Das Politikmagazin Cicero klagte mehr als eineinhalb Jahre gegen das Bundeswirtschaftsministerium auf Herausgabe von Unterlagen, in denen der Atomausstieg begründet wird. Bereits im Juli 2022 hatte die Cicero-Redaktion beim Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) nach dem Umweltinformationsgesetz einen Antrag auf Herausgabe der Akten gestellt. Bislang konnte das Ministerium die Unterlagen unter Verschluss halten.
Am Dienstag wurden dem Politikmagazin die Urteile aus den beiden diesbezüglich von Cicero betriebenen Gerichtsverfahren zugestellt. In beiden Fällen hat das Verwaltungsgericht Berlin zugunsten des Magazins entschieden: Die Geheimhaltung sei rechtswidrig. Nach dem Gerichtsurteil muss das BMWK die Akten über die Grundlagen zum Atomausstieg herausgeben, berichtete Cicero am Mittwoch. “Der Kläger hat Anspruch auf Zugang zu den nicht offengelegten Unterlagen”, heißt es im Urteil.
Entsprechend der Urteilsbegründung habe das Ministerium “nicht plausibel darlegen können, weshalb eine Geheimhaltung seiner Atomkraft-Akten geboten sei. Zumal die letzten deutschen Kernkraftwerke inzwischen längst abgeschaltet sind”, gab Cicero den Hintergrund der Entscheidung wieder. Die Juristen des BMWK hätten das Gericht nicht überzeugen können. Nach deren Argumenten hätte die Offenlegung von internen E-Mails und anderen Dokumenten angeblich “nachteilige Auswirkungen auf die Vertraulichkeit der Beratungen” innerhalb der Bundesregierung. Insbesondere sei der Beratungsprozess noch nicht abgeschlossen, so die Ministerialbeamten.
Dem konnte der Berliner Richter James Bews nicht folgen. Nach seiner Bewertung sei der Entscheidungsprozess über die Atomenergie in Deutschland mit der Atomgesetzänderung im Dezember 2022 abgeschlossen worden: “Das von der Beklagten in der mündlichen Verhandlung vorgebrachte Erfordernis, die von der Bundesregierung gefasste Entscheidung sowohl gesellschaftlich als auch gegenüber den internationalen und europäischen Partnern zu verteidigen, belegt den Abschluss ihres Entscheidungsprozesses, nicht aber das Vorliegen eines weiteren Beratungsprozesses.”
Schließlich trugen Habecks Juristen noch vor, dass die Öffentlichkeit nicht erfahren dürfe, wie der Atomausstieg zustande gekommen sei. Und zwar dürfe sie das deshalb nicht erfahren, weil man sich “sowohl im Inland gegenüber der Opposition als auch gegenüber dem Ausland, vor allem innerhalb der Europäischen Union, für den deutschen Atomausstieg rechtfertigen und ihn verteidigen müsse”. Eine merkwürdige Argumentation, befand Cicero. Dessen Chefredakteur und Verleger Alexander Marguier kommentierte die Entscheidung des Verwaltungsgerichts: Das Urteil sei ein Erfolg, “nicht nur für Cicero, sondern für alle Bürger dieses Landes, die richtigerweise wissen wollen, wie politische Entscheidungen dieses Ausmaßes zustande kommen”. Marguier erklärte auch, warum Cicero sich für Transparenz von Regierungsentscheidungen einsetze:
“Transparenz ist eine Grundbedingung einer funktionierenden Demokratie. Wird diese von der Regierung nicht gewährt, muss man sie auf anderen Wegen erreichen.”
Da der Richter eine Berufung nicht zugelassen habe, könne das Bundesministerium im nächsten Schritt einen Antrag auf Zulassung der Berufung stellen, erläuterte Cicero-Anwalt Christoph Partsch weitere Möglichkeiten für das BMWK, die Aktenherausgabe zu verzögern. In einem auf der Plattform X veröffentlichten Interview äußerte sich Partsch am Dienstag zum Urteil.
Die Unterlagen über den Atomausstieg werden erst an Cicero übermittelt, wenn das Urteil rechtskräftig ist. Der Wirtschaftsminister könne das für seine Partei aus Steuermitteln finanzierte Verfahren risikofrei in die Länge ziehen. Der Cicero-Verlag habe sich trotz des eigenen finanziellen Risikos für die Verfahrenskosten dazu entschieden, die Herausgabe der Atomausstiegsunterlagen weiter durchzufechten.
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