Das Oberlandesgericht Dresden verurteilte die 28-jährige Lina E. nach annähernd einhundert Verhandlungstagen unter anderem wegen ihrer Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren und drei Monaten. Ihre Mitangeklagten, drei junge Autonome aus Berlin und Leipzig, erhielten unterschiedlich hohe Haftstrafen von zwei Jahren und fünf Monaten bis zu drei Jahren und drei Monaten, ebenfalls wegen deren Mitgliedschaft beziehungsweise Unterstützung einer kriminellen Vereinigung.
Das abschließende Urteil gegen Lina E. bleibt damit unter der Forderung der Bundesanwaltschaft, die für die Linksextremistin acht Jahre Freiheitsstrafe gefordert hatte. Die Bundesanwaltschaft warf allen Angeklagten die Bildung einer kriminellen Vereinigung und sechs schwere Angriffe auf Rechtsextreme vor, verübt zwischen 2018 und 2020 in Leipzig, Wurzen und Eisenach. Die gesamte Liste der Tatvorwürfe gegenüber Lina E. lautet: Beihilfe zur gefährlichen Körperverletzung, besonders schwerer Landfriedensbruch, räuberischer Diebstahl, Sachbeschädigung, Urkundenfälschung und Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung. Die Tagesschau bezeichnet die Verurteilte in einem Online-Beitrag als “eine linke Symbolfigur”. Die Frankfurter Rundschau titelte zum Urteil: “Urteil gegen Neonazijägerin: Lina E. muss fünf Jahre in Haft”.
Die Hauptangeklagte saß seit November 2020 in Untersuchungshaft. Die drei anderen Beschuldigten waren auf freiem Fuß. Laut der Bild-Zeitung riefen bei der Urteilsverkündung anwesende Prozessbeobachter und Unterstützer von Lina E. danach im Gerichtssaal: “Fascho-Freunde”, “Schweine-System” sowie “Feuer und Flamme der Repressionen”. Der ZDF-Reporter Thomas Bärsch nimmt in einem Beitrag über den Prozess auf eine Einschätzung der Verteidiger der Angeklagten Bezug:
“Dazu führen sie an, dass die Aussagen der Zeugen ja auch unglaubwürdig sein könnten, denn es sind ja größtenteils rechtsextreme Neonazis gewesen, die durch ihr Aussageverhalten der Angeklagten auch möglichst hohen Schaden zufügen wollten.”
— Argo Nerd (@argonerd) May 31, 2023
Ein Vertreter der Partei Die Linke, selbst Präsidiumsmitglied des Abgeordnetenhauses von Berlin und zugleich stellvertretendes Mitglied seiner Partei im Ausschuss für Verfassungsschutz, kommentierte den Urteilsspruch auf Twitter so:
“Solidarität mit Lina E. Wer sich gegen Nazis organisiert ist nicht kriminell sondern wird kriminalisiert! Das zeigt erneut, wie wenig Deutschland aus der eigenen Geschichte gelernt hat. Gegen die Kriminalisierung von Antifaschismus.”
Solidarität mit #LinaE Wer sich gegen Nazis organisiert ist nicht kriminell sondern wird kriminalisiert! Das zeigt erneut, wie wenig Deutschland aus der eigenen Geschichte gelernt hat. Gegen die Kriminalisierung von Antifaschismus. https://t.co/InxNlDLt7v
— Ferat Koçak (@der_neukoellner) May 31, 2023
Im linken Spektrum Deutschlands wurden als Reaktion auf das für heute erwartete Urteil bereits im Vorfeld Demonstrationen im gesamten Bundesgebiet angekündigt, so unter anderem in Dresden, Leipzig, Berlin, Hamburg, Bremen, Bielefeld, Stuttgart und Köln. Die Leipziger Zeitung wusste zu berichten, dass die für Sonnabend von der Unterstützer-Szene angemeldete “Tag X”-Großdemonstration in Leipzig aller Voraussicht nach verboten wird. So heißt es bereits, “die Organisator*innen seien am Dienstag telefonisch darüber informiert worden”. Weiter heißt es als diesbezügliche Vorwarnung auf der linken Website indymedia:
“Sollten wir es nicht schaffen, die Demo in Connewitz trotz eines Verbots durchzusetzen, werden wir dezentral im Stadtgebiet aktiv werden.”
Die Leipziger Polizei rechnet demnach mit dem größten Polizeieinsatz seit zwei Jahren. Da es bereits auch militante Aufrufe und massive Gewaltankündigungen gebe, stelle sich die Polizei “auf ein Einsatzgeschehen mit teilweise unfriedlichem Verlauf mit hohem Schadenspotenzial” ein, teilte die Polizeidirektion Leipzig am Dienstag mit.
Neben den erwarteten Aktionen von Linken stehen in Leipzig im gleichen Zeitraum noch Großveranstaltungen wie das Stadtfest und ein Konzert mit Herbert Grönemeyer an.
Der unter hohen Sicherheitsvorkehrungen durchgeführte Prozess hatte im September 2021 begonnen. Ein Kronzeuge hatte die Beschuldigten schwer belastet. Laut Anklage wurden durch die Beschuldigten insgesamt 13 Menschen verletzt, zwei davon potenziell lebensbedrohlich.
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