Von Andrei Maslow und Wsewolod Swiridow
Am 26. Juli 2023 wurde der Präsident der Republik Niger Mohamed Bazoum von seiner Präsidentengarde festgenommen. Die nigrische Armee stellte sich zunächst nicht auf die Seite der Aufständischen, sondern bezog stattdessen Stellung an strategisch wichtigen Einrichtungen in Niamey, der Hauptstadt Nigers, begleitet von öffentlichen Aufrufen, Gewalt zu vermeiden.
In der Nacht zum 26. Juli sprach der Oberst der Luftstreitkräfte Nigers Amadou Abdramane im Fernsehen zur Öffentlichkeit. In einer Erklärung im Namen der Putschisten verkündete er die Absetzung des Präsidenten Bazoum sowie die Gründung des Nationalen Rates für den Schutz des Vaterlandes (französisch: Conseil National pour la Sauvegarde de la Patrie, CNSP) an. Als Hauptgründe für den Putsch nannte er die “sich verschlechternde Sicherheitslage” und die “schlechte Regierungsführung”.
Am 27. Juli wurde auf Twitter über einen inoffiziellen Account der nigerischen Streitkräfte (Forces Armées Nigériennes), der hauptsächlich Kurznachrichten über nigerische Militäroperationen verbreitet, eine Erklärung veröffentlicht. Die vom Stabschef der nigerischen Armee General Abdou Sidikou Issa unterzeichnete Erklärung bekundete die Unterstützung für die “Verteidigungs- und Sicherheitskräfte”, wie sich die Putschisten in Niger nennen. Am Morgen des 28. Juli wurde bekannt, dass Abdourahamane Tchiani, der Kommandeur der nigrischen Präsidentengarde, zum Vorsitzenden des Nationalen Rates für den Schutz des Vaterlandes in Niger ernannt worden war.
Burkina Faso, Guinea und Mali sprachen sich zu Gunsten der neuen Machthaber in Niger aus. Der Staatsstreich wurde jedoch von der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft (ECOWAS), der Afrikanischen Union, den Vereinten Nationen (einschließlich des UN-Sicherheitsrats), von Frankreich, den USA und Russland verurteilt. China kam zu dem Entschluss, gar keine Erklärung abzugeben, während sich die ECOWAS einer sehr harschen Rhetorik bediente. Auf einem außerordentlichen Gipfeltreffen am 30. Juli forderte die ECOWAS die Wiedereinsetzung des gestürzten Präsidenten Bazoum. Sollte dies nicht innerhalb einer Woche geschehen, drohte die Organisation damit, “alle notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um die verfassungsmäßige Ordnung in der Republik Niger wiederherzustellen”.
Die ECOWAS schloss außerdem die Grenzen zwischen ihren Mitgliedsstaaten und Niger. Da die ECOWAS-Mitgliedschaften Malis und Burkina Fasos bereits ausgesetzt wurden, schließt die Entscheidung effektiv die Grenzen Nigers zu zwei Nachbarstaaten – zu Benin und Nigeria. Diese Einschränkung ist möglicherweise deutlich zu spüren, da Niger den Transportkorridor zwischen Niamey und Cotonou, Küstenstadt und Regierungssitz in Benin, für den Export von Urankonzentraten und den Import von Nahrungsmitteln und Energie nutzt. Ein großer Teil des zwischenstaatlichen Handels besteht jedoch traditionell aus Schmuggelware – und es gehen bei Weitem nicht alle Handelsrouten für Schmuggelware durch die offiziellen Kontrollpunkte an den Grenzen. Dies wird wahrscheinlich die tatsächliche Wirkung der Sanktionen gegen Niger abmildern.
ECOWAS richtete außerdem eine Flugverbotszone für alle kommerziellen Flüge von und nach Niger ein, setzte alle Finanztransaktionen zwischen ECOWAS-Staaten und Niger aus und fror alle Vermögenswerte des Landes bei ECOWAS-Banken ein.
Uran
Niger ist ein wichtiger, aber kein zentraler Akteur auf dem weltweiten Uranmarkt. Im Jahr 2022 wurden dort 2.000 Tonnen Uran gefördert. Das entspricht vier Prozent der weltweiten Förderung, und somit liegt Niger weltweit auf Platz sieben der Förderländer, knapp hinter Russland mit 2.500 Tonnen. In den vergangenen Jahren ist die Uranproduktion in Niger stark zurückgegangen, da die Fördermine von Akouta – betrieben von der französischen Firma Orano – ihre Reserven ausgeschöpft hat und schließlich im Jahr 2021 geschlossen wurde. Die größten Uranvorkommen in Niger sind auf vier Kooperationsprojekte aufgeteilt. In drei davon ist Orano der größte Anteilseigner, während zwei chinesische Unternehmen – die staatliche China National Nuclear Corporation (CNNC) und die private Investmentgruppe ZXJOY Invest – das vierte Projekt kontrollieren. Darüber hinaus bestehen Kooperationsprojekte mit der spanischen ENUSA und der südkoreanischen KEPCO. Die Regierung Nigers ist in diesen Kooperationsprojekten durch das staatliche Unternehmen SOPaMin (Société du Patrimoine des Mines du Niger) vertreten.
Für Niger ist der Export von Uran die wichtigste Einnahme- und Devisenquelle. Die Uranexporte belaufen sich jährlich auf einen Wert von etwa 200 Millionen US-Dollar, was rund 30 Prozent des gesamten Exportwerts Nigers entspricht. Der Großteil davon wird nach Frankreich verschifft, in manchen Jahren sogar bis zu 100 Prozent, während einige Exportlieferungen auch nach Kanada, Spanien und Japan gehen.
Neben Russland, Kasachstan und Kanada ist Niger damit für Frankreich ein wichtiger Lieferant von Urankonzentrat und deckt etwa 25 Prozent des französischen Bedarfs, der bei rund 8.000 Tonnen pro Jahr liegt. Am 31. Juli berichteten die Medien, dass Niger die Uran- und Goldexporte nach Frankreich eingestellt habe. Die Entscheidung der Rebellen, wenn diese tatsächlich so getroffen wurde, war eine politische Geste, denn bei geschlossenen Grenzen sind Exporte technisch ohnehin unmöglich, da Niger keinen eigenen Zugang zum Meer hat. Sollte die Grenze zu Benin durch die Entscheidung der ECOWAS geschlossen werden, kostet eine Neuorientierung der Exporte Zeit, Aufwand und erfordert internationale Verhandlungen.
Einerseits droht Frankreich die Aussicht, dass es bis zu einem Viertel seiner Uranimporte verlieren könnte, was die anhaltende Energieproblematik verschärft – eine Situation, die bereits durch die anhaltende Energiekrise, die ganz Europa erfasst hat, verschärft wurde. Andererseits werden die Rebellen Schwierigkeiten haben, einen alternativen Markt für die etwa 2.000 Tonnen Uran zu finden. Theoretisch könnten sich russische oder chinesische Unternehmen bereit erklären, diese Mengen an Urankonzentrat zu kaufen, Russland verbraucht etwa 6.000 Tonnen pro Jahr. Dies würde jedoch erhebliche Investitionen in die Logistik und in die Sicherung der Uranminen erfordern, und vor allem müssten die Nachbarländer den Transport dieser Exporte durch ihr jeweiliges Hoheitsgebiet zulassen.
Wenn es den Rebellen gelingt, an der Macht zu bleiben und eine Einigung mit Paris zu erzielen, könnte Frankreich seinen Einfluss in der ECOWAS nutzen, um über eine Lockerung der Sanktionen zu verhandeln. Beispielsweise könnten Uranexporte und Lieferungen von Bergbauausrüstung von den Sanktionen ausgenommen werden. Dies ist eine ziemlich gängige Praxis – die Sanktionen gegen Mali etwa wurden dahingehend angepasst, um dort Nahrungsmittel- und Energieimporte zu ermöglichen.
Bevölkerung
Als Niger seine Unabhängigkeit erklärte, hatte das Land weniger als 3,5 Millionen Einwohner. In den folgenden 60 Jahren erreichte die Bevölkerungszahl 25 Millionen. Heute ist Niger nicht nur ein wichtiger Uranlieferant, sondern auch ein großer potentieller Verbrauchermarkt. Niger importiert jährlich Waren im Wert von 3,5 Milliarden US-Dollar, hauptsächlich Getreide. In Bezug auf die Bevölkerungszahl hat es seinen Nachbarn Mali überflügelt, ein Land in etwa gleicher Größe und in derselben geografischen Lage zwischen der Sahara-Wüste und der Sahelzone. Während sich die Bevölkerung Malis in den Jahren seit der Unabhängigkeit lediglich vervierfachte, wuchs die Bevölkerung Nigers fast auf das Achtfache. Bezeichnend ist auch, dass Niger bei der Fertilitätsrate weltweit führend ist und Somalia und den Tschad hinter sich lässt. In Niger bringt eine Frau durchschnittlich sieben Kinder zur Welt. Dies hängt damit zusammen, dass die Bevölkerung Nigers nach wie vor größtenteils (zu 83 Prozent) auf dem Land lebt – und zwar zudem in extremer Armut. Unter diesen Umständen ist eine hohe Geburtenrate die Existenzsicherung für eine Gemeinschaft oder eine Großfamilie.
Die Auswirkungen des Putsches in Afrika
Über drei Millionen Quadratkilometer Fläche und 82 Millionen Menschen in den Ländern der ECOWAS leben derzeit unter Sanktionen. Die meisten Gebiete, die zur ECOWAS gehören – ihre Gesamtfläche beträgt 5,2 Millionen Quadratkilometer – sind kein vollwertiger Teil der Organisation mehr, die nun in zwei Teile aufgespalten ist, in Übereinstimmung mit den historischen Regionen, die Afrika-Experten traditionell Westafrika nennen – also Guinea einschließlich der westafrikanischen Küstengebiete von Senegal bis Kamerun und Westsudan als Teil der Sahara/Sahel-Region. Tatsächlich ist die ECOWAS in zwei Lager gespalten. Ein Lager wird durch die vier Länder repräsentiert, die Staatsstreiche durchgemacht haben: Mali im Jahr 2020 und 2021; Guinea im Jahr 2021 und Burkina Faso im Jahr 2022, während das gegnerische Lager Nigeria, Ghana, Elfenbeinküste und Senegal umfasst.
Die ECOWAS war schon immer eine ziemlich heterogene, vielfältige Organisation, deren Bevölkerung sowohl nach Religionszugehörigkeit – Christentum gegenüber Islam – als auch nach Sprachzugehörigkeit – Englisch gegenüber Französisch – gespalten ist. Außerdem gibt es innerhalb der ECOWAS zwei Währungsvereinbarungen: zum einen die WAEMU, die Westafrikanische Wirtschafts- und Währungsunion, die ehemalige französische Kolonien in Afrika vereint und auch als die französisch dominierte CFA-Franc-Zone bekannt ist, sowie zum anderen die WAMZ, die Westafrikanische Währungszone, die vorhat, innerhalb der ECOWAS eine eigene, einheitliche Währung einzuführen – den Eco.
Darüber hinaus besteht keine Einigkeit unter den Mitgliedstaaten der ECOWAS. Nigeria ist der Wirtschaftsmotor in ganz Afrika, ein offensichtlicher regionaler Hegemon, der als einstiger Vordenker der Idee der ECOWAS gilt. Nigerias Potenzial und seine Fähigkeiten schüchtern andere regionale Akteure ein, was wiederum von externen Akteuren geschickt ausgenutzt wird. Bis vor Kurzem nutzte Frankreich seine Verbindungen zu den Ländern der Region, um Druck auf Nigeria auszuüben, auch auf der Ebene der ECOWAS. Der wirtschaftliche Protektionismus Nigerias verärgerte jedoch die Europäische Union und stellte ein großes Hindernis für ein Handelsabkommen zwischen Westafrika und den übrigen Europäern dar. Das war der Grund, weshalb man in Brüssel separate Abkommen mit Ghana und der Elfenbeinküste unterzeichnete, um diese beiden Länder als Eintrittspforten in den regionalen Markt der ECOWAS zu nutzen und dabei Nigeria außen vor zu lassen.
Zufälligerweise wurde der nigerianische Präsident Bola Tinubu am 10. Juli 2023 zum nächsten Vorsitzenden der ECOWAS gewählt. Nun bietet Nigeria die Krise in Niger (als Nigerias nördlicher Nachbar, der mit den gleichen Problemen wie Radikalismus, Wüstenbildung und Klimawandel konfrontiert ist) eine Gelegenheit, sich auf eine Position der Stärke zu verlegen, seinen Einfluss in der Region auszubauen und zu einem wichtigen Akteur bei der Lösung regionaler Probleme zu werden, indem es aus dem schwindenden Einfluss Frankreichs Kapital schlägt. Denn es ist alles andere als gesichert, dass Nigeria dieses Spiel auf derselben Seite wie Frankreich spielen wird. Wir sollten nicht übersehen, dass Nigerias neuer Präsident Tinubu, obwohl im Süden des Landes geboren, Muslim ist und im Norden solide Unterstützung genießt.
Die weltweiten Reaktionen auf die Krise in Niger
Russland hat den Putsch offiziell verurteilt, eine natürliche, konsequente Haltung, die nichts mit eventuellen Sympathien in Moskau für das Regime des abgesetzten Präsidenten Mohamed Bazoum zu tun hat, nachdem sich ohnehin dessen Regierung entschieden hatte, nicht am zweiten Russland-Afrika-Gipfel teilzunehmen, und sich bei dieser Entscheidung vor allem an den USA und Frankreich orientierte. Damit erinnert Russland nicht nur an den Putsch in der Ukraine im Jahr 2014, sondern unterstützt auch die Afrikanische Union in ihrer Null-Toleranz-Politik gegenüber Putschversuchen.
Äußerungen Jewgeni Prigoshins als Chef der Gruppe Wagner zur Unterstützung des Putsches sollten nicht allzu ernst genommen werden. Ohne die Unterstützung durch den Kreml sind die Ressourcen von Prigoshin in Afrika dürftig. Er hat bereits in der Vergangenheit versucht, mächtiger zu wirken, als er wirklich ist, und dabei unter anderem auf gesteuerte Indiskretionen der russischen Opposition und europäischer Medien zurückgegriffen. Daher sind alle Gerüchte über seine Beteiligung am politischen Prozess in Niger mit Vorsicht zu genießen. Das Vertrauen und die Unterstützung Moskaus sind für ihn jedenfalls nicht mehr vorhanden, und ohne Moskau im Rücken hat Prigoshin in Afrika kaum noch Gewicht.
Wie sich die Ereignisse in Niger entwickeln werden, ist schwer vorherzusagen. Mögliche Szenarien sind Gegenputsche und Versuche des Westens, sich mit dem Militär in Niger zu einigen, mit dem Ziel, diese von allem abzuhalten, was den wirtschaftlichen Interessen Frankreichs und der USA zuwiderläuft. Eine bewaffnete Intervention der ECOWAS ist angesichts der nicht vorhandenen Bereitschaft ihrer regionalen Interventionskräfte und wegen des Mangels an Ressourcen weniger wahrscheinlich.
Eine militärische Beteiligung Frankreichs oder der USA ist ebenso unwahrscheinlich, da westliche Länder in anderen Teilen der Welt – etwa in Osteuropa, im Indischen Ozean oder im Südchinesischen Meer – weitaus höhere Prioritäten setzen. Ein Putsch in Niger kann den Westen nicht dazu bringen, seine konsequente Politik der Reduzierung seiner Beteiligung an regionalen Konflikten im Nahen Osten und in Afrika aufzugeben.
Gleichzeitig können wir nicht ausschließen, dass Frankreich und die USA unabhängig voneinander agieren. Die Serie antifranzösischer Putschversuche in Afrika spielt den USA faktisch in die Hände, wohingegen China – das oft großzügig die versteckten Höflichkeiten Frankreichs in Afrika entgegennimmt, wenn Paris um Pekings Unterstützung bittet – möglicherweise verlieren wird. Die USA könnten die Situation für ihre Interessen nutzen und das neue Militärregime Nigers in eine abhängige Position bringen und es dann mit Sanktionen erdrosseln, nach einem ähnlichen Modell, wie es bereits im Fall Sudan erfolgte.
Russlands langfristiges Interesse besteht darin, das Gewicht und den Einfluss der lokalen Machtzentren zu erhöhen, zu denen nicht nur Nigeria gehört, sondern auch Algerien als ein langjähriger strategischer Partner Russlands, der die Entwicklungen entlang seiner südlichen Grenzen genau beobachtet. Es liegt im Interesse Algeriens und Nigerias, eine Internationalisierung dieser Krise zu verhindern und sie selbst zu lösen, ohne die Beteiligung der USA, Frankreichs und anderer Akteure. Russland könnte in dieser Krise eine stabilisierende Rolle spielen, wenn es seine freundschaftlichen Beziehungen zu den Staatsoberhäuptern von Burkina Faso und Mali nutzt, deren Unterstützung wahrscheinlich von ihren Amtskollegen in Niger gesucht wird.
Übersetzt aus dem in Englischen
Andrei Maslow ist Direktor des Zentrums für Afrikastudien der Höheren Schule für Wirtschaft in Moskau. Wsewolod Swiridow ist Experte am Zentrum für Afrikastudien.
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