Gleich am ersten Tag seiner Amtszeit besucht Merz zwei deutsche Nachbarstaaten. Der Bundeskanzler reist heute nach Paris und Warschau. Mit US-Präsident Trump will er telefonieren. Merz kündigt an, Trump die Meinungsäußerung zum Verfahren der Einstufung der AfD als “gesichert rechtsextremistisch” zu untersagen.
Unter anderem in den USA, aber auch in anderen Ländern wird die Einstufung der größten Oppositionspartei Deutschlands, der AfD, kritisch kommentiert. Verstanden hat man international darüber hinaus, dass es sich bei der Einstufung um einen Schritt in Richtung Parteienverbot handelt. Während man sich in den USA um die Meinungsfreiheit und die Demokratie in Deutschland sorgt, sind die Kommentare in Russland eher belustigt. Dort ist man mit deutschen Doppelstandards seit langem vertraut. Man sieht in dem Vorgang eine Selbstentlarvung deutscher Politik.
“Ich würde gerne die amerikanische Regierung ermutigen und ermuntern, die Innenpolitik in Deutschland Innenpolitik sein zu lassen und sich aus diesen parteipolitischen Betrachtungen weitgehend herauszuhalten”, sagte Merz in einem Interview mit dem ZDF.
Er habe sich nicht in den US-Wahlkampf eingemischt. Daher sollen sich nun die USA mit ihren Meinungsäußerungen zum Umgang mit der AfD zurückhalten.
Das ist freilich nur die halbe Wahrheit. Deutsche Medien und deutsche Politik haben sich klar und vollkommen einseitig aufseiten der US-Demokraten positioniert, Donald Trumps Herausforderin Kamala Harris unterstützt sowie Trump diskreditiert. Angesichts der Dichte der Berichterstattung über den US-Wahlkampf konnte zudem der Eindruck entstehen, die Deutschen seien ebenfalls zur Wahl des US-Präsidenten aufgerufen und würden letztlich den Ausschlag geben.
Merz hat sich vorgenommen, den US-Präsidenten über den extremistischen Charakter der AfD zu belehren.
“Ich hatte von Amerika bisher immer den Eindruck, dass sie unterscheiden können zwischen extremistischen Parteien und Parteien der politischen Mitte.”
In Paris traf der Bundeskanzler auf einen Präsidenten, der politisch ebenso geschwächt ist wie der neue deutsche Regierungschef, dem im ersten Wahlgang die notwendige Anzahl der Stimmen der Bundestagsabgeordneten versagt blieb. Macron gelang es allerdings, außenpolitisch zu punkten: Frankreich führt gemeinsam mit Großbritannien die Unterstützerländer der Ukraine an und gibt dort den Takt vor.
Eigentlich beansprucht Merz die Führung in Europa. Er behauptete wiederholt, die Länder Europas würden von Deutschland Führung erwarten, was allerdings kaum glaubhaft ist.
Das Verhältnis zwischen Frankreich und Deutschland ist inzwischen durch zahlreiche deutsche Alleingänge belastet. Zuletzt hat die Bundesrepublik Frankreich bei geplanten Rüstungsvorhaben ausgebootet. So hat Deutschland beim Projekt für den europäischen Raketenabwehrschild, European Sky Shield Initiative ESSI, das französisch-italienische Abwehrsystem herausgedrängt.
Das ESSI-Projekt sieht die Beschaffung des deutschen Flugabwehrsystems IRIS-T, des israelischen Systems Arrow 3 und des in die Jahre gekommenen US-Systems Patriot vor. Faktisch laufen schon seit Beginn des Jahrhunderts die deutschen und französischen Interessen auseinander. Mit der Agenda 2010 hat sich Deutschland unter anderem auf Kosten Frankreichs durch Lohnsenkung einen Wettbewerbsvorteil für seine Industrieunternehmen erschlichen.
In einer Pressekonferenz bei seinem Besuch in Paris sagte Merz, man werde gemeinsam mit Frankreich die Ukraine weiter unterstützen. Der Kanzler will deutsche Soldaten zur Überwachung eines Waffenstillstands in die Ukraine entsenden und gemeinsam mit westlichen Ländern für deren Sicherheit garantieren.
In diesem Zusammenhang wiederholte der CDU-Chef auch die Forderung nach einer Beteiligung der USA an sogenannten “Friedenstruppen” in der Ukraine. So wäre eine faktische NATO-Präsenz in dem osteuropäischen Land doch noch erreicht. Der Plan ist daher auch unrealistisch, da er den Kriegsgrund nicht eliminiert, sondern ihn dauerhaft zementiert. Russland wird einer Präsenz von NATO-Soldaten in der Ukraine kaum zustimmen.
Auch das deutsch-polnische Verhältnis ist nicht frei von Schatten. In Warschau sieht man die deutschen Führungsansprüche mehr als nur kritisch. Vor allem die konservative PIS fürchtet die Gefahr der Rückkehr deutschen Großmachtstrebens.
Nach dem Terroranschlag auf Nord Stream durch mutmaßlich die USA twitterte der polnische Außenminister Radosław Sikorski “Thank you USA” mit einem Bild, dass die Stelle des Anschlags in der Ostsee zeigt.
Insgesamt haben auch die “europäischen Partner” mit Deutschland noch eine Vielzahl von Rechnungen offen. Nach dem gestrigen Wahldebakel im Bundestag ist Merz ein erkennbar schwacher Kanzler. Die “Partnerländer” werden versuchen, daraus für die Interessen ihrer Länder Gewinn zu schlagen.
Mehr zum Thema – Kanzlerwahl: Eine nutzlose Stabilität