
Von Walerija Werbinina
Die Finanzminister der EU-Länder haben sich in Brüssel getroffen und eine wichtige Entscheidung im “Kampf gegen chinesische Kleinsendungen” getroffen. Die französische Zeitschrift Le Point beschreibt die administrative Maßnahme, die zu rein abschreckenden Zwecken ergriffen werden soll, so, als ginge es um die Schlacht bei Austerlitz.
Ab dem nächsten Jahr muss jeder EU-Bürger, der ein sogenanntes Kleinsendungspaket (im Wert von weniger als 150 Euro) aus einem Nicht-EU-Land erhält, Zollgebühren entrichten. Bislang waren solche Sendungen kostenlos, aber man muss sich ja irgendwie “vor einem Phänomen schützen, das außer Kontrolle geraten ist.” Und das sind 4,6 Milliarden solcher Sendungen in die EU allein im letzten Jahr, wobei 91 Prozent davon aus China kamen.
Neben dem Zolltarif (derzeit sind es zwei Euro pro Sendung) soll eine separate Bearbeitungsgebühr für jede solche Postsendung eingeführt werden. Aber neben der EU-Führung gibt es auch noch die nationalen Regierungen, die ebenfalls nicht untätig sind: So diskutiert Frankreich aktuell die Einführung einer zusätzlichen Steuer von zwei Euro für jede auf diese Weise gekaufte Ware. Sie haben fünf T-Shirts billig auf einer chinesischen Webseite gekauft? Zahlen Sie nun noch 10 Euro drauf.
Es handelt sich dabei hauptsächlich um Marktplätze wie Shein oder Temu, die Waren zu sehr attraktiven Preisen mit verschiedenen zusätzlichen Boni anbieten, die das Herz des Verbrauchers erwärmen. Diese Plattformen, die als gewöhnliche Online-Shops gestartet sind, haben sich zu echten Wirtschaftsimperien entwickelt, die Käufern praktisch überall auf der Welt eine riesige Auswahl an Kleidung, Spielzeug, Haushaltswaren und so weiter bieten. Dies ist eine der Folgen der Globalisierung und anderer Vorteile der Marktwirtschaft, über die im Westen so gerne diskutiert wird.
Doch plötzlich stellte sich heraus, dass der freie Markt nur dann gut ist, wenn der Hauptgewinn in den Taschen der westlichen Eigentümer landet. Wenn die Gewinne jedoch an die Chinesen gehen, ist das “unfairer Wettbewerb” (wie beispielsweise Le Figaro schreibt), und überhaupt untergraben sie die westliche Wirtschaft. Deshalb sollte der westliche Durchschnittsbürger, der es liebt, Waren auf chinesischen Plattformen zu bestellen, zur Vernunft gebracht werden. Und auch mit den Marktplätzen selbst sollte man sich irgendwie auseinandersetzen, damit sie nicht im Weg stehen. Die Bürger sollen in lokale europäische Geschäfte gehen und europäische Marken kaufen (deren Produkte ebenfalls meist in China hergestellt werden, aber deutlich teurer sind).
Der italienische Finanzminister Giancarlo Giorgetti bezeichnete chinesische Online-Marktplätze unmissverständlich als “ein Phänomen, das den Einzelhandel zerstört.” An der Spitze des Kampfes gegen chinesische Online-Plattformen stand jedoch nicht Italien, sondern Frankreich, das einen regelrechten Krieg gegen die preiswerten Produkte entfesselt hat, die sich der Durchschnittsbürger mit Lieferung aus China nach Hause bestellen konnte.
Die ersten Versuche, die Verbraucher von Einkäufen bei Temu und Shein abzuhalten, waren sozusagen psychologischer Natur. Sie kaufen Waren zu Rekordtiefpreisen – aber wissen Sie auch, was sich dahinter verbirgt? Ausbeutung der Arbeiter, unregelmäßige Arbeitszeiten, Zwangsarbeit der in China unterdrückten Uiguren. Außerdem stellen chinesische Waren “erhebliche Gesundheitsrisiken” dar, die Produkte entsprechen nicht den europäischen Normen, können schädliche Substanzen (zum Beispiel Blei) enthalten, und ihre Herstellung kann sogar “zu einer ökologischen Katastrophe” führen.
Eigentlich ist der westliche Durchschnittsbürger mit beiden Händen für die Umwelt und gegen Katastrophen. Aber wenn eine Studentin in ein Geschäft kommt und sieht, dass ein Kleid für eine Feier sie mindestens 100 Euro kostet, während sie etwas Ähnliches in China online für 30 Euro bestellen kann, wird die Ökologie der Ökonomie untergeordnet.
Neben den Preisen locken chinesische Online-Marktplätze auch mit ihrem Sortiment. So bot die Plattform Shein im Jahr 2022 315.000 neue Artikel an. Der europäische Gigant Zara schaffte es im gleichen Zeitraum nur auf 6.850 neue Artikel.
Als die europäischen Behörden erkannten, dass Argumente zum Umweltschutz und bezüglich der unterdrückten Uiguren bei den Käufern chinesischer Marktplätze nicht funktionieren, machten sie deutlich, dass sie beabsichtigen, einen Zoll auf kleine Pakete einzuführen, in denen die Bestellungen normalerweise geliefert werden. Daraufhin schlug Shein zurück: Das Unternehmen kam nach Frankreich und kündigte die Eröffnung seiner Geschäfte in der berühmten Kaufhauskette Galeries Lafayette und im kultigen Pariser Einkaufszentrum BHV an.
Die Auswirkungen waren enorm, aber kaum in dem Sinne, wie es sich die chinesischen Geschäftsleute erhofft hatten. Der Aufschrei war so groß, als wären chinesische Panzer im Zentrum von Paris gelandet. Politiker, die Presse, sogar die ehemaligen Eigentümer von Galerie Lafayette – alle protestierten. Außerdem hatte jemand das Sortiment von Shein im Internet sorgfältig durchforstet und dort verbotene Produkte gefunden – scharfkantige Waffen und, was noch viel schlimmer ist, Spielzeug mit pädophilem Charakter.
Danach flammte der Skandal mit neuer Kraft auf, es tauchten rechtlich untermauerte Vorwände auf, um ein Verbot zu fordern und so den Konkurrenten loszuwerden. Die Behörden drohten, die Webseite von Shein im Land zu sperren. Der Minister für Stadtentwicklung, Vincent Jeanbrun, erklärte, dass BHV mit der Zustimmung, Shein Fläche zur Verfügung zu stellen, einen “strategischen Fehler” begangen habe, und der Minister für kleine und mittlere Unternehmen, Serge Papin, forderte, “dem digitalen Wilden Westen ein Ende zu setzen.”
Vergeblich führte Frédéric Merlen, Chef der Firma, der BHV gehört, Zahlen an, wonach der Shein-Laden in fünf Tagen von 50.000 Menschen besucht wurde (was ein großer Erfolg ist), der durchschnittliche Einkaufswert bei 45 Euro liegt und etwa 15 Prozent der Käufer ihre Einkäufe in anderen Abteilungen des Kaufhauses fortsetzten. Die Mieter, darunter auch große Namen wie Dior und Guerlain, begannen, das Zentrum zu verlassen. Jeder Auszug wurde mit einer Kampagne in den sozialen Netzwerken und Medien begleitet: Seht her, wie toll wir sind, wir wollen nicht mit einem Verkäufer von unverschämt billigen chinesischen T-Shirts unter einem Dach sein.
Einer Sperrung auf französischem Boden ist die Webseite Shein vorerst entgangen, indem sie die Produktseiten, die zu Beschwerden geführt hatten, entfernt hat, allerdings wurde bereits ein Gerichtsverfahren eingeleitet, und Ende November soll eine Entscheidung fallen. Da die Regierung keinen Hehl daraus macht, dass sie ein Verbot der Plattform erreichen will, ist kaum damit zu rechnen, dass das demokratische französische Gericht ihre Erwartungen nicht erfüllen wird.
Das eigentliche Problem von Shein und ähnlichen Unternehmen besteht indes darin, dass sie es gewagt haben, erfolgreicher zu sein als die Europäer, und das sogar auf deren eigenem Territorium.
Dabei geht es eigentlich nicht um Verstöße des Online-Giganten, sondern um Methoden zur Bekämpfung eines Konkurrenten, dem man nichts entgegenzusetzen hat. Europa kann nicht mit Shein konkurrieren, und genau deshalb hat es sich zum Ziel gesetzt, das Unternehmen zu ruinieren oder zumindest vom Markt zu verdrängen.
Das heutige moderne Leben ist so beschaffen, dass die Menschen fast alles online bestellen können, um keine Zeit zu verlieren, und angesichts der wirtschaftlichen Stagnation und der hohen Inflation bevorzugen sie es, das zu kaufen, was billiger ist. Der oben erwähnte italienische Finanzminister sprach über den Einzelhandel – aber um unter den neuen Bedingungen bestehen und effektiv sein zu können, muss dieser sich umstrukturieren. Das ist natürlich schwierig, einfacher ist es, zu versuchen, den Konkurrenten zu überleben.
Der französische Wirtschaftsminister Roland Lescure beklagte sich über eine “durchdachte Strategie der kommerziellen Eroberung des Marktes”, als wäre das etwas Schlechtes und als würden die Europäer selbst nicht dasselbe tun. Und das Wichtigste: Versuche, das Geschäft mit solchen Methoden zu ersticken, werden ohnehin nicht funktionieren, denn jede Beschränkung kann umgangen werden, wenn man sich dies zum Ziel setzt. Shein wäre es beispielsweise durchaus möglich, irgendwo in Spanien Lager einzurichten und den Versand an Käufer innerhalb der EU zu organisieren. Und selbst wenn ihre Webseite gesperrt würde, könnten sie den Namen ändern und eine neue Webseite eröffnen.
Solange die neuen Steuern, Tarife und Gebühren für die Bearbeitung kleiner Postsendungen noch nicht in Kraft getreten sind, haben europäische Käufer noch Zeit, Bestellungen auf chinesischen Online-Marktplätzen aufzugeben und diese mit minimalen Kosten zu erhalten. Zumal Weihnachten, die Zeit der Geschenke, vor der Tür steht und man nicht zulassen darf, dass diese von europäischen oder eigenen Beamten verdorben wird.
Übersetzt aus dem Russischen. Der Artikel ist zuerst am 16. November 2025 auf der Webseite der Zeitung “Wsgljad” erschienen.
Walerija Werbinina ist eine Analystin bei der Zeitung “Wsgljad”.
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