Um dem Mangel an Soldaten abzuhelfen, greifen die ukrainischen Behörden zu Methoden der Zwangsrekrutierungen auf offener Straße überall im Lande zurück. Bilder von solcherlei Menschenjagden auf Jugendliche, aber auch Männer im fortgeschritteneren Alter machen in letzter Zeit die Runde in den sozialen Medien. Die gewaltsam zur ukrainischen Armee Eingezogenen durchlaufen bestenfalls eine rudimentäre Grundausbildung. Überwiegend unmotiviert für den Kriegseinsatz, werden diese armen Rekruten im “Fleischwolf” der ukrainischen Armee gegen die russischen Truppen verheizt. Doch dies ist nur die eine Seite der ukrainischen Rekrutierungspraxis. Parallel arbeitet die Ukraine an der Schaffung einer hochmotivierten Angriffstruppe.
Ideologisch motivierte Offensiveinheiten
Wie die Journalistin Susann Witt-Stahl recherchiert und in der jungen Welt publiziert hat, stellt das ukrainische Militär zurzeit in großer Eile neue Offensivbrigaden zusammen. Dafür werden neben je einem Verband der Polizei und des ukrainischen Grenzschutzes auch sechs Brigaden der ukrainischen Nationalgarde herangezogen. Dieser Formation, die dem Innenministerium untersteht, gehörten bis Februar 2022 etwa 60.000 Kämpfer an. Die neuen Angriffseinheiten sollen ausschließlich aus Freiwilligen bestehen – die, wie der ukrainische Innenminister Igor Klimenko es ausgedrückt haben soll – bereits “durch die Hölle gegangen” wären und “von Patriotismus angetrieben” sein sollen. Bislang hätten sich ungefähr 27.000 Bewerber gemeldet.
Die neuen Angriffseinheiten werden zu einem bedeutenden Teil auf die berüchtigten Asow-Kämpfer zurückgreifen, die sich in Mariupol im Stahlwerk Asow-Stahl verschanzt und Zivilisten als Geiseln und menschliche Schutzschilde genommen hatten. Die neofaschistischen Asow-Einheiten, die in der Tradition der nationalistisch-faschistischen OUN (Organisation ukrainischer Nationalisten) und UPA (Ukrainische Aufstandsarmee) stehen und sich positiv auf deren Kollaboration mit den deutschen Nazis während des Zweiten Weltkriegs berufen, genießen in Teilen der (west-)ukrainischen Gesellschaft Kultstatus. Witt-Stahl weist darauf hin, dass kürzlich eine Delegation von Asow in Paris zusammen mit dem ehemaligen Staatspräsidenten François Hollande die Vorpremiere des “Propagandafilms” (Witt-Stahl) “Ruhm der Ukraine” des NATO-affinen Publizisten Bernard-Henri Lévy gefeiert habe.
Privilegierte Stellung
Vor drei Wochen erst sei eine von Andrei Bilezki, dem Gründer von Asow, befehligte faschistische Spezialeinheit, die im Februar 2022 gegründet und dann in die ukrainische Armee eingegliedert wurde, zur Brigade vergrößert worden. Gleichwohl bleibe Asow ein paramilitärischer Großverband innerhalb der Nationalgarde – und fähig zu selbständigen Operationen. In einem Rekrutierungsaufruf heiße es: “Es ist Zeit, in die Offensive überzugehen. […] Schreibe mit uns Geschichte. Komm zu Asow!” Den Asow-Freiwilligen werde eine “mehrmonatige Intensivausbildung in den Waffengattungen Artillerie, Panzer und Drohnen durch kampferfahrene Offiziere, ein lukratives Gehalt, medizinische Behandlung in staatlichen Hospitälern, später ein Universitätsstudium oder eine berufliche Laufbahn im Innenministerium” in Aussicht gestellt, so Witt-Stahl.
An der Front mit “Gleichgesinnten”
Asow verspreche den Freiwilligen “Kampfeinsätze an vorderster Front und mit Gleichgesinnten”, was offensichtlich auf ideologisch motivierte Kämpfer abzielt. Als Ziel der “Kampfreise” werde ein Einsatz in Bachmut (ukrainisch für Artjomowsk) angekündigt. Das ukrainische Militärkommando habe Asow für diese “entscheidende Schlacht” in “schwierigster Gegend” eine “neue Verwantwortung” übertragen, zitiert Witt-Stahl den Asow-Gründer Bilezki. Man werde den “russischen Feinden” einen “heißen Winter” und “viele Überraschungen” bereiten.
Die Rekrutierungskampagne habe Asow mit Werbevideos nach “höchsten kulturindustriellen Standards der Hollywoodkriegsfilme” aufgezogen, erläutert Witt-Stahl. Dabei werde unter der Devise “Ohne Kampf gibt es keinen Ruhm!” an “niederste Gewaltinstinkte appelliert”.
Mit Unterstützung des Facebook-Konzerns
Schließlich weist Witt-Stahl darauf hin, dass der US-Konzern “Meta Platforms”, dem unter anderem Facebook, Instagram und WhatsApp gehören, im Januar 2023 Asow aus der Liste gefährlicher Organisationen gestrichen habe. Die Freigabe von Hunderten Asow-Konten ermögliche der Einheit nun uneingeschränkte Propaganda – in der Ukraine, aber auch weltweit. Asow verfügt längst nicht nur über eine militärisch-paramilitärische Doppelstruktur im ukrainischen Staatsapparat – durch die Unterstellung unter das Innenministerium und die Integration in die Armee. Asow verfügt auch über Terrormilizen, die gegen die Opposition eingesetzt werden. Parallel organisiert sich das faschistische Netzwerk als Bewegung und Partei, der “eigene Mode- und Musiklabels und ein Merchandisenetzwerk gehören”.
Die Propaganda von Asow betone stets, dass sich die Formation von der Nazi-Ideologie losgesagt habe, was offenkundig nicht der Fall ist. Denn diese Propgandalüge wird von der “faschistische(n) Kriegshetze, Herrenmenschenideologie und Heldenmythen” (Witt-Stahl), die Asow laufend widerlegt. So habe Bilezki erst am 3. Februar anlässlich des 94. Jahrestages der Gründung der OUN Stepan Bandera, Roman Schuchewitsch und “andere für den Holocaust mitverantwortliche Kollaborateure Hitlerdeutschlands” (Witt-Stahl) gewürdigt und erklärt: “Die OUN hat ihren historischen Auftrag erfüllt. Jetzt ist unsere Zeit gekommen.”
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