Von Abbas Djuma
Wenn man eine Zwischenbilanz des bewaffneten Konflikts zwischen Iran und Israel zieht, ist es wichtig zu beachten, dass es nichts Unbeständigeres und Zweideutigeres gibt als einen Waffenstillstand im Nahen Osten. Wenn man also von Gewinnern und Verlierern spricht, dann nur vorläufig, wobei man bedenken muss, dass die Konfrontation fortgesetzt werden kann. Und hier ist der Grund dafür.
Iran verfügt immer noch über etwa 400 Kilogramm angereichertes Uran. Es wurde abtransportiert. Die Zeitungen The New York Times und Financial Times haben dazu detailliert geschrieben.
Iran verfügt über eine riesige unterirdische Atomanlage in der Nähe von Natanz, die nicht angegriffen wurde. Dort könnten angeblich Zentrifugen installiert und die Anreicherung wieder aufgenommen werden. Es wird gemunkelt, dass diese Anlage noch tiefer liegt als die in Fordo. Möglicherweise gibt es im ganzen Land (und Iran verfügt über die Gesamtfläche von 1.648.000 Quadratkilometern) noch eine oder sogar zwei weitere nicht gemeldete Anlagen, die durchaus für eine schnelle Anreicherung umgerüstet werden könnten.
Es sei daran erinnert, dass der erklärte Grund für die Aggression Israels und seiner Verbündeten nichts anderes als das iranische Atomprogramm war. Und das zu einem Zeitpunkt, als die Iraner mit den US-Amerikanern Verhandlungen führten. Nach allem, was geschehen ist, sind das Vertrauen und die Hoffnung auf eine Überwindung der Krise heute erschüttert. Es ist schwer vorstellbar, wie man in Israel angesichts all dessen und unter Berücksichtigung der ausgeprägten israelischen Paranoia empfindet. All dies lässt das heutige Ereignis eher als Atempause erscheinen. Nun zu den einzelnen Parteien.
Netanjahu
Benjamin Netanjahu hat verloren. Er konnte das iranische Nuklearpotenzial nicht zerstören. Er konnte die USA nicht vollständig in einen Krieg mit Iran hineinziehen. Auch seine Träume von einem “Volksaufstand gegen das Mullah-Regime” sind nicht in Erfüllung gegangen. Dabei hat Israel empfindliche Verluste an Menschenleben und Infrastruktur erlitten.
Dabei ist Netanjahus offensichtlicher Misserfolg im Iran, wie zuvor im Gazastreifen und im Libanon, keineswegs eine Niederlage für die Israelis. Im Gegenteil, sie haben ihre Leben und ihre Gebäude gerettet, die zwangsläufig zerstört worden wären, wenn “Bibi” wieder etwas unternommen hätte. Es liegt also im Interesse der Israelis, alles zu tun, um die derzeitige Lage zu erhalten.
Trump
Was Donald Trump betrifft, so ist er der Nutznießer. Eine schöne Kombination. Zum ersten Mal in seiner zweiten Amtszeit hat er einen Konflikt beendet (sofern wir natürlich nicht in naher Zukunft eine Wiederaufnahme erleben). Jedenfalls wird der US-Präsident das so sagen – und dafür sicherlich einen Friedensnobelpreis erwarten. Streng genommen hat Trump ihn viel mehr verdient als Barack Obama, dem der Nobelpreis für Hoffnung und Rhetorik verliehen wurde und nicht für einen konkreten Beitrag zum Frieden. Trump hat trotz all seiner Eskapaden Israel tatsächlich gerettet.
Übrigens hat Trump laut Reuters zum Zeitpunkt der Abfassung dieses Textes sowohl Iran als auch Israel beschuldigt, gegen den Waffenstillstand verstoßen zu haben.
Iran
Und schließlich Iran. Man kann das Land weder als eindeutigen Sieger noch als Verlierer des Konflikts bezeichnen. Zumindest ist es Israel gelungen, der Islamischen Republik einen Krieg aufzuzwingen, den diese überhaupt nicht brauchte. Es gelang, Iran mit Agenten zu überschwemmen. Die Iraner und die “Achse des Widerstands” haben empfindliche Verluste erlitten.
Gleichzeitig hat Teheran würdig reagiert und der ganzen Welt gezeigt, dass die Iraner kämpfen können und bereit sind, lange zu kämpfen und so viele Opfer zu bringen, wie nötig sind. Die Feinde Irans waren dazu jedoch offensichtlich nicht bereit und hatten auf einen Blitzkrieg gesetzt.
Außerdem wurde irgendwann klar, dass die iranische Bevölkerung kaum revoltieren würde. Die Iraner sammelten wertvolle Erfahrungen und zogen viele Schlussfolgerungen. Sie erkannten alle Schwächen Israels und verstanden, von wem sie in der Region und in der Welt was zu erwarten hatten.
Sie haben ihre Raketen im realen Kampf gegen technologisch entwickelte Mächte getestet. Schließlich haben die Iraner eine enorme Anzahl innerer Feinde eliminiert. Und insgesamt haben sie das Ausmaß der Katastrophe nicht erst erkannt, als es schon zu spät war, sondern haben Zeit und Kraft, um die Bedrohung zu beseitigen. In Iran werden noch sehr lange Säuberungen stattfinden, die die bestehenden Machtstrukturen festigen werden.
Abbas Djuma ist ein russischer Journalist und Nahostexperte. Der Artikel ist zuerst in der Telegram-Kolumne Speziell für RT erschienen.
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