Von Kirill Strelnikow
Vor einigen Tagen tobte in den US-Medien ein kleines Armageddon: Die größten Rüstungsunternehmen des Landes lehnten den Abschluss neuer Verträge mit dem US-Verteidigungsministerium rundweg ab. Nach Angaben von Vertretern von Boeing, Lockheed-Martin, Raytheon und Northrop Grumman gehen sie im unermüdlichen Einsatz, die USA gegen die Russen und Chinesen zu verteidigen, bereits auf dem letzten Zahnfleisch. Statt wenigstens einen kleinen Gewinn zu erzielen, machen sie nur noch Totalverluste. Sagten sie.
Wie sich bald herausstellte, ist das alles den sogenannten Festverträgen geschuldet, bei denen ein militärischer Auftragnehmer zusätzliche Kosten selbst trägt, wenn sie über den vom Pentagon genehmigten Kostenvoranschlag hinausgehen.
Die Boeing Corporation knallte mit dem Ausdruck gerechter Empörung Berechnungen auf den Tisch, wonach sie beim Projekt des Super-Duper-Tankflugzeugs KC-46 fast zehn Milliarden Dollar Verlust gemacht habe, wobei sie ursprünglich mit fünf Milliarden Dollar Gewinn gerechnet hatte. Northrop Grumman seinerseits meldete einen Verlust von 1,2 Milliarden Dollar bei seinem Programm des strategischen Bombers B-21 Raider der sechsten Generation. Auch andere große Auftragnehmer gaben sich verärgert und taten so, als seien sie bereit, die Tür laut zuzuschlagen und die armen USA den Horden von Wladimir Putin und Xi Jinping schutzlos zu überlassen.
Das Pentagon wandte sich händeringend an das Weiße Haus und den Kongress, was zur sofortigen Entwicklung der “allerersten” nationalen Strategie für die Verteidigungsindustrie führte. Ihren Entwicklern zufolge wurde sie geschaffen, damit niemand mehr die US-Regierung erpressen kann, damit alle militärischen Auftragnehmer an einem Strang ziehen, damit jede Grille ihren eigenen Schuh kennt und damit der Hut auf dem Kopf sitzt.
Die US-Öffentlichkeit atmete erleichtert auf: Endlich waren diese unersättlichen Vampire des militärisch-industriellen Komplexes (MIK) auf ihren Platz verwiesen worden. Doch als diejenigen, die die Muße hatten, die fünfzig Seiten der bahnbrechenden Strategie durchblätterten, stellte sich heraus, dass das strenge Auf-den-Platz-Verweisen des MIK in Plänen zum Ausdruck kam, die Steuern für die führenden militärischen Auftragnehmer des Pentagon im Eilverfahren zu senken, “unnötige” Kontrollen abzuschaffen, sich auf langfristige Verträge zu konzentrieren und vor allem die Beziehungen zwischen dem Pentagon und seinen Auftragnehmern “berechenbarer und flexibler” zu gestalten. Im Klartext: In Zukunft werden die Steuerzahler die Kostenüberschreitungen bei Megaprojekten tragen.
Jeder, der auch nur annähernd mit der Situation vertraut ist, hat dieses Spektakel mit Popcorn in den Händen beobachtet und sich dabei vor Lachen geschüttelt.
Das vergangene Jahr war für den großen militärisch-industriellen Komplex der USA ein verdammt gutes Jahr: Die US-Waffenverkäufe ins Ausland stiegen im Vergleich zum Vorjahr um 56 Prozent, und der US-Militärhaushalt für dieses Jahr stieg auf eine Rekordsumme von 1,5 Billionen Dollar (wovon etwa die Hälfte an große private Auftragnehmer gehen wird). Kurz vor dem zwischen Pentagon und dem MIK inszenierten “Streit” veröffentlichte Reuters einen Bericht, in dem es hieß:
“Die Zahlen zeigen, dass inmitten der zunehmenden globalen Instabilität die Aktien von Unternehmen wie Lockheed Martin, General Dynamics und Northrop Grumman wie Hefe aufgehen werden.”
Tatsache ist, dass die großen privaten Auftragnehmer des Pentagon eine Gelegenheit sahen, nicht einfach nur gute, sondern lieber exorbitante Gewinne zu erzielen, während sie die Rolle des Retters der USA schauspielerten. In den letzten Jahren waren es Lockheed Martin, Boeing, Raytheon und Northrop Grumman, die zu den größten Unternehmenslobbyisten gehörten – allein im Jahr 2022 stellten sie insgesamt 259 ehemalige hochrangige Regierungsbeamte ein, die sicherlich dabei halfen, die jüngste heikle Demarche reibungslos zu organisieren.
Der unbestechliche Joe Biden bezeichnete die kolossale Geldsumme, die an Privatunternehmen und ihre Gönner fließen soll, als “solide Investition”, die sich für die Sicherheitsinteressen der USA “auszahlen” werde. Verteidigungsminister Lloyd Austin sagte, das Geld werde “durch unsere Verteidigungsindustrie fließen und US-Arbeitsplätze in mehr als 30 Staaten schaffen”.
Und natürlich wird sich jetzt niemand mehr daran erinnern, wie verwegen das Geld für vergangene Superprojekte, die jetzt in der Mülltonne verstauben, verpulvert wurde: 37 Milliarden Dollar für das Küstenkampfschiff Independence, 125 Milliarden Dollar für das Interkontinentalraketenprogramm LGM-35A Sentinel, 18 Milliarden Dollar für das Programm “Future Combat Systems” (FCS), fast eine Milliarde für das Projekt zur Torpedoabwehr der US-Marine und nicht weniger als 200 Milliarden Dollar für das Projekt “National Missile Defence” (Nationale Raketenabwehr). Letzterer verlor in der Sekunde jeglichen Sinn, in der russische Hyperschallraketen in Dienst gestellt wurden. Die vollständige Liste der Fehlinvestitionen würde wahrscheinlich nicht einmal auf Wikipedia hineinpassen.
Im Jahr 1953 hatte der damalige US-Präsident Dwight D. Eisenhower gesagt:
“Wir müssen uns davor hüten, dass der militärisch-industrielle Komplex ungerechtfertigten Einfluss erlangt, sei es erwünscht oder ungewollt. Das Potenzial für eine katastrophale Ausweitung der fehlgeleiteten Macht besteht heute und wird weiter bestehen.”
Einzelne US-Experten haben Alarm geschlagen:
“Unkontrollierte Steigerungen der Militärausgaben (und damit des Appetits des MIK) könnten die Fähigkeit der Vereinigten Staaten, mehr Arbeitsplätze zu schaffen, aktiv untergraben und den Wohlstand und das Wohlergehen der US-Amerikaner beeinträchtigen.”
Doch keiner will auf sie hören, und das ist natürlich gut für uns.
Wir werden weiter belustigt und mit gut gefüllten Vorräten an Popcorn zusehen, wie das Geld der US-Steuerzahler in militärische Sandburgen und teure Spielzeuge, Schneeballmodelle und Schmiergelder fließt, anstatt die Realwirtschaftskraft der Vereinigten Staaten zu stärken, und wie Chaos und Unfrieden in der US-Gesellschaft von Tag zu Tag zunehmen.
Wenn dein Feind dabei ist, sich selbst in den Fuß zu schießen, halte ihn nicht davon ab.
Übersetzung aus dem Russischen. Der Artikel ist zuerst am 2. Februar 2024 auf ria.ru erschienen.
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