Entscheidung zu einem “juristischen Meilenstein”. Eine derartige Überwachung sei ein Versuch, eine anlasslose Massenüberwachung einzuführen. Die Ermittlungsbehörden seien naturgemäß daran interessiert, die “Grenzen noch ein wenig weiter zu verschieben”.
Der Überwachungsbeschluss aus Oldenburg war mit Paragraf 100a Strafprozessordnung begründet worden, der eine lange Liste von Straftaten enthält, die Grund für eine Kommunikationsüberwachung sein können. Gerade diese Liste wurde in den letzten Jahren immer wieder erweitert. Darauf befinden sich ernste Straftaten wie Mord und Totschlag, Geldfälschung oder Bandendiebstahl, aber eben auch der zuletzt zur Verfolgung von Meinungsdelikten beliebte § 130 Strafgesetzbuch, “Volksverhetzung”.
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