Eine Analyse von Alexander Männer
Der hochdekorierte Viersternegeneral Mark Milley, der bereits seit der Amtszeit von Donald Trump den Posten des US-Generalstabschefs innehat, gilt zweifellos als einer der derzeit bedeutendsten und einflussreichsten US-Militärs. Seine Meinung ist vor allem für die Presse von Bedeutung, und er gibt seinerseits auch gern Auskunft darüber, wie er die Lage in dem einen oder anderen Konflikt einschätzt oder was er generell über die aktuellen Spannungen auf der internationalen Bühne denkt.
Auch vor wenigen Tagen hat Milley wieder seine umfassende Einschätzung zur Lage in der globalen Politik mit Journalisten geteilt. In einem am Dienstag ausgestrahlten Podcast mit dem Titel “How to Avoid a Great-Power War” des bekannten Magazins Foreign Affairs sprach er unter anderem über die Situation im Konflikt mit China und den Krieg in der Ukraine.
In Bezug auf die Rolle der USA bei der Ausbildung und Ausrüstung der ukrainischen Streitkräfte sowie die Aussichten einer bevorstehenden Offensive Kiews behauptete Milley zum Beispiel, dass die Verluste der russischen Armee sich mittlerweile auf 250.000 Mann belaufen sollen und dass der Krieg zudem schwerwiegende Auswirkungen auf die Gesellschaft und die Wirtschaft des Landes habe, jedoch ohne Belege dafür zu liefern.
Geopolitischer Machtkampf
An diesem Punkt könnte der Eindruck entstehen, dass der Podcast primär rein propagandistischen Zwecken dienen und die üblichen Narrative hinsichtlich der Ukraine-Problematik ein weiteres Mal breittreten soll. Allerdings befasst sich Milley darin – wie der Titel es erahnen lässt – hauptsächlich mit dem geopolitischen Machtkampf zwischen den Großmächten, und zwar dem Hegemon USA auf der einen Seite und den aufstrebenden Herausforderern China und Russland auf der anderen Seite.
Im Hinblick auf die Strategie, mit der sich ein Großmachtkonflikt Milley zufolge vermeiden lassen sollte, stellt das Kräfteverhältnis dieser Länder (insbesondere im militärischen Bereich) einen zentralen Aspekt dar, den der US-General bisher stets mit großer Sorgfalt behandelt hatte. So auch dieses Mal, denn er konstatiert in dem Interview etwas fundamental Wichtiges, das er übrigens zuvor schon einmal öffentlich ansprach: Seiner Meinung nach ist die Welt heute tripolar, weil ihr Schicksal von drei Mächten bestimmt wird – den USA, China und Russland.
Diesbezüglich hatte Milley dem Sender NBC im Jahr 2021 erklärt, dass sich in naher Zukunft eine tripolare Weltordnung etablieren könnte. Damals hatte er prognostiziert: “Die Vereinigten Staaten, Russland und China sind Großmächte. Meiner Meinung nach treten wir in eine tripolare Welt ein, die aus strategischer Sicht potenziell instabiler sein wird als das, was wir in den vergangenen 40, 50, 60 oder 70 Jahren erlebt haben.”
Dass er diese Einschätzung nun bekräftigt, ist bemerkenswert und verdeutlicht zudem, dass die Führung in Washington – ungeachtet ihrer offiziellen Haltung – sich über bestimmte Entwicklungen durchaus im Klaren ist. Und zwar, dass China seinen Aufstieg zum führenden Akteur der Weltpolitik trotz der COVID-19-Pandemie fortsetzt und dass Russland angesichts der Spannungen mit dem kollektiven Westen unerwartet erfolgreich auftritt. Zudem ist nicht von der Hand zu weisen, dass die Kooperation und das Engagement dieser beiden Länder auf der internationalen Ebene sowie im sicherheitspolitischen Bereich die Position des Westens respektive der USA global inzwischen erheblich geschwächt haben.
Technologischer Fortschritt in der Rüstung
Obwohl Milley das derzeitige Niveau der militärischen Beziehungen zwischen China und Russland im Podcast zwar als “sehr bescheiden” bezeichnet, macht er dennoch deutlich, dass die Vereinigten Staaten alles tun sollten, um sicherzustellen, dass Peking und Moskau keine strategische Militärallianz bilden. Auch wenn sie sich der militärischen Macht der USA bewusst seien und keine direkte Konfrontation mit Washington wünschen, wie er meint.
Grundsätzlich legt der US-Amerikaner in Bezug auf die von ihm konstruierte Tripolarität das Hauptaugenmerk auf den technologischen Fortschritt im Bereich der Waffensysteme und misst so in erster Linie den Hyperschallraketen viel Bedeutung bei. Diese Waffen würden die künftigen Konflikte und Kriege maßgeblich bestimmen, und wenn die USA dabei nicht ins Hintertreffen geraten und ihren technologischen Vorsprung auf dem Schlachtfeld behaupten wollen, so Milley, dann müssten sie über solche Raketen verfügen.
Es ist in der Tat so, dass die Fortschritte Russlands oder Chinas im Militärbereich und insbesondere die Erfolge dieser beiden Länder bei der Entwicklung von Hyperschallwaffen für die US-Sicherheitsdoktrin “Full-spectrum dominance” (zu dt. etwa: Überlegenheit auf allen Ebenen – Land, See, Luft, Weltraum und Cyberspace) ein grundlegendes Problem darstellt und somit auch die außerordentliche Stellung des US-Militärs auf der Welt gefährdet. So hat beispielsweise Russland als erstes und bislang einziges Land Hyperschallraketen in seine Bewaffnung aufgenommen und sie in einem bewaffneten Konflikt, das heißt unter Kriegsbedingungen, erfolgreich eingesetzt. China soll diese neuartigen Waffen nach Angaben von Experten bereits mehrfach erfolgreich getestet haben. Darüber hinaus arbeitet Moskau inzwischen sogar daran, entsprechende Abwehrsysteme gegen solche Raketen zu entwickeln.
Die USA hingegen haben weder das eine noch das andere, wobei sie bei der Entwicklung laut Medien offenbar enorm hinterherhinken. Zudem scheiterte der letzte Test einer US-amerikanischen Hyperschallwaffe im vergangenen März, was für die Einschätzung des US-Generalstabschefs durchaus eine wichtige Rolle gespielt haben könnte. In jedem Fall zeugt die Haltung Milleys definitiv davon, dass die USA die militärische Macht Chinas und Russlands und somit auch das sich verändernde globale Kräfteverhältnis anerkennen, auch wenn sie das öffentlich eher bestreiten.
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