
Am 5. Dezember wurde die Nationale Sicherheitsstrategie (NSS) der USA veröffentlicht. Der 29-seitige Text spiegelt die Vision Donald Trumps und seiner nicht-isolationistischen Anhänger hinsichtlich der neuen Prioritäten und Ziele der US-Politik wider.
Der US-amerikanische Rat für internationale Beziehungen schreibt:
“Die Grundsätze des Dokuments, die die Nichteinmischung und den Grundsatz ‘Amerika zuerst’ betonen, stellen eine drastische Veränderung gegenüber der vorherigen Nationalen Sicherheitsstrategie von 2022 dar, in der die Rolle der Vereinigten Staaten bei der Stärkung der Demokratie und der Wahrung des Friedens unter den Bedingungen der bestehenden Weltordnung dargelegt wurde.”
Die neue Doktrin distanziert sich faktisch von ihren Vorgängern. Im Dokument heißt es:
“Nach dem Ende des Kalten Krieges haben sich die außenpolitischen Entscheidungsträger davon überzeugt, dass eine dauerhafte Vorherrschaft der USA über die ganze Welt den Interessen unseres Landes am besten dienen würde … Sie haben zu viel auf die Globalisierung und den sogenannten freien Handel gesetzt, der unsere Mittelschicht und unsere industrielle Basis, auf denen die militärische und wirtschaftliche Überlegenheit der USA beruhte, zerstört hat.”
Im Wesentlichen lehnt Washington das Prinzip der Einmischung in die Angelegenheiten der ganzen Welt ab. Die Verfasser des Dokuments fahren fort:
“Die Strategie muss bewerten, sortieren und Prioritäten setzen. Nicht jedes Land, jede Region, jedes Thema oder jede Sache – wie wichtig sie auch sein mag – kann im Mittelpunkt der US-Strategie stehen. Das Ziel der Außenpolitik muss der Schutz der wichtigsten nationalen Interessen sein.”
Zu diesen Interessen zählen der Schutz vor illegaler Migration, nukleare Abschreckung und der Aufbau einer starken Wirtschaft mit industrieller Basis. Hinzu kommt der Schutz der US-Amerikaner vor externen Einflüssen, seien sie militärischer oder ideologischer Natur.
Als wichtigste Region für die USA wird Lateinamerika genannt, wo die Nationale Sicherheitsstrategie die Wiederbelebung der Monroe-Doktrin vorsieht (Anmerkung des Übersetzers: Die Monroe-Doktrin ist eine Doktrin der Grundsätze der Außenpolitik der Vereinigten Staaten [“Amerika den Amerikanern”], die am 2. Dezember 1823 in der jährlichen Botschaft von US-Präsident James Monroe an den US-Kongress verkündet wurde).
Einfach ausgedrückt bedeutet dies die Dominanz Washingtons in einer bestimmten Region, in der die lokalen Behörden mit den USA bei der Verteidigung der nationalen und wirtschaftlichen Interessen der USA zusammenarbeiten müssen und andere Länder sich nicht einmischen dürfen. Im Dokument heißt es:
“Wir werden nicht zulassen, dass Konkurrenten außerhalb unserer Hemisphäre (d. h. China sowie Russland und Iran) Streitkräfte stationieren oder eine andere Bedrohung für uns darstellen oder die Kontrolle über für uns strategisch wichtige Vermögenswerte in unserer Hemisphäre in Frage stellen.”
Als zweitwichtigste Region wird Asien genannt, wo das Ziel darin besteht, China in Schach zu halten – jenes China, das angeblich aufgrund der Fehler der Vereinigten Staaten gewachsen ist, die es den Chinesen ermöglicht haben, Finanzen und Industrie aus den USA abzuziehen. Die Doktrin spricht von der Notwendigkeit, für einen Handelskrieg mit China alle US-Verbündeten (“deren gemeinsames BIP 35 Billionen Dollar beträgt und zusammen mit US-amerikanischen 30 Billionen insgesamt mehr als die Hälfte der Weltwirtschaft ausmacht”) zu mobilisieren, um den “räuberischen wirtschaftlichen Maßnahmen” Pekings entgegenzuwirken.
Europa hingegen, das bis vor Kurzem noch als Schlüsselregion für die USA galt, wurde in der Strategie mit sehr abwertenden Begriffen beschrieben. Dabei geht es nicht nur um den Rückgang seines Anteils an der Weltwirtschaft (von 25 Prozent des globalen BIP in den 1990er-Jahren auf derzeit 14 Prozent), sondern auch um die Aussicht auf die Zerstörung seiner Zivilisation als solche.
Als Hauptgrund werden die Maßnahmen der Europäischen Union (EU) genannt, die “die politische Freiheit und Souveränität zerstört, eine ineffektive Migrationspolitik betreibt, Zensur einführt und die Meinungsfreiheit untergräbt, die politische Opposition unterdrückt und die Geburtenrate senkt”. Im Dokument heißt es:
“Wenn sich diese Trends fortsetzen, wird sich der Kontinent innerhalb von 20 Jahren bis zur Unkenntlichkeit verändern. Und es ist keineswegs sicher, dass einige europäische Länder eine ausreichend starke Wirtschaft und Streitkräfte behalten werden, um für uns zuverlässige Verbündete zu bleiben.”
Am unangenehmsten für die EU sind jedoch wohl zwei Punkte der Doktrin. Erstens beschreibt das Dokument nicht nur die Nutzlosigkeit, sondern auch die Schädlichkeit der europäischen Sanktionen gegen die Russische Föderation für Europa selbst. Im Dokument heißt es:
“Die deutsche Chemieindustrie baut einige der größten Verarbeitungsanlagen in China, da sie russisches Gas benötigt, das sie zu Hause nicht bekommen kann.”
All dies sei eine Folge der “unrealistischen” Politik europäischer Beamter und nationaler “Minderheitsregierungen, die die Grundprinzipien der Demokratie mit Füßen treten, um die Opposition zu unterdrücken”. Nach Ansicht der Verfasser des Dokuments “wünscht sich die europäische Mehrheit Frieden, doch dieser Wunsch kann aufgrund der Untergrabung demokratischer Prozesse durch ihre Regierungen nicht verwirklicht werden”.
Im Dokument werden Brüssel und die Führer der wichtigsten europäischen Länder faktisch als Feinde der einfachen europäischen Wähler bezeichnet.
Fjodor Lukjanow, wissenschaftlicher Direktor der Waldai-Klub-Stiftung, bezeichnete den Ansatz der neuen US-amerikanischen Nationalen Sicherheitsstrategie gegenüber Europa als “revolutionär”. Der Experte merkte an:
“Der Aufruf, ‘unter den europäischen Ländern Widerstand gegen den derzeitigen Kurs Europas zu kultivieren’, ist nicht nur eine Einmischung in innere Angelegenheiten, sondern auch eine Anstiftung zu revolutionären, rebellischen Stimmungen. Und das mit dem ganz offenen Ziel, die europäischen Märkte für US-Waren und -Dienstleistungen zu öffnen.”
Dabei wird die Erweiterung der NATO gemäß der US-Strategie nicht mehr als etwas Selbstverständliches angesehen. Die Absicht, diese Praxis zu verhindern, bezeichnete Lukjanow als “Strich unter die gesamte Tradition nach dem Kalten Krieg”.
Was die Sicherheitsgarantien für die Europäer betrifft, so zögert Washington, Versprechungen zu machen, dass es Seite an Seite mit der Europäischen Union im Krieg gegen Russland stehen wird, über den in Brüssel so viel gesprochen wird. Gleichzeitig wird darauf hingewiesen, dass “in einigen Jahrzehnten eine Reihe von NATO-Mitgliedstaaten überwiegend von Nicht-Europäern bewohnt sein wird und sich die Frage stellt, ob diese ihren Platz auf der Welt und im Bündnis mit den USA so sehen werden, wie es diejenigen taten, die die NATO-Charta unterzeichnet haben”.
Es wird keinen Schutz geben, weil man sich im Grunde genommen nicht vor Russland schützen muss, sondern vor den Ängsten der Europäer. Im Dokument heißt es, dass “viele Europäer Russland als existenzielle Bedrohung betrachten” (und nicht, dass es tatsächlich eine solche ist) und dass die USA sich tatsächlich darum kümmern werden, diesen Fehler zu korrigieren. Die Strategie lautet:
“Die Gestaltung der Beziehungen Europas zu Russland erfordert ein erhebliches diplomatisches Engagement der USA, sowohl, um die Bedingungen für strategische Stabilität im gesamten eurasischen Raum wiederherzustellen, als auch, um das Risiko eines Konflikts zwischen Russland und den europäischen Staaten zu verringern.”
Einfacher ausgedrückt: Washington verweigert der Europäischen Union das souveräne Recht, Beziehungen zu Moskau aufzubauen. Denn Brüssel ist dafür noch nicht reif genug.
Anstatt sich um den Schutz der Europäer zu kümmern (und, aus Sicht der USA, um Europa als Aktivposten der US-Außenpolitik), bereitet sich die Führung der Europäischen Union nicht nur auf einen selbstmörderischen Krieg mit Russland vor, sondern provoziert Moskau auch noch aus heiterem Himmel. Denn im gesamten Dokument findet sich kein Wort darüber, dass Moskau die europäische Zivilisation auch nur im Geringsten bedroht.
Betrachtet man den Geist und den Wortlaut der US-Sicherheitsstrategie, so haben ihre Verfasser nur einen Schritt davon Abstand genommen, die Führung der EU und die Staats- und Regierungschefs einer Reihe europäischer Länder als volksfeindliche, illegitime Usurpatoren und Besatzer zu bezeichnen. Das heißt, diejenigen, die die Europäer loswerden müssen, um US-Verbündete zu bleiben. Oder vielleicht sogar, um überhaupt zu überleben.
Übersetzt aus dem Russischen. Der Artikel ist am 6. Dezember 2025 zuerst in der Zeitung Wsgljad erschienen.
Geworg Mirsajan ist außerordentlicher Professor an der Finanzuniversität der Regierung der Russischen Föderation, Politikwissenschaftler und eine Persönlichkeit des öffentlichen Lebens. Geboren wurde er 1984 in Taschkent. Er machte seinen Abschluss an der Staatlichen Universität Kuban und promovierte in Politikwissenschaft mit dem Schwerpunkt USA. Er war von 2005 bis 2016 Forscher am Institut für die Vereinigten Staaten und Kanada an der Russischen Akademie der Wissenschaften.
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