Bei seinem Staatsbesuch in Berlin hat der polnische Präsident Karol Nawrocki abermals die Frage nach deutschen Reparationen für Polen aufgeworfen. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und Bundeskanzler Friedrich Merz hätten diese, so meldete die deutsche Presse, beide zurückgewiesen, aber dennoch erklärt, sie stünden “fest und unverbrüchlich” an der Seite Polens.
Zur Forderung des polnischen Staatspräsidenten nach Reparationen betonte der Bundespräsident, dass diese Frage aus deutscher Sicht rechtlich abschließend geklärt ist. Die Förderung des Gedenkens und Erinnerns bleibe aber ein gemeinsames Anliegen. 3/4
— Cerstin Gammelin (@BPrSprecherin) September 16, 2025
Eingeleitet hatte Nawrocki das Thema mit einem Interview in der Bild, in dem er einräumte: “Die Frage der Reparationen ist natürlich rechtlich nicht abgeschlossen.” Er bezog sich erneut auf Berechnungen, mit denen bereits sein Amtsvorgänger Andrzej Duda eine Forderung von 1,3 Billionen Euro deklariert hatte.
In diesem Punkt scheint Polen klar gespalten, auch wenn Umfragen ergeben haben, dass eine Mehrheit von 53 Prozent der Bevölkerung die Reparationsforderungen befürwortet – Ministerpräsident Donald Tusk hatte erst beim Besuch von Kanzler Merz in Warschau im Mai wiederholt, Polen werde keine finanziellen Forderungen erheben. Gleiches hatte auch Außenminister Radoslaw Sikorski im vergangenen Oktober geäußert, und Tusk hatte damals erklärt, dass “im formalen, rechtlichen und internationalen Sinne die Frage der Reparationen vor vielen Jahren abgeschlossen wurde”. Die Linie scheint zwischen den Politikern der PiS und ihren Gegnern zu verlaufen.
Polen hatte in einem Vertrag mit der DDR im Jahr 1953 auf weitere Forderungen verzichtet. Im Gegenzug hat die DDR die Oder-Neiße-Grenze anerkannt, durch die Schlesien dauerhaft zu einem Teil Polens wurde. Erst mit dem Einigungsvertrag wurde diese Anerkennung auch vom Westen übernommen.
In Polen jedoch geht die Auseinandersetzung weiter. Außenminister Radoslaw Sikorski spottete auf X, der Präsident habe “in Berlin einen moralischen Sieg” errungen, aber “Außenpolitik ist schwieriger, als es scheint”. Auf die Erwiderung, es lohne sich trotzdem, es zu versuchen, antwortete er: “Mit dem Kopf gegen die Wand zu rennen, entspricht weder meiner Definition von Handlungsfähigkeit noch von Patriotismus.”
Der Leiter des Büros für internationale Politik beim polnischen Präsidenten, Marcin Przydacz, nannte Sikorski daraufhin naiv und forderte, er solle “etwas zur Verwirklichung der polnischen Staatsräson unternehmen”, was andeutet, die Reparationsfrage sei für ihn eine Frage der Staatsräson. Auch der Europaabgeordnete Piotr Müller, ebenfalls PiS, attackierte Sikorski und warf ihm vor, ausländische Interessen über die polnischen zu stellen.
Bei seiner Pressekonferenz nach seinem Treffen mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron, das auf den Besuch in Berlin folgte, äußerte sich Nawrocki ein weiteres Mal zum Thema der Reparationen, diesmal mit dem konkreten Vorschlag, “dass Deutschland einerseits mit der Rückzahlung der Reparationen beginnen könnte, indem es die Stärke der polnischen Armee, das bewaffnete Potenzial, aufbaut und gleichzeitig das stärkt, was uns allen am Herzen liegt, nämlich die Ostflanke der NATO”. Allerdings erläuterte er nicht, warum Deutschland ein Polen stärken sollte, das derartige Forderungen stellt.
In Deutschland reicht die Spanne politischer Reaktionen auf Nawrockis Forderungen von einem Verlangen nach Nachgiebigkeit, wofür unter anderem die Heinrich-Böll-Stiftung steht, bis zu einer Erinnerung an die Tatsache, dass Polen schließlich ein Viertel des deutschen Staatsgebiets erhalten habe, einschließlich des bedeutenden Industriegebiets Schlesien, und der Aufforderung an die deutsche Regierung, darauf hinzuweisen, wie sie sich etwa im Cicero findet.
Auch in Polen gibt es Stimmen, die den Zusammenhang zwischen der Anerkennung der Grenze und dem Verzicht auf Reparationen wiederherstellen – überraschenderweise ebenfalls aus den Reihen der PiS. Der ehemalige Außenminister Jacek Czaputowicz schrieb in einem ausführlichen Kommentar, in dem er auch die Berechnungen wiedergibt, auf denen die Forderung nach 1,3 Billionen Euro beruht:
“Die Forderung nach einer anderen Behandlung als andere Staaten der Anti-Hitler-Koalition stimmt nicht mit den Prinzipien der Gerechtigkeit überein. Gleichzeitig widerspricht es der polnischen Staatsräson, die Entscheidungen von Potsdam, die die Grundlage der internationalen Nachkriegsordnung bilden, in Frage zu stellen. Wenn wir die Entscheidungen zu Reparationen in Frage stellen, wird es uns schwerer fallen, Entscheidungen über territoriale Fragen zu verteidigen.”
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