Von Tom J. Wellbrock
Kürzlich war ich wegen einer Überweisung bei meinem Hausarzt. Wir kennen uns schon lange, duzen uns, das Verhältnis war immer recht gut. Auch Corona änderte daran nur wenig, wenngleich wir durchaus unterschiedlicher Ansicht in einigen Punkten waren. Doch was damals noch funktionierte – der kurze Austausch unterschiedlicher Ansichten –, ist nun ganz offensichtlich vorbei. Mein Hausarzt hat mich aus der Praxis geworfen.
Das Ende eines Arztbesuchs
Wir sprachen an jenem Tag über die Ukraine, ich weiß gar nicht mehr, wie wir darauf kamen. Irgendwie dreht sich ja heute alles um die Ukraine, man merkt gar nicht mehr, wie man plötzlich bei diesem Thema landet. Im Laufe des kurzen Gesprächs (Ärzte haben bekanntlich nie Zeit, Gruß ans Gesundheitssystem!) fiel von meinem Hausarzt eine Gleichsetzung von Hitler und Putin. Ich entgegnete:
“Aber du willst jetzt nicht ernsthaft Putin mit Hitler vergleichen, oder?”
Und dann ging es los.
Selbstverständlich könne man die beiden gleichsetzen, polterte mein Hausarzt. Er sprach von Massakern, Vergewaltigungen, dem völkerrechtswidrigen und aggressiven Einmarsch in ein wehrloses Land. Ich hörte schockiert zu, brachte zwischendurch nur ein “Mein Gott, was redest du da?” heraus, bis ich dem Redeschwall eine Unterbrechung dazwischenschob und darauf hinwies, dass der Krieg in der Ukraine bereits seit 2014 von Kiew geführt wird und Russland bis zum Dezember 2021 vergeblich versucht hat, eine friedliche Lösung zu erreichen.
Doch mein Arzt war wie von Sinnen. In Russland, wechselte er unerwartet das Thema, werde jeder eingesperrt, der eine abweichende Meinung habe. Ich solle froh sein, dass hier, in Deutschland, jeder seine Meinung sagen und arbeiten könne, was er wolle.
“Ja”, sagte ich, “wenn man eine Meinung hat wie deine.”
Er wurde immer lauter, er war jetzt wieder bei der Ukraine, dem “überfallenen Land, das niemandem etwas getan” habe. Erneut wies ich auf den durch Kiew im Frühjahr 2014 vom Zaune gebrochenen Krieg hin und fragte den Mediziner, ob er von den 14.000 Toten wisse, die durch die West-Ukraine im Osten des Landes getötet wurden.
Das könnten nur brutale russische Separatisten gewesen sein, fauchte er mich an. Die Zahlen seien von der UNO bestätigt, sagte ich und fragte erneut, ob er von diesen vielen Toten wisse.
Nein, antwortete er, er werde sich das ansehen, aber die UNO wisse auch nicht immer, was der Wahrheit entspricht.
“Du behauptest also, die UNO-Zahlen sind falsch?”,
wollte ich wissen, und er entgegnete, dass er sich das vorstellen könne. Er werde das aber überprüfen. Ob er das wirklich tut, wage ich zu bezweifeln.
Der Mediziner war plötzlich Geopolitiker, Geschichtswissenschaftler und Völkerrechtler in einem und referierte über Russlands Kriege in Tschetschenien und Syrien. Ein Schlächter sei Putin, er habe Syrien kaputtgebombt.
Woher er seine Informationen habe, wollte ich wissen und tippte auf Tagesschau, das heute-Journal und den Spiegel. Ja, genau, so sei es, pöbelte er zurück (ja, er pöbelte). Er wisse also genau Bescheid, meinte er allen Ernstes.
Zwischendurch musste ich nachfragen, weil ich etwas verstanden zu haben glaubte, dessen ich mich vergewissern wollte:
“Hast du eigentlich eben zu mir gesagt, ich solle mich verpissen?”
Er antwortete nicht, wich aus. Ich vermute also, ich habe mich nicht verhört und er hat diese Worte tatsächlich gebraucht.
Ich wollte ihm noch sagen, dass in Syrien Russland das einzige Land war, das sich damals völkerrechtskonform verhalten hat, weil es offiziell von der syrischen Führung um Hilfe gebeten wurde. Er war aber schon aufgestanden, hatte die Praxistür geöffnet und rief in meine Richtung, dass er sich mein Gerede nicht mehr länger anhöre.
Damit war mein Praxisbesuch beendet.
Zeichen von Dummheit
Mein Hausarzt ist ein kluger Mann. Aber er verlässt sich als Informationsquelle auf das, was ihm vom Mainstream angeboten wird. Für mich war dieses Gespräch (um es neutral zu formulieren) ein Beleg für die Wirksamkeit der Manipulation. Der Mann war regelrecht außer sich, als ich ihn mit meiner Perspektive konfrontierte. Und das war aus seinem Informationsstand heraus nur folgerichtig. Er musste geradezu wütend auf mich sein, stellte ich doch alles in Frage, was er als gesetzt bezeichnet.
Ich war schockiert über die Vehemenz und die Aggressivität, die mein Hausarzt an den Tag legte, bin normalerweise selbst nicht “auf den Mund gefallen”, aber ich brauchte einen Moment, bis ich überhaupt etwas entgegensetzen konnte. Der Mann hat mich völlig kalt erwischt, ich hatte mit dieser Form der Auseinandersetzung und Beschimpfung einfach nicht gerechnet.
Was aber viel entscheidender ist: Dieser Moment, dieses Aufeinandertreffen zweier konträrer Meinungen zeigt mir, dass die Wirkung des Mainstreams weit schlimmer ist als ich gehofft hatte. In den verschiedenen Bubbles der sozialen Medien sehe ich immer wieder, wie kritisch die deutsche Politik wahrgenommen wird. Doch die Beeinflussung findet im “echten” Leben statt, in Arztpraxen, Supermärkten, in Büros, auf Sportplätzen, Fitness-Studios usw. Dort wird die kollektive Meinung geprägt, dort breitet sie sich aus und wird in der Kommunikation miteinander verstärkt und verfestigt.
Der Grad fehlender Informationen bei meinem Hausarzt ist erschreckend, und dabei geht es nicht darum, dass er meiner Sichtweise folgen soll. Das große Problem ist die Folgsamkeit und die Leichtgläubigkeit, mit der er mir vorbetete, was ich täglich im Mainstream lese und höre. Nichts von dem, was er sagte, hatte einen Mehrwert, man könnte auch einem Tagesschausprecher zuhören oder einen Artikel bei t-online lesen. Es waren also keine Argumente, auf deren Grundlage wir uns hätten unterhalten oder auch streiten können. Es waren allabendlich aufgenommene Textbausteine, die gedankenlos und unhinterfragt weitergegeben werden.
Und es war die unumstößliche Gegenwehr meines Hausarztes gegenüber meinen Versuchen, etwas anderes als das, was er kennt, anzusprechen. Selbst die UNO war er bereit, als Institution der Falschmeldungen auszumachen, weil sie die Zahlen der gestorbenen Menschen in der Ost-Ukraine bestätigt hatte.
Erschrocken über die drastische Haltung meines Hausarztes war ich gezwungen, mir seine Sicht auf die Dinge eine gewisse Weile anzuhören. Das war insofern gut, als man schlecht ein Argument entkräften kann, das man sich nicht zuvor auch aufmerksam angehört hat. Doch es funktionierte eben nicht in beide Richtungen. Ich konnte keinen einzigen Satz bis zum Ende aussprechen, ohne dass der Arzt mich laut und erbarmungslos unterbrochen hätte. Er wollte nichts von dem, was ich zu sagen hatte, hören, er schlug auf alles drauf, was ich ihm versuchte, anzubieten.
Ich hätte auch mit Strack-Zimmermann, Kiesewetter oder Hofreiter sprechen können, es hätte keinerlei Unterschied gemacht. Das zeigt einmal mehr die ungeheure Gefahr, die von den Kriegstreibern in Politik und Medien ausgeht. Während sich zahlreiche Bubbles im Netz über diese Hetzer aufregen und sie auch enttarnen, sieht es in der sogenannten analogen Welt anders aus. Dort funktioniert die Manipulation der Massen durch Medien, Wissenschaft und Politik wie geschmiert.
Es ist ganz sicher eine nicht zu unterschätzende Gruppe von Menschen, die sich ähnlich informiert wie mein Hausarzt. Da sie keinen Mangel an Informationen erkennt, kann sie nur so argumentieren, wie sie es tut, die Beeinflussung ist als gefühlte Wahrheit längst in ihren Köpfen und Herzen angekommen. Und wer der Meinung ist, auf dem richtigen Weg zu sein, sieht naturgemäß keine Notwendigkeit, andere Pfade auch nur zu betreten.
Fazit
Der Besuch bei meinem Hausarzt hat mich um einen weiteren Faktor desillusioniert. Die Propaganda wirkt besser denn je, sie ist tief in den Menschen verankert (worden). Das Schlimme daran ist die Leichtgläubigkeit so vieler, die sich einfach darauf verlassen, dass man ihnen die Wahrheit sagt.
Nicht weniger schlimm war im konkreten Fall die Aggressivität, die mir entgegenschlug. In diesem Moment war ich in der Arztpraxis das, was wir täglich in den Medien erleben: Ein Feindbild, ein Putin-Troll, ein gefährlicher Demokratiefeind. Auf solche Leute muss man keine Rücksicht nehmen, man kann sie beschimpfen, beleidigen, anbrüllen. Auch hier hätte die Art und Weise der Angriffe durch den Arzt von einem besonders schlimmen Schreiber von t-online oder dem Spiegel stammen können. Es ist, wie es schon damals während Corona war, nur heftiger. Die “falsche” Meinung ist nicht schutzbedürftig, ihr gegenüber gibt es keine Regeln des menschlichen Zusammenlebens, sie, die sie aussprechen, sind im Grunde Abschaum, auf den man keinerlei Rücksicht nehmen muss.
Dumm sind jedoch wohl die wenigsten der Menschen, die ohne Skrupel auf Andersdenkende eindreschen. Im Gegenteil, oft sind sie äußerst klug.
Nicht der naive Umgang mit Informationen ist ein Beleg für Dummheit. Es ist vielmehr die kategorische Weigerung, die eigene Naivität bei der Informationsgewinnung als eine denkbare Möglichkeit in Betracht zu ziehen.
Tom J. Wellbrock ist Journalist, Sprecher, Texter, Podcaster, Moderator und Mitherausgeber des Blogs neulandrebellen.
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