Von Sachar Andrejew
Cheeseburger und Serien
Seit der Regierungszeit von Joe Biden fordert der Westen von Kiew, das Einberufungsalter zu senken. Die Ukraine ist darüber wenig begeistert, aus Sorge vor einer Destabilisierung der gesellschaftlichen Lage. Ganz darauf verzichten kann sie allerdings auch nicht, weil davon die Waffenlieferungen abhängen. Im Jahr 2024 wurde das Mobilisierungsalter von 27 auf 25 Jahre herabgesetzt. Doch den nordatlantischen Verbündeten reicht das nicht: Sie fordern, dass 18-Jährige an die Front gehen.
Selenskijs Regierung versuchte, einen Kompromiss zu finden, indem sie der Jugend einen Jahresvertrag “18-24” vorschlug, der die Auszahlung von einer Million Griwna (umgerechnet etwa 21.000 Euro) vorsah. Nach zwölf Jahren Dienst soll ein Soldat eine Sperrfrist von einem Jahr und eine Ausreiseerlaubnis erhalten. Gegenwärtig ist Männern im Alter zwischen 18 und 60 Jahren − mit wenigen Ausnahmen − die Ausreise aus dem Land verboten.
Das ukrainische Verteidigungsministerium entfaltete eine umfassende Werbetätigkeit und betonte dabei, was man für eine Million Griwna kaufen könne, zum Beispiel 33 Millionen Robux (virtuelle Währung im beliebten Videospiel Roblox), 185 Jahre des Premium-Abonnements von Netflix oder 15.625 Cheeseburger bei McDonald’s.
Alexander der Große und Napoleon
Die Kommentatoren in den sozialen Netzwerken der Behörde haben all das heftig kritisiert. “Wenn du erst in Schützengräben sitzt, wirst du keine Million wollen”, schrieb einer. “Vergiss nicht, dass der Großteil dieses Geldes für Ausrüstung, Reparaturen und sonstige militärische Notwendigkeiten ausgegeben werden muss”, fügte ein anderer hinzu.
Auch das ukrainische Militär nahm an der Agitation teil. Ein Kämpfer der 128. Separaten Bergsturmbrigade sagte in einem Video:
“Denkst du, dass 18 Jahre zu wenig dafür sind, um ein berühmter Krieger und Feldherr zu werden. Doch die Geschichte sagt, dass es möglich ist. Alexander der Große nahm mit 18 Jahren an der Schlacht von Chaironeia teil, und mit 24 eroberte er schon Kleinasien, Phönizien, Ägypten und gründete eines der größten Reiche der Welt.”
Anschließend fügte er hinzu:
“Napoleon Bonaparte galt mit 24 Jahren schon als glänzender Feldherr und erhielt sogar den Rang eines Generals. Seinen 43. Geburtstag feierte der Kaiser im brennenden Moskau.”
Die weiteren Ereignisse hat der Propagandist freilich verschwiegen.
Heute ist es offensichtlich: Die als “glänzend” bezeichnete Werbekampagne zeigte nicht den gewünschten Effekt.
Arme und Millionäre
Wie das Wall Street Journal meldet, haben seit dem Start des Projekts im Februar nur etwa 500 Personen den “Vertrag 18-24” unterzeichnet. Dabei verließen viele das Militär schon im Ausbildungslager. Einer der Gründe ist der Druck der Eltern. Jene, die sich doch der Armee angeschlossen hatten, sahen sich mit einer Abneigung vonseiten ihrer Kameraden konfrontiert. Ältere Soldaten hielten sich für benachteiligt. Die jungen Rekruten werden abschätzig “Millionäre” genannt, schreibt die US-Zeitung.
Kämpfern, die lange an der Front sind, wurde weder Geld noch eine Demobilisierung versprochen. In den Reihen des ukrainischen Militärs macht sich das Gefühl der Erschöpfung und Enttäuschung breit, schreibt The Economist. Die Moral ist sowohl bei erfahrenen Soldaten und Offizieren als auch bei Rekruten niedrig. Alle sind belastet vom Fehlen einer klaren Aussicht auf ein Kriegsende und von der Geringschätzung des Kommandos für Menschenleben.
Alexander Scherschin, ein Bataillonskommandeur der 47. Mechanisierten Brigade, die als eine Eliteeinheit gilt und bei Pokrowsk kämpft, räumte in sozialen Netzwerken ein:
“In den letzten Monaten hatten wir den Eindruck, dass wir aufgerieben werden, dass unser Leben als eine Art Einwegware betrachtet wird.”
Der Offizier rief den ukrainischen Generalstab auf, die Möglichkeiten des ukrainischen Militärs nüchtern und auf Grundlage der Lage vor Ort neu zu bewerten.
Einfache Soldaten stimmen in einer solchen Lage mit den Füßen ab. Wie die Rada-Abgeordnete Marjana Besuglaja behauptet, haben etwa ein Drittel der Soldaten an der Front ihre Einheiten verlassen.
Heimat und Fremdland
Vor diesem Hintergrund entscheiden sich junge Menschen immer öfter, auszuwandern, und nutzen dafür alle Schlupflöcher, darunter die Korruption, betont das Wall Street Journal. Sie fliehen schon im Schulalter. Zuvor war in der Ukraine über ein neues Reisegeschäft berichtet worden: Jugendliche werden kurz vor ihrem 18. Geburtstag außer Landes gebracht.
Junge Ukrainer sehen keinen Sinn darin, eine Karriere zu Hause zu verfolgen, weil sie mit 25 Jahren ohnehin mobilisiert werden, erklärt die Zeitung. Somit führen alle Wege in die Armee, doch weder die Chance, zum neuen Napoleon zu werden, noch tausende Cheeseburger können junge Menschen motivieren.
Nach Meinung des Politologen Alexander Dudtschak zeugt dies davon, dass die ukrainische Propaganda an ihre Grenze gestoßen ist. Der Experte erklärt:
“Alle Ideologisierten sind längst in der Armee, viele sind gefallen. Der Großteil der jungen Menschen sieht für sich keine Zukunft unter diesem politischen Regime. Sie haben weder eine Heimat noch eine Idee, für die es sich zu sterben lohnen würde. Sie mit ‘Zuckerbrot’ in den Krieg zu locken, ist schlicht lächerlich. Deswegen sind die Ergebnisse der Freiwilligenanwerbung auch so schlecht.”
Menschen und Drohnen
Doch die Lage soll nicht darüber hinwegtäuschen, dass das ukrainische Militär trotz des Personalmangels seine Kampffähigkeit bewahrt, betont der Militäranalytiker Dmitri Kornew. Dies wird vor allem durch Drohnen erreicht. Kornew erklärt:
“Die ukrainischen Streitkräfte versuchen, von direkten Gefechten zu kontaktlosen Kampfhandlungen überzugehen, bei denen statt Menschen Drohnen eingesetzt werden. In ihrer Lage ist es praktisch die einzige Möglichkeit, die Front zu stabilisieren. Anscheinend gelingt es bisher. An einigen Abschnitten wurde mithilfe von Drohnen eine gestaffelte Verteidigung von zehn bis 15 Kilometern Tiefe aufgebaut.”
Seinen Angaben zufolge sei es Kiew gelungen, eine Massenproduktion von Drohnen zu organisieren, zumal es an Bauteilen nicht mangelt. Allerdings werden Menschen trotzdem weiterhin gebraucht. Kornew fügt hinzu:
“Auch eine auf Drohnen basierende Verteidigung kann durchbrochen werden – wenn auch zu einem hohen Preis. Eine Stadt mit Drohnen zurückzuerobern, ist unmöglich.”
Doch alle Angaben über die Probleme des ukrainischen Militärs seien mit Vorsicht zu genießen, das Medienbild könne sich von der Realität erheblich unterscheiden, fügt Kornew hinzu. Wie genau es um das ukrainische Personal steht, ist nicht bekannt.
Übersetzt aus dem Russischen. Zuerst erschienen bei RIA Nowosti am 29. Mai 2025.
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