
Von Susan Bonath
Die neoliberale Politik des Westens treibt die sozialen Probleme nicht nur in Deutschland auf die Spitze. Inflation und Niedriglohn machen viele Menschen ärmer. Wohnungsnot und Mietwucher erzeugen Ghettobildung in den Städten und Gemeinden. Auch Schikanen gegen Unterprivilegierte, etwa die Bestrafung Arbeitsloser mit Hungersanktionen und Bezahlkarten mit Überwachungsfunktion für Flüchtlinge, lassen die Kriminalität wachsen. Und kriegerische, ausbeuterische, imperialistische Außenpolitik beschleunigt Flüchtlingsströme.
Wie kaum ein anderer stehen Bundeskanzler Friedrich Merz und seine Unionsparteien CDU und CSU für eine solche Politik des Rechts des Stärkeren. Um davon abzulenken, tut Merz, was alle Neoliberalen tun: Verlogen deutet er die Symptome, deren Ursache er selbst mit verantwortet, zu einem kulturellen Problem um und erklärt wahllos erweiterbare Gruppen als unerwünscht im “Stadtbild”. So treibt er die deutsche Politik in eine gefährliche Richtung, die nicht nur rassistische, sondern soziale und politische Verfolgung legalisiert.
Ablenken von politischer Verantwortung
Bundeskanzler Friedrich Merz ist ein Vertreter des westlichen Großkapitals. Mit lukrativen Posten, zum Beispiel als Aufsichtsratschef des Deutschland-Ablegers des weltweit größten Vermögensverwalters BlackRock, scheffelte er bekanntlich Millionen. Aus seinem Interesse machte er nie einen Hehl: Superreiche noch reicher zu machen durch maximale Ausbeutung der lohnabhängigen Mehrheit – innen- wie außenpolitisch.
Seit Jahrzehnten hetzt der CDU-Mann vom privilegierten Kapitalisten-Ross herab gegen Menschen, die nicht dem Idealtyp des tagein, tagaus brav lohnarbeitenden, weißen deutschen Untertanen entsprechen. Dabei ist die von ihm vertretene und praktizierte neoliberale Politik die Ursache für Verarmung in und Migration nach Deutschland, was zu ebenjenem “Stadtbild” führte, das er nach eigener Aussage gern beseitigen würde.
Von seiner Verantwortung für die sich zuspitzenden sozialen Verwerfungen lenkt Merz mit solchen Sprüchen erfolgreich ab. Empörte Grüne und SPDler, kaum minder neoliberal und abschiebefreudig als Merz und seine Unionsparteien CDU und CSU, dazu pseudolinke Kriegstreiber und Kolonialherrenversteher wie “Omas gegen rechts” und andere “Antideutsche”, schreien “Rassismus!”. Sie protestieren nun gegen die CDU, als wäre Merz’ Erguss ein einmaliger Ausrutscher in diesen Reihen – was es mitnichten ist.
Und schon steht die empörte Gegenfraktion parat, um Mister BlackRock eifrig zu verteidigen. Denn, oh weh: Die falschen haben den Kanzler des Kapitals kritisiert, da müsse man ihn doch wohl in Schutz nehmen. Die Moralinsäure schwappt über, die Masse bekämpft sich wieder einmal gegenseitig – und bei BlackRock, Merz und Co. knallen die Champagnerkorken: Zweck erfüllt.
Heute Muslime – morgen Russen?
Nun ist es aber so, dass Protest nicht automatisch falsch ist, weil die Falschen ihn vortragen. Falsch daran ist höchstens das heuchlerische Moralin, mit dem manch liberaler Kritiker seine fehlende Analyse von Ursache und Symptomen nun stumpf ersetzt. Gefährlich ist Merz’ Rhetorik trotzdem, schon allein, weil ein nicht näher definiertes “Problem im Stadtbild” private Ansichtssache und regierungspolitisch sehr variabel ist.
Wer als führender Politiker heute Migranten und solche, die mancher dafür hält, aus dem “Stadtbild” verbannen und als “Problemlösung” in einen Abschiebeflieger setzen will, bekämpft Menschen als “Symptome” anstatt der Ursache tatsächlicher sozialer Verwerfungen: Armut, Niedriglohn, Arbeitslosigkeit, Wohnungsmangel, Ghettoisierung. Wer hetzt wie Merz, hat nicht nur ein rassistisches, sondern auch ein politisches Bild davon im Kopf, wie “gute” Deutsche auszusehen und sich zu verhalten haben – und wer alles nicht dazugehören darf.
Die Gruppe der derart als Problemfall Ausgegrenzten lässt sich fast beliebig erweitern. Gehören asiatische Studenten, Dunkelhäutige, Nachkommen türkischer oder spanischer Gastarbeiter nach Merz’scher Definition noch zum deutschen “Stadtbild”? Was ist mit den Opfern neoliberaler Politik, den Obdach- und Erwerbslosen, den rumänischen Billigknechten auf deutschen Baustellen? Ist es für Friedrich Merz noch “deutsch” genug, mehr als drei Kinder zu haben? Stören ihn auch Kranke und Behinderte, die nicht wie gewünscht zum Bruttoinlandsprodukt beitragen können und Dienste beanspruchen müssen, um mit ihren Rollis in Bus und Bahn zu gelangen? Stört er sich auch an Russischstämmigen im “Stadtbild”? Laut deutscher Staatspropaganda sind diese schließlich ganz üble Gesellen.
Unerwünschte politische Kritiker
Und dann sind da noch all die politisch unerwünschten Kritiker, vom deutschen Inlandsgeheimdienst gern in Kategorien wie “Staatsdelegitimierung” oder “Antiimperialismus” einsortiert, die beispielsweise gegen Rüstungsexporte nach Israel oder in die Ukraine auf die Straße gehen, den von Deutschland mit finanzierten Völkermord in Palästina stoppen wollen oder gegen die Abschiebung einer Familie mit kleinen Kindern protestieren. Vielfachen öffentlichen Äußerungen zufolge sind auch diese Leute Merz ein Dorn im Auge.
Wie man sieht, ist der Kreis der verbannungswürdigen Personengruppen nach ethnischen oder politischen Kategorien nach oben offen. Die Merz-Rhetorik lässt hier weiten Spielraum. Nicht nur das Abschieben von Migranten ließe sich damit begründen, sondern beispielsweise das Wegsperren von Kriegsgegnern, künftigen Wehrdienstverweigerern, vermeintlichen “Putinverstehern” oder Kapitalismuskritikern, sogar von Obdach- oder Arbeitslosen oder Leuten, die just auf einer deutschen Straße ein Palästinensertuch tragen.
Neoliberaler Sozialdarwinismus
Der Bundeskanzler hat während seiner CDU-Karriere schon viele unterprivilegierte Gruppen übel verhöhnt. So fand zum Beispiel ein Obdachloser im Jahr 2004 Merz’ verlorenes Notebook mit Daten darauf, die er für gutes Geld hätte verhökern können. Das tat er nicht, er gab das Gerät beim Bundesgrenzschutz ab. Als Finderlohn gab es jedoch nur Hohn: Merz ließ dem Gestrauchelten sein Buch zukommen – mit dem Titel: “Nur wer sich ändert, wird bestehen. Vom Ende der Wohlstandsillusion – Kursbestimmung für die Zukunft”.
Die Erpressung von Arbeitslosen durch Verelendung ist seit Langem ein politisches Ziel des Friedrich Merz. So rief er im Jahr 2008 dazu auf, die Grundsicherungssätze für Erwerbslose und andere Bedürftige auf 132 Euro monatlich zu senken, um sie in die prekäre Ausbeutung zu zwingen. Heute als “Kriegskanzler” ist er zum Beispiel gerade dabei, ein Gesetz einzuführen, Betroffenen das gesamte Existenzminimum zu streichen, wenn sie dem Jobcenter nicht aufs Wort gehorchen. Dass diese Politik vor allem psychisch Kranke treffen wird, ist jetzt schon klar.
Seine Hetze spickt Friedrich Merz schon mal mit Lügen: 2023 beispielsweise behauptete er, abgelehnte Asylbewerber würden Deutschen die Zahnarzttermine wegschnappen, weil sie angeblich vollumfängliche Gesundheitsleistungen erhielten. Beides war frei erfunden.
Dass die medizinische Versorgung in Deutschland vielerorts längst katastrophal ist, ist vor allem die Folge der umfassenden Privatisierung, die Krankenhäuser und Arztpraxen zu Profitmaschinen machte. Auch dafür steht Kanzler Merz seit Langem. Es geht ihm also offenkundig nicht um Wahrheit und darum, vorhandene Probleme ursächlich zu lösen. Merz bekämpft vielmehr auf menschenverachtende Weise die Kollateralschäden seiner eigenen Politik.
Proletariat schlägt sich, Kapital kassiert
Das Muster und das Ziel der Merz’schen Hetze ist klar erkennbar. Er und seine Parteikollegen stacheln die lohnabhängige Bevölkerung gegeneinander auf, um sie davon abzuhalten, sich dem von ihm selbst praktizierten Klassenkampf von oben zu widersetzen: Beschäftigte gegen Arbeitslose, Deutsche gegen Migranten, privilegierte Lohnabhängige gegen unterprivilegierte und so weiter. Merz’ politisches Programm kann man in zwei Worte fassen: Neoliberaler Sozialdarwinismus.
Auf diesem Mist der Spaltung gedeiht die arbeiterfeindliche Politik dieses rechten Hardliners vortrefflich: Statt gemeinsam gegen die geplante weitere Abschaffung sozialer Grund- und Arbeitsrechte und die kriegerische, neokoloniale Politik des Westens, die erst Migration und Flucht befördert, auf die Barrikaden zu gehen, schlägt sich das Proletariat gegenseitig k. o. – zur großen Freude der sattsam von Merz und Co. bedienten Großaktionäre, Milliardenerben und sonstigen wohlstandsverwahrlosten Profiteure, die im Schatten der Debatten und zulasten der Mehrheitsbevölkerung umso eifriger abkassieren.
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