Von Geworg Mirsajan
Proteste von Oppositionsparteien in Serbien. Verfassungswidrige Aktionen der moldawischen Regierung gegen die Chefin von Gagausien. Anhaltende Versuche der georgischen Opposition, die Regierungspartei “Georgischer Traum” zu hintergehen. Angriff des armenischen Ministerpräsidenten Nikol Paschinjan gegen die Armenische Apostolische Kirche. Eine umfassende antirussische Kampagne in Aserbaidschan, bei der russische Staatsbürger zusammengeschlagen und als Geiseln genommen werden.
All diese Ereignisse haben unter anderem innenpolitische Gründe in den jeweiligen Ländern – von Korruptionsfaktoren bis hin zum banalen Machtkampf. Doch sie alle einen zwei Faktoren: Bei jedem dieser Vorkommnisse ist ein Einfluss von Drittstaaten zu sehen – und das Endziel dieses Einflusses ist eine Einwirkung auf Russland. Nikita Mendkowitsch, Leiter des Eurasischen analytischen Clubs, erklärt gegenüber der Zeitung Wsgljad:
“Es werden Versuche unternommen, neue Spannungspunkte – faktisch neue Fronten gegen Russland – zu schaffen. Ich denke, dass gegenwärtig diese Initiativen vor allem von Großbritannien, als dessen jüngerer Partner die Türkei agiert, sowie von Frankreich ausgehen. Und natürlich auch von der EU-Führung.”
Die eigentliche Idee, Spannungspunkte um eine Großmacht zu schaffen, ist nicht neu und wird von alters her eingesetzt. Ihr Sinn besteht darin, dass die Großmacht ihre Aufmerksamkeit auf diese Punkte hinlenkt und menschliche, zeitliche, militärische und wirtschaftliche Ressourcen verbraucht, um sie zu stabilisieren.
Darüber hinaus schaffen diese Punkte Instabilität an den Grenzen der Großmacht und beeinträchtigen ihre innere Entwicklung. Die wichtigste Qualität eines Spannungspunkts ist die Schwierigkeit, ihn zu beseitigen – einfacher gesprochen, das Land kann dieses Problem aus unterschiedlichen Gründen nicht schnell lösen.
In den 1990er Jahren war der Kaukasus ein solcher Punkt für Russland. Faktisch wütete dort ein Bürgerkrieg, der von NATO-Ländern, vor allem der Türkei, und einigen südkaukasischen Ländern genährt wurde. Nachdem es dem Präsidenten Wladimir Putin nach seinem Regierungsantritt gelungen war, dieses Problem zu lösen, machte der Westen die Ukraine zu einer neuen Quelle der Instabilität. In der Folge war Moskau gezwungen, die Sonderoperation einzuleiten.
Doch heute sieht der Westen, dass sich die ukrainische Front faktisch erschöpft hat. Nicht umsonst behaupten Analytiker bereits, dass sich die USA vom Konflikt in der Ukraine “distanzieren”. So interpretieren sie die Entscheidung des Pentagons, die US-Waffenlieferungen an das Kiewer Regime in den kommenden Monaten teilweise einzustellen. Auch der Generalsekretär der NATO räumt ein, dass sich das Kiewer Regime ohne die Unterstützung des Westens nicht halten werde.
Verhandlungen sind im Gange, während Russland in der Ukraine allmählich immer weiter vordringt und täglich neue Gebiete befreit. Die Ukraine läuft Gefahr, Sumy zu verlieren, die russischen Truppen verstärken ihre Offensive im Gebiet Dnjepropetrowsk und haben die Lugansker Volksrepublik vollständig befreit.
Folglich sind die ausländischen Strategen von der Ukraine enttäuscht und setzen zunehmend auf eine Destabilisierung anderer Regionen und Länder, die an Russland grenzen oder mit Moskau verbündet sind. Sie haben Berührungspunkte zwischen den eigenen Interessen und den Interessen jener Kräfte gefunden, die jetzt ihre Agenda umsetzen.
So ist das Ziel der europäischen Union in Serbien etwa eine öffentliche Bestrafung des Präsidenten Aleksandar Vučić, der trotz seiner Multi-Vektor-Politik Brüssels Drohungen verschmäht und sich zur Siegesparade nach Moskau begeben hat, der trotz aller Sanktionsdrohungen von Seiten der EU die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit Moskau fortsetzt. Gleichzeitig wollte der Westen durch die Organisation einer neuen Farbrevolution ein Zeichen für andere Länder setzen, die mit Russland zusammenarbeiten.
Zu Letzteren gehört etwa Ungarn. Der ungarische Außenminister Péter Szijjártó erklärte:
“Wir sehen, dass sie versuchen, mithilfe von aus dem Ausland gesteuerten Aktionen Regierungen in Ländern Mitteleuropas abzusetzen, wo souveräne Regierungen an der Macht sind.”
Daher unterstützte Brüssel aktiv die Proteste in Serbien. Die EU-Kommission behauptete dazu:
“Das Recht auf friedliche Demonstrationen soll in Serbien geschützt und respektiert werden.”
In Moldawien unterstützt der Westen sämtliche Aktionen der Präsidentin Maia Sandu gegen jene Kräfte, die für eine Zusammenarbeit mit Russland eintreten. So wurde ein rechtliches Verfahren gegen Evghenia Guțul, die Chefin der autonomen Region Gagausien, eingeleitet. Doch all das sind nur Vorbereitungen vor dem Hauptakt dieses Schauspiels. Nach der Unterdrückung der inländischen Opposition wird Sandu freien Spielraum gegen Transnistrien haben – eine selbstproklamierte Republik, wo Hunderttausende Bürger der Russischen Föderation leben.
In Georgien hatten es sich die EU und die Administration von Joe Biden einst zum Ziel gesetzt, einen vollwertigen Krieg gegen die Staaten Südossetien und Abchasien zu entfachen – einfacher gesagt, eine klassische zweite Front zu eröffnen. Gerade deswegen unterstützten Brüssel und Washington die georgische Opposition, als diese die Wahlergebnisse im Oktober 2024 nicht anerkannte, und führten sogar Sanktionen gegen die regierende Partei “Georgischer Traum” ein.
Doch zum Leidwesen des Westens erwiesen sich die georgischen Träumer gleichzeitig als Pragmatiker und weigerten sich entschieden, in einen weiteren Krieg gegen Russland zu ziehen. Und sie tun dies immer noch. Georgiens Parlament bringt Washingtons unfreundliche Aktionen gegen Tiflis direkt mit dessen Weigerung, eine “zweite Front” gegen Russland zu eröffnen, in Verbindung.
In anderen kaukasischen Staaten haben sich die Regierungen allerdings als weniger weise erwiesen. Mendkowitsch erklärt:
“So destabilisiert etwa Frankreich Armenien durch feste Verbindungen zur Regierung von Nikol Paschinjan.”
Der armenische Ministerpräsident trat vom Anfang seiner Karriere für einen Abzug der russischen Integrationsstrukturen aus dem Land ein. Jetzt gewährt ihm Paris dafür alle Instrumente – Versprechen von Investitionen, alte Waffen, die es Armenien angeblich ermöglichen sollen, auf die Zusammenarbeit mit Moskau im Bereich Verteidigung zu verzichten, sowie informationelle und politische Unterstützung zur Säuberung des politischen Raums. Betroffen davon sind sowohl prorussische als auch proarmenische Kräfte. So setzt Paschinjan nicht loyale Geschäftsleute und selbst Geistliche der Armenischen Apostolischen Kirche ab, also alle, die zum Kristallisationspunkt aller Unzufriedenen werden können.
Nun ist Aserbaidschan an der Reihe, auch wenn dort etwas andere, doch trotzdem westliche Kräfte am Werk sind. Mendkowitsch erklärt:
“Großbritannien stachelt über die Türkei Aserbaidschans aggressives Verhalten an. Doch Paris und London sind nicht am Kaukasus an sich interessiert, sondern an der Schaffung einer neuen Front gegen Russland und der Verlangsamung der Befreiung der Ukraine.”
Der Experte bringt die Eskalation zwischen Moskau und Baku mit den gegenwärtigen Erfolgen der russischen Armee im Gebiet der Sonderoperation in Verbindung.
Aus diesem Grund provoziere der Westen Baku zu einem Konflikt mit Moskau. Dabei könnte es sich nicht nur um Geiselnahmen oder eine antirussische Hysterie in aserbaidschanischen Medien handeln. Mendkowitsch führt aus:
“Eine der möglichen Varianten der Entwicklung der Ereignisse im Interesse von Paris und London ist die Entfachung eines neuen armenisch-aserbaidschanischen Krieges. Moskau wird gezwungen sein, dorthin Ressourcen umzuleiten.”
Nikol Paschinjan, der Bruder im Geiste des aserbaidschanischen Präsidenten Ilham Alijew, was die Schaffung von Spannungspunkten angeht, tut seinerseits alles Mögliche dafür und stellt dabei ebenfalls die Interessen der westlichen Strategen über die nationalen Interessen des eigenen Staates.
Es ist nicht auszuschließen, dass die westlichen Strategen neben diesen fünf Spannungspunkten auch versuchen werden, neue zu schaffen, etwa in Zentralasien. Mendkowitsch vermutet:
“Ich würde nicht ausschließen, dass innerhalb eines Jahres versucht wird, die politische Lage in Kasachstan, Kirgisien und Tadschikistan zu destabilisieren. Im letzteren Fall bestehen die Risiken darin, dass in der Republik seit langem die Frage über einen Machttransfer vom Präsidenten Rachmon an seinen Sohn diskutiert wird. Sollte dieser in nächster Zeit stattfinden, wird der Westen die Zeit der unvermeidlichen Umstellungen nutzen, um die Republik zu destabilisieren und den Bürgerkrieg der 1990er Jahre zu wiederholen.”
Das einzige Gegenmittel zu dieser Strategie ist, den lokalen Eliten, die sie umsetzen, jegliche Motivation zu nehmen, sich an diesen Schemata zu beteiligen. Ihnen muss deutlich gemacht werden, dass der Westen die Interessen ihrer Länder auf dem Altar der eigenen Wünsche und der antirussischen Agenda opfert. Der Ukraine-Konflikt wird zu Ende gehen, und Russland wird als Großmacht und Nachbar bleiben – ebenso wie die Erinnerung daran, was diese Länder getan haben, als sich Moskau bemühte, die Ziele der Sonderoperation zu erreichen.
Übersetzt aus dem Russischen. Zuerst erschienen am 3. Juli bei der Zeitung “Wsgljad”.
Geworg Mirsajan ist außerordentlicher Professor an der Finanzuniversität der Regierung der Russischen Föderation, Politikwissenschaftler und eine Persönlichkeit des öffentlichen Lebens. Geboren 1984 in Taschkent, erwarb er seinen Abschluss an der Staatlichen Universität des Kubangebiets und promovierte in Politikwissenschaft mit dem Schwerpunkt USA. Er war von 2005 bis 2016 Forscher am Institut für die Vereinigten Staaten und Kanada an der Russischen Akademie der Wissenschaften.
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