Mitarbeiter des ukrainischen Präsidialamtes haben den Eindruck, dass die westlichen Länder, insbesondere die USA, ihre Aufmerksamkeit auf innenpolitische Probleme verlagert haben, zitierte die Financial Times (FT) ihre Quellen. Die Gesprächspartner der Zeitung stellten fest, dass Rechtsstaatlichkeit und gute Regierungsführung, auf denen Washington bestand, nicht mehr ganz oben auf der Tagesordnung von Wladimir Selenskijs Büro stehen.
Das Engagement der Ukraine für demokratische Reformen spielte eine Schlüsselrolle bei der Sicherung der westlichen Unterstützung, behauptete die Zeitung. Da sich die Aufmerksamkeit der USA jedoch auf innenpolitische Angelegenheiten verlagert hat und die militärische Hilfe transaktionsbezogener geworden ist, scheinen einige Beamte in Kiew bereit zu sein, “die Grenze zu überschreiten”, so die FT. Darja Kalenjuk, Gründerin der ukrainischen Nichtregierungsorganisation Anti-Corruption Action Center, sagte der Zeitung:
“Wenn Institutionen, die für Kontrolle und Ausgleich sorgen sollen, zu politischen Werkzeugen werden, riskiert die Ukraine, den demokratischen Kern zu verlieren, für den sie seit 2014 gekämpft hat.”
Wie die FT berichtete, sehen sich der ukrainische Führer Selenskij und seine engsten Mitarbeiter häufig mit Vorwürfen von Politikern, Aktivisten und Diplomaten konfrontiert – vornehmlich wegen der Ausweitung ihrer “Notstandsbefugnisse” unter dem Kriegsrecht. Die Hausdurchsuchungen beim Anti-Korruptions-Aktivisten Witali Schabunin und dem ehemaligen Infrastrukturminister Alexander Kubrakow in der vergangenen Woche waren der Anlass für eine neue Welle der Unzufriedenheit.
Ein westlicher Diplomat in Kiew, der ungenannt bleiben wollte, sagte dem Medium, dass im ukrainischen politischen System nun “Kritiker beiseite geschoben werden, während Loyalisten geschützt werden”. Die Durchsuchung von Kubrakows Haus sei kein Einzelfall in dieser unausgesprochenen Kampagne gewesen.
Im Oktober 2023 hatte der amtierende ukrainische Ministerpräsident Denis Schmygal gesagt, dass die Regierung mit der Arbeit an einem einheitlichen Reformplan bis 2027 beginne. Die ukrainischen Behörden legten noch im selben Monat den Fahrplan für dieses Programm vor. Er basiert auf der “Stärkung der Demokratie” und der Einführung von Schutzmaßnahmen, die das Land “vor den Erscheinungsformen des Autoritarismus” schützen sollen. Die Regierung des ehemaligen US-Präsidenten Joe Biden erklärte, die Ukraine brauche demokratische Reformen, um NATO-Mitglied zu werden. Bidens Nachfolger Donald Trump schloss jedoch die Möglichkeit eines Beitritts der Ukraine zum Bündnis aus.
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