Von Alex Männer
Ungeachtet der gegen Russland eingeführten massive Wirtschaftsbeschränkungen ist der russische Flüssiggassektor von harten Sanktionen bisher verschont geblieben. Dies nutzten unter anderem die EU-Länder aus, die mittlerweile knapp die Hälfte der russischen LNG-Lieferungen beziehen und damit eine der wichtigsten Einnahmequellen für Moskau sichern.
Russland hingegen plant, seine Exporte nach der Inbetriebnahme der ersten Gasverflüssigungsanlage seines Mega-Energie-Projekts “Arctic LNG 2” am Jahresende noch weiter zu steigern. Das Vorhaben sieht ein jährliches Produktionsvolumen von fast 20 Millionen Tonnen Flüssiggas vor, das man nach der Inbetriebnahme der anderen beiden Anlagen in den Jahren 2024 und 2026 vollständig realisieren will.
Zu betonen ist, dass Arctic LNG 2 gegenüber diversen US-amerikanischen oder katarischen LNG-Projekten im Vorteil ist. Diese dürften nämlich erst 2025 beziehungsweise 2027 und damit erst nach dem russischen Projekt an den Start gehen, weshalb sie ihre Lieferungen dann auf einem deutlich gesättigteren Markt zum Verkauf anbieten müssten.
Dennoch erscheint die Zukunft von Arctic LNG 2 noch ungewiss, weil sein Betreiberkonzern Novatek bereits massivem Druck aus den USA unterliegt und vor wenigen Wochen sogar auf ihre Sanktionsliste gesetzt wurde. Die US-Amerikaner wollen ihre russischen Konkurrenten einfach nicht auf den Markt lassen und gehen daher erstmals direkt gegen Russlands LNG-Export vor. Und zwar wollen sie die Ausfuhren dadurch einschränken oder am besten gänzlich unterbinden, indem sie die möglichen Abnehmer für das von Arctic LNG 2 produzierte Gas durch Androhung von Strafen von einem Geschäft abbringen.
Diese Initiative ist vergleichbar mit der Einführung des Ölembargos sowie des Preislimits auf Öllieferungen aus Russland im vergangenen Jahr. Damals hatten Washington und seine Verbündeten harte Strafen gegen den russischen Erdölsektor eingeführt, in der Hoffnung, die Erlöse des Kremls aus dem Ölverkauf signifikant zu senken. Experten sind jedoch der Ansicht, dass das Vorgehen der USA in Bezug auf Arctic LNG 2 für Moskau mehr Gefahren in sich birgt als im Falle des Ölexports. Zum Beispiel wird viel weniger verflüssigtes Gas als Erdöl in der Welt gehandelt, sodass es schwieriger ist, etwa die Transportrouten von LNG-Tankern geheim zu halten und so die Beschränkungen zu umgehen.
Dass Russland die neuen US-Sanktionen dieses Mal deutlich härter zu spüren bekommen wird, prophezeit auch die Financial Times. Der Zeitung zufolge werden die Sanktionen dafür sorgen, dass die Russen trotz der Inbetriebnahme von Arctic LNG 2 kaum Abnehmer für ihr Gas finden werden. Diese Annahme stützt sich unter anderem auf eine Prognose des Beratungsunternehmen Energy Aspects, das die erwartete Produktion von Arctic LNG 2 für das kommende Jahr aus dem Angebot streichen will. Dies würde darauf schließen, dass die Analysten von Energy Aspects nicht davon ausgehen, dass die besagten russischen Lieferungen 2024 erfolgen werden.
Des Weiteren verweist die Financial Times auf die französischen und japanischen Co-Investoren von Novatek, die sich aufgrund der Strafmaßnahmen dem Druck Washingtons am Ende beugen würden. Diesbezüglich meint die US-Expertin für Sanktionen von der Anwaltskanzlei “Mishcon de Reya”, Shaista Akhtar, dass die Beschränkungen das Projekt für westliche Käufer blockieren würden:
“Wenn Sie die US-Sanktionen einhalten, wie es die meisten Menschen tun, wenn sie mit den USA Geschäfte machen, dann werden sie das Gas aus dem Projekt nicht kaufen. […] Es sei denn, Sie haben eine Lizenz oder eine Ausnahmegenehmigung.”
Andernfalls hätten die Teilhaber von Arctic LNG 2, wie zum Beispiel der französische Konzern Total, der bei dem Joint Venture künftig zwei Millionen Tonnen Flüssiggas beziehen könnte, bis Ende Januar 2024 Zeit, um ihre Investitionen zu revidieren.
Andere Experten führen indes an, dass die Umgehung der Sanktionen in dieser Angelegenheit technisch gesehen äußerst schwierig ist. Zum einen, weil die Tankerrouten – wie schon angemerkt – kaum geheim zu halten sind, wenn die Schiffe etwa in der Barentssee oder im Karischen Meer zu den Terminals von Arctic LNG 2 unterwegs sind. Zudem würden die Sanktionen bereits dann in Kraft treten, wenn ein Tanker einen Hub allein schon ansteuert und nicht einmal mit dem russischen Flüssiggas beladen wurde.
Dies hätte wahrscheinlich zur Folge, dass für Russland deutlich höhere Kosten beim Transport und der Transportversicherung anfallen würden und – was noch wichtiger ist – dass die Anschaffung von weiteren für das Projekt dringend benötigten LNG-Tankern erschwert werden würde. Die Russen hätten bereits zahlreiche Tanker gekauft, heißt es, allerdings reichten die vorhandenen Schiffe nicht aus, um zu gegebener Zeit alle drei LNG-Anlagen vollständig auszulasten.
Nicht zuletzt wird Moskau eine spezielle Finanzstruktur schaffen müssen, so die Experten, die die Abwicklung der Geschäfte trotz der Sanktionen gewährleisten würde. Wie bereits erprobt, könnte dabei ein Unternehmen entstehen, dass alle Verkaufsverträge von Arctic LNG 2 managt, indem es die Anteile des Projekts oder das Endprodukt von ausländischen Aktionären aufkauft und es danach an die Käufer weiterleitet.
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