Der frühere EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hat vor einem schnellen Beitritt der Ukraine zur Europäischen Union gewarnt. In einem am Donnerstag veröffentlichten Interview mit der Augsburger Allgemeinen sagte der Luxemburger:
“Wer mit der Ukraine zu tun gehabt hat, der weiß, dass das ein Land ist, das auf allen Ebenen der Gesellschaft korrupt ist. Trotz der Anstrengungen ist es nicht beitrittsfähig, es braucht massive interne Reformprozesse.”
Die EU habe mit einigen der neuen Mitgliedsstaaten schlechte Erfahrungen in Bezug auf die Rechtsstaatlichkeit gemacht. Das dürfe sich nicht wiederholen. Auch der Ukraine selbst gegenüber sei dieses Vorgehen nicht fair:
“Man darf den Menschen in der Ukraine, die bis zum Hals im Leid stecken, keine falschen Versprechungen machen.”
Grundsätzlich bejahte Juncker allerdings eine “europäische Perspektive” für die Ukraine, “die sich so tugendhaft wehrt und europäische Werte verteidigt” – und auch für Moldawien, wo die Regierung gerade gegen die politische Opposition vorgeht. Diese Länder sollten “an Teilen der europäischen Integration teilnehmen können”, so Juncker:
“Wir sollten darauf hinwirken, dass so etwas wie ein teilweiser Beitritt möglich wird, eine intelligente Form der Fast-Erweiterung.”
Aktive Politiker wie EU-Ratspräsident Charles Michel und die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock befürworten anders als Juncker einen schnelleren Beitritt der Ukraine zur EU. Michel nannte das Jahr 2030 als möglichen Beitrittstermin.
Jean-Claude Juncker war von 2014 bis 2019 Präsident der EU-Kommission. Zuvor hatte er als Finanzminister und Premierminister Luxemburgs politische Erfahrung sammeln können. Seine Vorstellungen von Politik wurden in dieser bekannten Aussage aus dem Jahr 1999 deutlich:
“Wir beschließen etwas, stellen das dann in den Raum und warten einige Zeit ab, was passiert. Wenn es dann kein großes Geschrei gibt und keine Aufstände, weil die meisten gar nicht begreifen, was da beschlossen wurde, dann machen wir weiter – Schritt für Schritt, bis es kein Zurück mehr gibt.”
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